Der Europäische Gerichtshof hat am 06.10.2020 zum Aktenzeichen C-134/19 das Urteil des EuG bestätigt, mit dem die Klage der Bank Refah Kargaran auf Ersatz der Schäden, die ihr infolge der gegen sie verhängten restriktiven Maßnahmen entstanden sein sollen, abgewiesen wurde.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 124/2020 vom 06.10.2020 ergibt sich:
2010 und 2011 wurden die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der iranischen Bank Refah Kargaran im Rahmen der restriktiven Maßnahmen, die von der EU eingeführt wurden, um die Islamische Republik Iran zu zwingen, proliferationsrelevante nukleare Tätigkeiten und die Entwicklung von Trägersystemen für Kernwaffen einzustellen, eingefroren. Dieses Einfrieren der Gelder erfolgte durch die Aufnahme der Bank in die Liste der an der nuklearen Proliferation beteiligten Einrichtungen, die sich im Anhang mehrerer Beschlüsse befindet, die der Rat im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gemäß Art. 29 EUV schrittweise erließ. Diese GASP-Beschlüsse wurden in der Folge durch mehrere Verordnungen umgesetzt, die der Rat auf der Grundlage von Art. 215 AEUV erließ.
Die Bank Refah Kargaran erwirkte die Nichtigerklärung aller dieser Rechtsakte, soweit sie sie betrafen, wegen unzureichender Begründung (EuG, Urt. v. 06.09.2013 – T-24/11 „Bank Refah Kargaran/Rat“). Später, im November 2013, wurde sie auf der Grundlage einer angepassten Begründung erneut in die Liste im Anhang mehrerer vom Rat gemäß Art. 29 EUV bzw. Art. 215 AEUV erlassener Beschlüsse und Verordnungen aufgenommen. Das EuG hat jedoch der Klage der Bank u.a. auf Nichtigerklärung dieser Rechtsakte, soweit sie sie betrafen, nicht stattgegeben.
Am 25.09.2015 erhob die Bank Refah Kargaran erneut Klage, dieses Mal auf Verurteilung der Union zum Ersatz des Schadens, der aufgrund des Erlasses und der Beibehaltung der sie betreffenden restriktiven Maßnahmen, die durch das Nichtigkeitsurteil für nichtig erklärt worden waren, entstanden sein soll. Das EuG hat mit seinem Urteil vom 10.12.2018 (T-552/15 „Bank Refah Kargaran/Rat“) zum einen seine Zuständigkeit für die Entscheidung über eine Schadensersatzklage auf Ersatz des Schadens, der aufgrund von nach Art. 29 EUV ergangenen GASP-Beschlüssen entstanden sein soll, verneint. Zum anderen hat es die Schadensersatzklage, soweit sie auf den Ersatz des Schadens gerichtet war, der aufgrund des Erlasses der Verordnungen auf der Grundlage von Art. 215 AEUV entstanden sein soll, mit der Begründung als unbegründet abgewiesen, dass kein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm nachgewiesen worden sei.
Unter diesen Umständen hat die Bank Refah Kargaran (im Folgenden: Rechtsmittelführerin) beim EuGH ein Rechtsmittel eingelegt, das im Wesentlichen darauf gerichtet ist, dass der EuGH die Würdigung der Begründetheit der Schadensersatzklage durch das Gericht aufhebt und unter Ausübung seiner Evokationsbefugnis selbst in der Sache entscheidet und den Anträgen der Rechtsmittelführerin stattgibt.
Der EuGH hat das Rechtsmittel zurückgewiesen, jedoch nicht ohne festzustellen, dass das EuG einen Rechtsfehler begangen habe, indem es seine Zuständigkeit für die Entscheidung über den Antrag auf Ersatz des Schadens, der der Rechtsmittelführerin infolge der gemäß Art. 29 EUV ergangenen GASP-Beschlüsse entstanden sein soll, verneint hat.
Der EuGH hat als Erstes die Zuständigkeit des Unionsrichters für die Entscheidung über eine Schadensersatzklage, die auf Ersatz des Schadens gerichtet ist, der aufgrund restriktiver Maßnahmen entstanden sein soll, von Amts wegen geprüft, da diese Zuständigkeit eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung sei, so der EuGH. Im vorliegenden Fall entscheidet der EuGH zum einen, dass das EuG zu Recht seine Zuständigkeit für die Entscheidung über den Antrag auf Ersatz des Schadens, der der Rechtsmittelführerin aufgrund restriktiver Maßnahmen entstanden sein soll, die mit Verordnungen auf der Grundlage von Art. 215 AEUV gegen sie verhängt wurden, bejaht hat. Zum anderen habe das EuG hingegen einen Rechtsfehler begangen, indem es sich für die Entscheidung über diesen Antrag für unzuständig erklärt habe, soweit sich der mutmaßliche Schaden der Rechtsmittelführerin aus GASP-Beschlüssen ergeben soll, die gemäß Art. 29 EUV erlassen wurden.
