Das Sozialgericht Gießen hat mit Urteil vom 30.01.2020 zum Aktenzeichen S 16 SB 110/17 entschieden, dass bei einer Hirnleistungsschwäche (hier: Autismus und Entwicklungsverzögerung) von einer verminderten Gehfähigkeit als Voraussetzung der Zuerkennung des Merkzeichens aG dann ausgegangen werden kann, wenn bei dem Betroffenen aufgrund der Auswirkungen seiner Erkrankung eine Beförderung mit einem Reha-Buggy erforderlich ist.
Aus der Pressemitteilung des SG Gießen vom 10.02.2020 ergibt sich:
Der 2013 geborene Kläger leidet an einem schwerstgradig ausgeprägten Autismussyndrom und ist nicht in der Lage Handlungen zu planen und alleine durchzuführen. Er kann sich alleine weder orientieren noch Gefahren einschätzen und muss die gesamte Zeit beaufsichtigt werden. Eine erwachsene Person allein kann den Kläger trotz voller Umklammerung des Oberkörpers praktisch nicht festhalten. Der Beklagte lehnte mit den angefochtenen Bescheiden vom 24.01.2017 und 24.03.2017 die Feststellung des Merkzeichens aG ab. Mit der im April 2017 erhobenen Klage machte der Kläger geltend, er sei dem aG-berechtigten Personenkreis gleichzustellen.
Das SG Gießen hat der Klage stattgegeben.
Die Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Gehbehinderung sind in § 229 Abs. 3 SGB IX geregelt. Nach Auffassung des Sozialgerichts gehört der Kläger zwar nicht zu dem im Gesetz beschriebenen Personenkreis, wenn lediglich auf sein physisch mögliches Gehen abgestellt wird. Im Hinblick auf seine mentale Beeinträchtigung (schwerstgradig ausgeprägtes Autismussyndrom) sei er diesem Personenkreis jedoch gleichzustellen. Denn er sei nicht in der Lage selbstständig zielgerichtet auch unter Zuhilfenahme einer Begleitperson eine auch nur geringfügige Strecke zurückzulegen. Bei der ausgeprägten mentalen Behinderung des Klägers sei jederzeit damit zu rechnen, dass er sich von der jeweiligen Begleitperson losreiße, von dieser weglaufe oder in impulsiven/aggressiven Ausbrüchen gegen die Begleitperson oder Dritte losgehen könnte.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.