Generalanwalt Richard de la Tour hat vor dem Europäischen Gerichtshof zu den Aktenzeichen C-584/20 P und C-621/20 P seine Schlussanträge zu der Frage vorgelegt, ob das Gericht der EU zu Recht den Beschluss des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (Single Resolution Board, SRB) über die 2017-Beiträge zum Einheitlichen Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund, SRF) für nichtig erklärt hat, soweit er die Landesbank Baden-Württemberg betrifft, und die teilweise Rechtswidrigkeit der Delegierten Verordnung 2015/63 festgestellt hat.
Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 27.04.2021 ergibt sich:
Das Hauptziel des einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM), der den zweiten Pfeiler der Bankenunion bildet, besteht darin, dafür zu sorgen, dass Bankenausfälle innerhalb dieser Union wirksam aufgefangen werden und möglichst geringe Kosten für die Steuerpflichtigen und die Realwirtschaft verursachen. Der Einheitliche Abwicklungsausschuss (Single Resolution Board, SRB), die Agentur der Europäischen Union, die dafür verantwortlich ist, dass der SRM wirkungsvoll und einheitlich funktioniert, entscheidet über die Einleitung eines Abwicklungsverfahrens, während dieser Beschluss auf operativer Ebene in Zusammenarbeit mit den nationalen Abwicklungsbehörden umgesetzt wird. (RN 1)
Der SRB verfügt über einen Einheitlichen Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund, SRF), dessen Aufgabe es ist, die Abwicklungsmaßnahmen zu finanzieren. Dieser Fonds wird durch die Beiträge der Kreditinstitute und bestimmter Wertpapierfirmen des Euro-Währungsgebiets finanziert. Ein zwischenstaatliches Übereinkommen regelt die Übertragung der Beiträge auf Unionsebene.
Die Vergemeinschaftung der Finanzierung wird Ende des Jahres 2023 vollständig erreicht sein, weil die Beiträge dann ausschließlich für den SRF und nicht mehr zu einem jedes Jahr geringeren Teil für die nationalen Abwicklungsbehörden bestimmt sein werden. Die Modalitäten der Berechnung dieser Beiträge waren Gegenstand zahlreicher Debatten und langwieriger Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten.
Diese Beiträge werden jährlich so berechnet, dass der SRF nach Ablauf der Aufbauphase von acht Jahren über Mittel verfügen kann, die mindestens 1 % der gedeckten Einlagen aller in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Kreditinstitute ausmachen. Die jährliche Summe dieser Beiträge darf jedoch 12,5 % der Zielausstattung nicht übersteigen.
Die Beiträge der Institute werden nach der Größe des Instituts pauschal berechnet und/oder an das Risikoprofil dieses Instituts angepasst.
Somit ermöglicht die Bankenabwicklung es nicht nur, die wirtschaftlichen und budgetären Kosten etwaiger künftiger Bankenausfälle zu verringern, sondern zielt auch darauf ab, bestimmte risikobehaftete Verhaltensweisen innerhalb der Institute – von denen die bedeutendsten sicher sein konnten, von der öffentlichen Hand und letztlich von den Steuerzahlern gerettet zu werden – einzudämmen und folglich die Wahrscheinlichkeit von Ausfällen durch die Begrenzung solchen Fehlverhaltens zu verringern.
Mit Beschluss vom 11. April 2017 über die Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge zum SRF (SRB/ES/SRF/2017/05) legte der SRB die Höhe des im Voraus erhobenen Beitrags fest, den jedes Institut, darunter die Landesbank Baden-Württemberg (im Folgenden: LBBW), zu entrichten hatte. Auf Antrag der LBBW erklärte das Gericht der Europäischen Union mit Urteil vom 23. September 2020 (T-411/17 „Landesbank Baden-Württemberg/SRB“) den streitigen Beschluss für nichtig, soweit er diese Bank betraf.
Die Europäische Kommission, Streithelferin im ersten Rechtszug, und der SRB haben jeweils Rechtsmittel gegen dieses Urteil eingelegt.
Bei der Entscheidung über diese Rechtsmittel erhält der Gerichtshof die Gelegenheit, zum einen über die Modalitäten der Feststellung des Anhangs zu einem Beschluss des SRB und zum anderen über die vom SRB im Rahmen des SRM anzuwendenden Modalitäten der Berechnung der im Voraus zu erhebenden Beiträge zu befinden.
Insbesondere ersuchen die Rechtsmittelführer den Gerichtshof, sich in jedem Fall zur Rechtmäßigkeit der Bestimmungen der Delegierten Verordnung 2015/63 über die Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge zu äußern. Das Gericht war nämlich zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Bestimmungen wegen der inhärenten Intransparenz dieser Berechnungsmodalitäten, die sich aus der Wahrung des Geschäftsgeheimnisses aufgrund der Berücksichtigung von Zahlen ergebe, die andere Institute beträfen, rechtswidrig seien, weil diese Intransparenz gegen die Begründungspflicht verstoße.
In seinen Schlussanträgen von heute schlägt Generalanwalt Richard de la Tour dem Gerichtshof erstens vor, das angefochtene Urteil aufzuheben, weil das Gericht zum einen bei der Beurteilung der Feststellung des Anhangs des streitigen Beschlusses gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verstoßen und zum anderen in Bezug auf den Umfang der Begründungspflicht und auf die Rechtmäßigkeit der Delegierten Verordnung 2015/63 einen Rechtsfehler begangen hat. Zweitens schlägt er dem Gerichtshof vor, über diese beiden Fragen in der Sache zu entscheiden und den streitigen Beschluss, soweit er die LBBW betrifft, wegen unzureichender Feststellung des Anhangs dieses Beschlusses und mangels hinreichender Begründung dieses Beschlusses erneut für nichtig zu erklären. Ferner schlägt er dem Gerichtshof vor, die Einrede der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen der Delegierten Verordnung 2015/63 unter dem Vorbehalt zurückzuweisen, dass der SRB für größere Transparenz bei bestimmten Summen vertraulicher Daten Dritter sorgt.