Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 06.04.2022 zum Aktenzeichen L 12 AS 1323/19 entschieden, dass die Rückausnahme vom Leistungssauschluss in § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II sich auch auf Familienangehörige erstreckt.
Aus der Pressemitteilung des LSG NRW vom 28.09.2022 ergibt sich:
Die 2018 geborene Klägerin lebt mit Mutter und Schwester in einem Haushalt. Alle drei sind bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige. Sowohl die Mutter als auch die Schwester besitzen einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Das beklagte Jobcenter Köln lehnte die Gewährung von SGB II-Leistungen für die ersten drei Lebensmonate der Klägerin ab. Das SG Köln hat den Beklagten verurteilt, ihr auch für diesen Zeitraum Leistungen zu gewähren.
Dies hat LSG nun bestätigt und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Anspruch der Klägerin bestehe schon ab Geburt. Zwar seien nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt seien, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts von Leistungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II ausgenommen. Die Mutter der Klägerin sei weder Arbeitnehmerin oder Selbständige noch könne sie wegen ihrer bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigkeit nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sein. Gleiches gelte für die Klägerin als Familienangehörige.
Allerdings greife hier eine Rückausnahme nach § 7 Abs. 1 S. 3 SGB II. Danach gelte § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 AufenthG in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten. Die Mutter verfügte zum Zeitpunkt der Geburt über einen solchen Aufenthaltstitel, sodass sie gemäß § 7 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht von dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II erfasst gewesen sei. Diese Rechtsfolge sei auf die Klägerin zu übertragen. Dies ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes, aber aus seiner Systematik, dem Zweck der Regelung sowie den Gesetzgebungsmaterialien.