Generalanwalt Szpunar hat am 22.03.2021 in dem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zum Aktenzeichen C-930/19 seine Schlussanträge zum Aufenthaltsrecht nach Ende der Ehe eines mit einem Unionsbürger verheirateten Drittstaatsangehörigen, der Opfer häuslicher Gewalt geworden ist, vorgelegt.
Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 22.03.2021 ergibt sich:
Ein Drittstaatsangehöriger, der mit einem Unionsbürger verheiratet ist und Opfer häuslicher Gewalt geworden ist, muss (wenn er noch kein Recht auf Daueraufenthalt erworben hat) im Fall der Scheidung nachweisen, dass er über ausreichende Existenzmittel verfügt, um weiterhin aufenthaltsberechtigt zu sein. (Art. 13 Abs. 2 der Unionsbürger-Richtlinie 2004/38).
Ist der Ehepartner hingegen ebenfalls Drittstaatsangehöriger (der von seinem Recht auf Familienzusammenführung Gebrauch gemacht hat), gilt diese Voraussetzung nicht. (Richtlinie 2003/86 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung).
Der belgische Rat für Ausländerstreitsachen möchte wissen, ob die für den Fall der Scheidung von einem Unionsbürger geltende Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz ungültig ist.
Der Rat für Ausländerstreitsachen hat über den Fall eines Algeriers zu entscheiden, der häuslicher Gewalt seitens seiner französischen Ehefrau ausgesetzt war, die inzwischen mit der gemeinsamen Tochter nach Frankreich verzogen ist.
In seinen Schlussanträgen von heute schlägt Generalanwalt Szpunar dem Gerichtshof vor, dem belgischen Rat für Ausländerstreitsachen zu antworten:
Die Prüfung der Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, mit Berichtigung ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2007, L 204, S. 28) gemessen an den Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union berühren könnte.
Die Prüfung der Vergleichbarkeit der Situationen im vorliegenden Fall zeige eindeutig deren Verschiedenheit. Der rechtliche Status von Drittstaatsangehörigen, die mit Unionsbürgern verheiratet seien, sei von einem verfassungsrechtlich durch die Verträge gewährleisteten Recht abgeleitet und unterliege den mit der Richtlinie 2004/38 aufgestellten Voraussetzungen, die die Mitgliedstaaten zu beachten hätten. Dagegen beruhe der Status von Drittstaatsangehörigen, die mit anderen Drittstaatsangehörigen verheiratet seien, auf einer Rechtsangleichungszuständigkeit, mit der ein Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten hinsichtlich der mit der Richtlinie 2003/86 aufgestellten Voraussetzungen einhergehe. Folglich erwüchsen aus den mit diesen beiden Richtlinien geschaffenen Regelungen unterschiedliche Rechte.
Diese Erwägungen ließen den Schluss zu, dass die beiden in Rede stehenden Situationen nicht vergleichbar seien. Mithin verletze eine Ungleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen, die Opfer von Gewalt im häuslichen Bereich seitens ihres Ehegatten geworden seien, je nachdem, ob ihnen eine Familienzusammenführung mit einem Unionsbürger oder mit einem Drittstaatsangehörigen gewährt worden sei, nicht das in Art. 20 der Charta verankerte Recht auf „Gleichheit vor dem Gesetz“ der Drittstaatsangehörigen, die sich in der einen oder in der anderen Situation befinden.