Das Oberlandesgericht Frankfurt hat am 24.02.2021 zum Aktenzeichen 4 U 257/19 und 4 U 274/19 entschieden, dass die bei mehreren 3,0 Liter-Modellen der Audi AG verwendete schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Aufwärmfunktion eine unzulässige Abschalteinrichtung ist und Ansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung der Käufer auslöst.
Aus der Pressemitteilung des OLG Frankfurt Nr. 12/2021 vom 24.02.2021 ergibt sich:
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) sprach deshalb in zwei heute verkündeten Urteilen den klagenden Käufern Schadensersatz zu.
Beide Kläger nehmen die beklagte Audi AG auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem jeweiligen Erwerb eines Audi SQ5, Emissionsklasse EU6, in Anspruch. In den Fahrzeugen ist ein von der Beklagten selbst hergestellter Motor verbaut; es handelt sich damit nicht um den Motor EA 189 von VW.
Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hatte Anfang 2018 mitgeteilt, dass u.a. dieses Modell eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte. Die schadstoffmindernde, so genannte schnelle Aufwärmfunktion springe nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ an. Im realen Verkehr unterbleibe diese NOx-Schadstoffminderung. Die Beklagte übersandte Rückrufschreiben an die jeweiligen Kläger mit dem Hinweis auf ein vom KBA freigegebenes Softwareupdate.
Das Landgericht hat die Klagen abgewiesen. Auf die Berufung der jeweiligen Kläger wurde die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftfahrzeugs verurteilt. Die Beklagte hafte wegen der Entwicklung eines Motors mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegenüber den Fahrzeugkäufern wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Die vom Bundesgerichtshof zum Dieselskandal in der Grundsatzentscheidung (Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19) aufgestellten Voraussetzungen seien auf die hier vorliegende Konstellation übertragbar und lägen hier vor.
Es sei objektiv sittenwidrig, ein Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, dessen Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert worden sei, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten würden. Hier liege eine versteckte Abschalteinrichtung vor. Es seien Parameter für die Motoraufwärmfunktion vorgegeben worden, die auf den Prüfstand zugeschnitten gewesen seien und gewährleisteten, dass die Funktion dort wirkte. Im realen Straßenbetrieb habe die Funktion jedoch nur dann funktioniert, wenn zufällig der seltene Ausnahmefall der eingegebenen engen Parameter vorgelegen habe. Es könne nicht angenommen werden, „dass die Funktion im realen Straßenverkehr eine echte schadstoffmindernde Wirkung haben sollte.“
Das von der Beklagten verfolgte Ziel der Erhöhung ihres Gewinns werde verwerflich, wenn es – wie hier – auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Behörde, des KBA, erreicht werden solle und mit einer „Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften… gleichgültig zeigt.“
Die grundlegende strategische Entscheidung zu Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung sei der Beklagten zuzurechnen. Nach dem unstreitigen Vortrag der jeweiligen Kläger sei sie mit Wissen des vormaligen Vorstands der Beklagten oder zumindest einzelner Vorstandsmitglieder getroffen worden.
Die beiden Kläger könnten Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die Vorteile durch Nutzung des jeweiligen Fahrzeugs verlangen.
Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Beklagte die Zulassung der Revision vor dem BGH begehren.