Im Bereich der GASP sei die Regelung der Zuständigkeit des Unionsrichters seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon nämlich durch einen grundsätzlichen Ausschluss mit zwei Ausnahmen gekennzeichnet, von denen eine die Würdigung der Gültigkeit der Beschlüsse des Rates über den Erlass restriktiver Maßnahmen betreffe. In dieser Ausnahme sei zwar die Schadensersatzklage nicht ausdrücklich genannt, doch stützt sich der EuGH auf die erforderliche Kohärenz des Systems des gerichtlichen Rechtsschutzes, um seinen Prüfungsbereich auszulegen.
In diesem Zusammenhang sei zunächst auszuführen, dass diese Regelung der Zuständigkeit des Unionsrichters im Bereich der GASP eine Ausnahme von der Hauptaufgabe des Gerichtshofs darstelle, nämlich die Wahrung des Rechts zu sichern. Als solche sei diese Sonderregelung eng auszulegen. Da sich die Schadensersatzklage in ein Gesamtsystem des gerichtlichen Rechtsschutzes einfüge, das verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge, trage sie zur Wirksamkeit dieses Schutzes bei und erfordere daher eine Würdigung, die geeignet sei, jegliche Rechtschutzlücke zu verhindern und somit die Kohärenz des gesamten Schutzsystems zu wahren.
Im vorliegenden Fall sei festzustellen, dass trotz der Verbindung, die Art. 215 AEUV zwischen den auf dieser Grundlage erlassenen Verordnungen und den gemäß Art. 29 EUV erlassenen GASP-Beschlüssen herstelle, die mit solchen Rechtsakten erlassenen restriktiven Maßnahmen nicht zwangsläufig übereinstimmen, so dass durch die Unzuständigkeit des Unionsrichters für die Entscheidung über eine Schadensersatzklage im Zusammenhang mit in GASP-Beschlüssen vorgesehenen restriktiven Maßnahmen eine Rechtsschutzlücke entstehen könnte. Unter diesen Umständen habe das EuG einen Rechtsfehler begangen, indem es angenommen habe, dass eine Schadensersatzklage, die auf Ersatz des Schadens gerichtet sei, der einer natürlichen oder juristischen Person aufgrund von in GASP-Beschlüssen vorgesehenen restriktiven Maßnahmen entstanden sein soll, nicht in seine Zuständigkeit falle.
Als Zweites hat der EuGH die Rechtsmittelgründe geprüft, die auf die Aufhebung der Würdigung der Begründetheit der Schadensersatzklage durch das EuG gerichtet sind, soweit es einen Rechtsverstoß, der die außervertragliche Haftung der Union auslösen kann, verneint hat. Nach Ansicht des EuGH hat das EuG erstens zu Recht angenommen, dass die unzureichende Begründung der Rechtsakte zur Einführung der die Rechtsmittelführerin betreffenden restriktiven Maßnahmen für sich genommen nicht die Haftung der Union auslösen kann. Nachdem er die Tragweite des auf diese Weise bekräftigten Rechtsprechungsgrundsatzes erläutert hat, sei jedoch darauf hinzuweisen, dass die Begründungspflicht, die ein bloßes wesentliches Formerfordernis sei, von der Frage der sachlichen Richtigkeit der Begründung zu unterscheiden sei. Daraus folge, dass die Haftung der Union ausgelöst werden könne, wenn es dem Rat nicht gelinge, die Gründe für die erlassenen Maßnahmen darzulegen, was die materielle Rechtmäßigkeit des Rechtsakts berühre, sofern ein entsprechender Klagegrund zur Stützung der Schadensersatzklage vorgetragen wurde.
Zweitens weist der EuGH in diesem Zusammenhang die Rechtsmittelgründe zurück, mit denen die Rechtsmittelführerin dem EuG vorgeworfen hat, nicht erkannt zu haben, dass die außervertragliche Haftung der Union dadurch habe ausgelöst werden können, dass der Rat seine sich aus dem Nichtigkeitsurteil ergebende Pflicht, ihr die belastenden Umstände mitzuteilen, nicht erfüllt habe. Dem Nichtigkeitsurteil sei nämlich zu entnehmen, dass sich dieses Vorbringen nur auf den die Begründungspflicht betreffenden Klagegrund bezogen habe.
Nachdem der EuGH abschließend festgestellt hat, dass der Rechtsfehler, den die Prüfung des Gerichts hinsichtlich des Umfangs seiner Zuständigkeit aufweist, nicht die Aufhebung des angefochtenen Urteils rechtfertigen kann, da sich sein Tenor als richtig erweist, hat er das Rechtsmittel in vollem Umfang zurückgewiesen.