Der Bundesgerichtshof hat am 27.08.2020 zum Aktenzeichen III ZB 30/20 entschieden, dass die Betreiberin eines sozialen Netzwerks, die verurteilt worden ist, den Erben einer Netzwerk-Teilnehmerin Zugang zu deren vollständigen Benutzerkonto zu gewähren, den Erben die Möglichkeit einräumen muss, vom Konto und dessen Inhalt auf dieselbe Weise Kenntnis zu nehmen und sich – mit Ausnahme einer aktiven Nutzung – darin so „bewegen“ zu können wie zuvor die ursprüngliche Kontoberechtigte.
Aus der Pressemitteilung des BGH Nr. 119/2020 vom 09.09.2020 ergibt sich:
Die Schuldnerin betreibt ein soziales Netzwerk. Sie ist durch – vom BGH (Urt. v. 12.07.2018 – III ZR 183/17) bestätigtes – rechtskräftig gewordenes Urteil des LG Berlin vom 17.12.2015 verurteilt worden, den Eltern einer verstorbenen Teilnehmerin an dem Netzwerk als Erben Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten ihrer Tochter zu gewähren. Die Schuldnerin hat daraufhin der Gläubigerin, der Mutter der Verstorbenen, einen USB-Stick übermittelt, der eine PDF-Datei mit mehr als 14.000 Seiten enthält, die nach den Angaben der Schuldnerin eine Kopie der ausgelesenen Daten aus dem von der Verstorbenen geführten Konto enthält. Zwischen den Parteien ist streitig, ob hierdurch die Verpflichtung der Schuldnerin aus dem Urteil des Landgerichts vom 17.12.2015 erfüllt worden ist.
Das Landgericht hatte auf Antrag der Gläubigerin gegen die Schuldnerin wegen Nichterfüllung ihrer Verpflichtung aus dem Urteil vom 17.12.2015 ein Zwangsgeld von 10.000 Euro festgesetzt.
Das KG hatte den Beschluss des Landgerichts auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin aufgehoben und den Antrag der Gläubigerin auf Festsetzung eines Zwangsmittels gegen die Schuldnerin zurückgewiesen.
Hiergegen richtete sich die vom KG zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubigerin.
Der BGH hat den Beschluss des KG aufgehoben und die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt.
Nach Auffassung des BGH ergibt bereits die Auslegung des Tenors des Urteils des LG Berlin vom 17.12.2015, dass der Gläubigerin nicht nur Zugang zu den im Benutzerkonto vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeit einzuräumen ist, vom Benutzerkonto selbst und dessen Inhalt auf dieselbe Art und Weise Kenntnis nehmen zu können, wie es die ursprüngliche Kontoberechtigte konnte.
Dies folge zudem aus den Entscheidungsgründen des vorgenannten Urteils sowie des Urteils des BGH vom 12.07.2018. Beide Entscheidungen hätten den von der Schuldnerin zu erfüllenden Anspruch der Gläubigerin erbrechtlich hergeleitet. Der BGH habe ausgeführt, der Nutzungsvertrag zwischen der Tochter der Gläubigerin und der Schuldnerin sei mit seinen Rechten und Pflichten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben übergegangen. Letztere seien hierdurch in das Vertragsverhältnis eingetreten und hätten deshalb als Vertragspartner und neue Kontoberechtigte einen Primärleistungsanspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto ihrer Tochter sowie den darin enthaltenen digitalen Inhalten. Aus dieser Stellung der Erben und dem auf sie übergegangenen Hauptleistungsanspruch der Erblasserin aus dem mit der Schuldnerin bestehenden Vertragsverhältnis folge ohne weiteres, dass den Erben auf dieselbe Art und Weise Zugang zu dem Benutzerkonto zu gewähren sei wie zuvor ihrer Tochter. Das ergebe sich zudem aus zahlreichen weiteren Ausführungen des BGH und des Landgerichts in ihren vorgenannten Urteilen.
Die Schuldnerin habe ihre Verpflichtung aus dem Urteil des LG Berlin vom 17.12.2015 nicht erfüllt. Durch die Überlassung des USB-Sticks mit einer umfangreichen PDF-Datei wurde kein vollständiger Zugang zum Benutzerkonto gewährt. Die PDF-Datei bilde das Benutzerkonto nicht vollständig ab. Letzteres erfordere nicht nur die Darstellung der Inhalte des Kontos, sondern auch die Eröffnung aller seiner Funktionalitäten – mit Ausnahme derer, die seine aktive Weiternutzung beträfen – und der deutschen Sprache, in der das Benutzerkonto zu Lebzeiten der Erblasserin vertragsgemäß geführt wurde. Diese Voraussetzungen erfülle die von der Gläubigerin übermittelte Datei nicht.