Der Bundesgerichtshof hat Urteil vom 16. Juli 2024 zum Aktenzeichen VI ZR 188/22 entschieden, dass der merkantile Minderwert eines erheblich unfallbeschädigten Fahrzeugs in jedem Fall ausgehend von Netto- und nicht von Bruttoverkaufspreisen zu schätzen ist. Wurde der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag vom Minderwert abzuziehen.
Aus der Pressemitteilung des BGH Nr. 159/2024 vom 07.08.2024 ergibt sich:
Sachverhalt:
Ein (geleastes) Fahrzeug wurde bei einem Verkehrsunfall erheblich beschädigt. Die volle Haftung des beklagten Haftpflichtversicherers stand außer Streit. Die Klägerin ließ das Fahrzeug reparieren und machte einen merkantilen Minderwert von 1.250 € geltend. Die Beklagte bezahlte nur 700 €. Mit der Klage verlangte die Klägerin Zahlung des restlichen Betrags an die Leasinggesellschaft. Zwischen den Parteien war streitig, ob vom merkantilen Minderwert ein „Umsatzsteueranteil“ abzuziehen ist.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Amtsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das Landgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Amtsgerichts in Höhe von 300 € aufrechterhalten und die Klage im Übrigen ab- und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Es hat ein Sachverständigengutachten eingeholt und auf dieser Grundlage angenommen, dass ein merkantiler Minderwert von insgesamt 1.000 € anzusetzen sei, weshalb die Beklagte weitere 300 € zu zahlen habe. Ein „Umsatzsteueranteil“ sei vom Minderwert nicht abzuziehen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte ihr Ziel, die Klage in Höhe des ihrer Ansicht nach vom Minderwert abzuziehenden „Umsatzsteueranteils“ abzuweisen, weiterverfolgt.
Entscheidung des Senats:
Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Beim merkantilen Minderwert handelt es sich um eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeugs allein deshalb verbleibt, weil Unfallfahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen geringeren Preis als unfallfreie erzielen. Der Ersatz des merkantilen Minderwerts als solcher unterliegt nicht der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, da es sich bei dem zu zahlenden Schadensersatz (§ 251 Abs. 1 BGB) nicht um eine Leistung gegen Entgelt handelt.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist vom merkantilen Minderwert für den Fall, dass er ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt wurde, ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag abzuziehen. Ob das Berufungsgericht im Streitfall den Minderwert ausgehend von Brutto- oder Nettoverkaufspreisen geschätzt hat, stand nicht fest.
Zur Bemessung des Minderwerts wird geschätzt, um wieviel geringer der erzielbare Verkaufspreis bei einem gedachten Verkauf des beschädigten Fahrzeugs nach der Reparatur im Vergleich zum erzielbaren Verkaufspreis ohne den Unfall wäre. Diese Wertdifferenz ist unabhängig davon zu ersetzen, ob der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur verkauft oder behält. Bei der Schätzung des Minderwerts ist aus Rechtsgründen auf die jeweiligen Nettoverkaufspreise abzustellen. Denn wenn es sich bei dem der Schätzung des merkantilen Minderwerts zugrunde zu legenden hypothetischen Verkauf um eine der Umsatzsteuer unterliegende Leistung eines Unternehmers handelt, würde der Geschädigte zwar zusätzlich zum Nettoverkaufspreis die darauf entfallende Umsatzsteuer erhalten, müsste sie aber an das Finanzamt abführen. Sie wäre bei ihm nur ein durchlaufender Posten. Unterliegt der gedachte Verkauf hingegen nicht der Umsatzsteuer (beim Verkauf „von privat“), dürfte dem Käufer schon gar keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt werden.
Wurde der merkantile Minderwert ausgehend von Bruttoverkaufspreisen geschätzt, ist er in der Weise nach unten zu korrigieren, dass von ihm ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag abgezogen wird. Andernfalls käme es zu einer Bereicherung des Geschädigten. Eine andere – nicht rechtliche, sondern tatsächliche – Frage ist es, welche Preise eine Privatperson bei einem Verkauf erzielen würde, insbesondere, ob diese Preise, obwohl es Nettopreise sind, betragsmäßig an die von Unternehmern erzielbaren Bruttopreise heranreichen würden.