Die Regelung, wonach Hausangestellte – bei denen es sich fast ausschließlich um Frauen handelt – keinen Anspruch auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit haben, verstößt Generalanwalt Szpunar zufolge gegen das EU-Recht. Sie stellt eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, die nicht mit legitimen Zielen, die einer geschlechtsbasierten Diskriminierung völlig fremd sind, gerechtfertigt ist.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 168/2021 vom 30.09.2021 ergibt sich:
Das Besondere System der sozialen Sicherheit für Hausangestellte nach spanischem Recht umfasst nicht den Schutz bei Arbeitslosigkeit.
Eine Hausangestellte, die für eine Arbeitgeberin arbeitet, die eine natürliche Person ist, ist seit Januar 2011 Mitglied dieses Besonderen Systems. Im November 2019 beantragte sie bei der Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS) (Allgemeine Sozialversicherungskasse), zur Leistung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung zugelassen zu werden, um einen Anspruch auf Leistungen zu erwerben. Ihre Arbeitgeberin war bereit, den entsprechenden Arbeitgeberanteil zu entrichten. Die TGSS lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass die Möglichkeit, Beiträge zum Besonderen System für den Schutz gegen das Risiko Arbeitslosigkeit zu leisten, gesetzlich ausdrücklich ausgeschlossen sei.
Die Hausangestellte erhob Klage beim Juzgado de lo Contencioso-Administrativo n° 2 de Vigo (Verwaltungsgericht Nr. 2 Vigo, Spanien) und machte im Wesentlichen geltend, aufgrund der nationalen Vorschrift würden Hausangestellte in eine Situation sozialer Schutzlosigkeit versetzt, wenn ihre Beschäftigung aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen ende. Damit hätten sie nicht nur keinen Zugang zu Leistungen bei Arbeitslosigkeit, sondern auch keinen Zugang zu anderen sozialen Hilfen, die vom Erlöschen des Anspruchs auf Leistung bei Arbeitslosigkeit abhängig seien.
Das spanische Gericht führt in diesem Zusammenhang aus, dass die betreffende Gruppe von Arbeitnehmern fast ausschließlich aus Frauen bestehe, und bittet daher den Gerichtshof um eine Auslegung der Richtlinie 79/7/EWG über die Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, 24), um festzustellen, ob hier eine durch diese Richtlinie verbotene mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegt.
In seinen Schlussanträgen vom 30.09.2021 führt Generalanwalt Maciej Szpunar zunächst aus, dass der Grundsatz der Nichtdiskriminierung aufgrund des Geschlechts im Bereich der sozialen Sicherheit von den Mitgliedstaaten zu beachten ist, wenn sie ihre Zuständigkeit im Bereich der sozialen Sicherheit und insbesondere der Leistungen bei Arbeitslosigkeit ausüben. Anders als die spanische Regierung ist der Generalanwalt der Ansicht, dass der in der nationalen Regelung vorgesehene Schutzausschluss einen besonderen Nachteil für Hausangestellte mit sich bringt.
Er stellt fest, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, unter Berücksichtigung dessen zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vorschrift als „mittelbar diskriminierende Maßnahme“ im Sinne der Richtlinie einzustufen ist, und führt aus, dass nach spanischem Recht alle Arbeitnehmer, die unter das Allgemeine System der sozialen Sicherheit fallen, grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit haben und dass innerhalb dieser Gruppe der Anteil von Männern und Frauen mehr oder weniger ähnlich ist. Dieser Anteil fällt jedoch in der Gruppe der Arbeitnehmer, auf die das Besondere System anwendbar ist, sehr unterschiedlich aus, da darin Frauen mehr als 95 % der Beschäftigten ausmachen. Damit wirkt sich die Ausschlussklausel für Hausangestellte bei wesentlich mehr Frauen als Männern nachteilig aus.
Sollte das spanische Gericht daher zu dem Schluss kommen, dass diese Vorschrift vor allem weibliche Hausangestellte benachteiligt, wäre davon auszugehen, dass sie gegen die Richtlinie verstößt, es sei denn, sie ist durch objektive Faktoren gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
Sodann prüft der Generalanwalt, ob die Ungleichbehandlung zum Nachteil weiblicher Hausangestellter durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt werden kann.
Die TGSS und die spanische Regierung haben insbesondere geltend gemacht, dass die unterschiedliche Behandlung der Hausangestellten durch Ziele, die sich aus den besonderen Merkmalen dieser Kategorie von Angestellten und dem Status ihrer Arbeitgeber ergäben, sowie durch die Ziele des Arbeitnehmerschutzes, der Sicherung des Beschäftigungsniveaus in diesem Sektor und der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Betrugs gerechtfertigt sei.
Diese Gründe sind dem Generalanwalt zufolge legitime Ziele der Sozialpolitik. Allerdings könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese Ziele nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben; sie seien daher nicht geeignet, eine Diskriminierung zum Nachteil von Frauen zu rechtfertigen.
Herr Szpunar ist der Ansicht, dass die Gründe, die auf die besonderen Merkmale der Hausangestellten (gering qualifizierte und zum Mindestlohn abgegoltene Arbeitnehmer) oder auf die ihrer Arbeitgeber (Familienoberhäupter) gestützt sind, eher auf geschlechtsspezifischen Stereotypen zu beruhen scheinen, von denen kaum gesagt werden kann, dass sie nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
Das Argument, wonach ein Schutz der Hausangestellten gegen das Risiko Arbeitslosigkeit diese zu Betrug ermutigen würde, weist der Generalanwalt mit dem Hinweis darauf zurück, dass, wenn dies erwiesen wäre, dies ebenfalls für alle gering qualifizierten, den Mindestlohn beziehenden Arbeitnehmer anderer Sparten des Arbeitsmarkts gelten müsste, die demnach von der Leistung bei Arbeitslosigkeit ausgeschlossen werden müssten. Dies ist jedoch nicht der Fall, und damit besteht kein Zusammenhang zwischen dieser Rechtfertigung und dem im Rede stehenden Schutzausschluss der Hausangestellten.
Was das Ziel der Sicherung des Beschäftigungsniveaus der Gruppe der Hausangestellten betrifft, führt der Generalanwalt aus, dass der Schutzausschluss zu einer Verstärkung des traditionellen gesellschaftlichen Rollenverständnisses führt, indem er es nicht nur ermöglicht, die strukturell schwächere Stellung der Hausangestellten auszunutzen, sondern auch dazu führt, den Wert ihrer Arbeit gering zu schätzen, anstelle sie gesellschaftlich anzuerkennen und wertzuschätzen.
Jedenfalls ist Herr Szpunar der Ansicht, dass die in Rede stehende Ausschlussklausel nicht geeignet ist, die Ziele der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Betrugs sowie der Sicherung der Beschäftigung zu gewährleisten, da sie weder tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, dieses Ziel zu erreichen, noch in kohärenter und systematischer Weise angewandt wird. Dadurch, dass sie allen Hausangestellten den Zugang zu Leistungen bei Arbeitslosigkeit ausnahmslos verwehrt, geht sie über das hinaus, was zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist.
Der Generalanwalt schlägt dem Gerichtshof daher vor, dem spanischen Gericht zu antworten, dass die Richtlinie einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit von den Leistungen ausschließt, die Hausangestellten durch ein gesetzliches System der sozialen Sicherheit gewährt werden, wenn festgestellt wird, dass diese Angestellten beinahe ausschließlich Frauen sind.