Das Landesarbeitsgericht Hessen hat mit Urteil vom 30.04.2021 zum Aktenzeichen 14 Sa 606/09 entschieden, dass wenn der Zielvereinbarungsprozess seitens des Arbeitgebers ohne Widerspruch des Arbeitnehmers über lange Zeit so praktiziert wurde, dass der Arbeitgeber eine einseitige Zielvorgabe vorgenommen hat, wenn die Verhandlungen über den Abschluss einer Zielvereinbarung scheiterten und erfolgt eine solche Zielvorgabe dann nicht, dem Arbeitnehmer dem Grunde nach gegen den Arbeitgeber ein Schadensersatzanspruch zusteht.
Dies gilt auch wenn die Zielvorgabe zwar nachgeholt wird, aber erst zu einem Zeitpunkt zu dem die Freistellung des Arbeitnehmers erfolgt ist oder
unmittelbar bevorsteht.
Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers auf variable Vergütung für das Geschäftsjahr 2018 aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes.
Der Kläger hat einen arbeitsvertraglich vereinbarten Anspruch auf einen erfolgsabhängigen Bonus in Höhe von € 43.970,00 brutto (100 %).
Im Rahmen des jährlichen Zielvereinbarungsprozesses werden zu Beginn des jeweiligen Wirtschaftsjahres die für die Mitarbeiter für dieses Wirtschaftsjahr vorgesehenen Ziele und Zielgewichtungen in einem Bonusplan festgehalten und den Mitarbeitern übergeben. Anschließend wird der Bonusplan von der Beklagten mit dem jeweiligen Arbeitnehmer erörtert sowie bei Bedarf gegebenenfalls angepasst.
Kommt es zu keiner Einigung, so setzte die Beklagte die Ziele in den vergangenen Jahren abschließend einseitig fest.
Das Geschäftsjahr 2018 der Beklagten begann am 01.09.2017 und endete am 31.08.2018.
Mit Schreiben vom 14.11.2017 forderte der Kläger die Beklagte auf, mit ihm in Verhandlungen über einen Bonusplan für das Jahr 2018 einzutreten.
Im Januar 2018 übersandte die Beklagte ihm einen Bonusplan für das Jahr 2018.
Im Rahmen der folgenden Verhandlungen gelang eine Einigung der Parteien nicht.
Mit Schreiben vom 14.03.2018 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30.06.2018 und stellte den Kläger gleichzeitig frei.
Der Kläger wurde bis zum Abschluss des Geschäftsjahres 2018 nicht mehr für die Beklagte tätig.
Der Kläger hat den Bonus 2018 im Wege des Schadensersatzes geltend gemacht.
Das ArbG Frankfurt am Main hat der Zahlungsklage im Wesentlichen stattgegeben.
Die Berufung der Beklagten hat zum Teil Erfolg.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz wegen nicht rechtzeitig erfolgter Zielvorgabe für das Geschäftsjahr 2018 gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3, §§ 283, 252 BGB.
Die Höhe des Schadens hat das LAG Hessen gemäß § 287 ZPO allerdings lediglich auf € 23.378,85 brutto geschätzt.
Die Beklagte war verpflichtet, eine einseitige Zielvorgabe vorzunehmen, nachdem eine Einigung der Parteien über eine Zielvereinbarung für das Geschäftsjahr 2018 nicht erzielt werden konnte.
Es kommt nicht darauf an, ob die Beklagte zu einer einseitigen Zielvorgabe berechtigt war, da sie dieses Procedere bereits seit Jahren praktiziert hat.
Der Arbeitnehmer kann bei dieser Praxis davon ausgehen, dass auch dann, wenn keine
Einigung erreicht wird, auf jeden Fall rechtzeitig während der Zielperiode die für seine variable Vergütung maßgeblichen Ziele feststehen.
Anders als in den Fällen der vereinbarten Nachwirkung der zuletzt geschlossenen Zielvereinbarung erlischt nämlich mit der einseitigen Vorgabe der Ziele durch den Arbeitgeber die Verhandlungspflicht der Parteien.
Diese Pflicht hat die Beklagte verletzt, weil sie die für den Kläger geltenden Ziele im Geschäftsjahr 2018 zunächst nicht einseitig festgesetzt hat, nachdem ein
Einvernehmen mit dem Kläger nicht hergestellt werden konnte.
Unabhängig davon, ob das Scheitern der Verhandlungen auf unrealistische Vorstellungen der Beklagten oder auf unrealistische Vorstellungen des Klägers zurückzuführen ist, war es an der Beklagten, entweder zeitnah eine Vereinbarung herbeizuführen oder deren Scheitern festzustellen und die Ziele einseitig vorzugeben.
Der Kläger kann gemäß § 280 Abs. 3 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen, weil eine einseitige Zielvorgabe mit seiner Freistellung ab dem 14.03.2018 unmöglich geworden ist.Eine in der Zielperiode pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe ist in gleicher Weise zulasten des Arbeitgebers schadensersatzauslösend, wie die pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossene Zielvereinbarung, allerdings ohne dass ein Mitverschulden des Arbeitnehmers in Betracht kommt.
Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach §§ 249 ff. BGB.
Dabei wirkt sich die Tatsache, dass der Kläger durch die Beklagte ab dem 14.03.2018 von der Verpflichtung zur Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt wurde und tatsächlich
im Geschäftsjahr 2018 auch keine Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht hat, bei der Schadensschätzung nicht aus.
Da sich der Annahmeverzugslohnanspruch des Klägers gemäß § 615 BGB nach dem Entgeltausfallprinzip bemisst, muss bei der Schätzung des Schadensersatzanspruchs des Klägers gemäß § 287 ZPO für den Annahmeverzugslohnzeitraum die gleiche Zielerreichungsquote zu Grunde gelegt werden, wie dies für Zeiträume der tatsächlichen Beschäftigung des Klägers der Fall gewesen wäre.