Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat am 19.02.2020 zum Aktenzeichen 7 U 139/16 entschieden, dass die Eltern eines behinderten Kindes einen Anspruch auf Schadensersatz haben können, wenn die Mutter von den behandelnden Ärzten nicht auf das Risiko einer schweren Behinderung des ungeborenen Kindes hingewiesen wurde und erwiesen ist, dass die Mutter die Schwangerschaft in einem solchen Fall abgebrochen hätte und dies gemäß § 218a StGB gerechtfertigt gewesen wäre.
Aus der Pressemitteilung des OLG Karlsruhe Nr. 7/2020 vom 21.02.2020 ergibt sich:
Die Klägerin suchte das beklagte Krankenhaus im Jahr 2011 wegen der Betreuung einer Schwangerschaft auf. Sie hatte bereits im Jahr 2010 eine Schwangerschaft aufgrund eines in dem beklagten Krankenhaus im Rahmen einer pränatalen Diagnostik festgestellten „Turner-Syndroms“ abgebrochen. Eine im November 2011 durchgeführte MRT-Untersuchung ergab eine „Balkenagenesie“. Dabei handelt es sich um ein Fehlen des Balkens zwischen den beiden Gehirnhälften. In solchen Fällen kommen zwar die meisten Kinder gesund zur Welt, in 12% der diagnostizierten Fälle kommt es allerdings zu schweren Behinderungen. Ob die Kläger über diesen Befund hinreichend aufgeklärt wurden, ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin brachte das Kind zur Welt, es leidet an schweren körperlichen und geistigen Einschränkungen. Die Eltern des Kindes verlangen von dem Krankenhaus und den behandelnden Ärzten Ersatz ihres durch die Betreuung des schwer behinderten Kindes entstehenden Mehraufwandes, weil sie auf das Risiko einer schweren Behinderung nicht hingewiesen worden seien. Sie behaupten, sie hätten bei Kenntnis dieses Risikos die Schwangerschaft abgebrochen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Das OLG Karlsruhe hat auf die Berufung der Kläger der Klage überwiegend stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat der Mutter ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro und den Eltern zudem Schadensersatz wegen der gegenüber einem gesunden Kind entstehenden vermehrten Unterhaltsleistungen und des vermehrten Pflegeaufwandes zugesprochen.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts waren die Ärzte nach dem Behandlungsvertrag verpflichtet, die Klägerin auf das Risiko einer schweren Behinderung hinzuweisen, da die Eltern sich mit dem erkennbaren Ziel in die Behandlung begeben haben, möglichst frühzeitig über solche möglichen Schädigungen informiert zu werden. Zwar hätten die behandelnden Ärzte der Klägerin empfehlen können, die Schwangerschaft nicht abzubrechen, da das Risiko einer schweren Fehlbildung zwar bestehe, in der überwiegenden Zahl der Fälle die Kinder aber gesund zur Welt kämen. Die Information über das Risiko einer schweren Behinderung durfte den Eltern jedoch nicht vorenthalten werden. Die Eltern wurden im Arztgespräch auf mögliche Verzögerungen in der Entwicklung, aber nicht über das Risiko schwerer Schädigungen aufgeklärt. Das Oberlandesgericht kam nach Anhörung der Mutter zu dem Ergebnis, dass die Mutter bei Kenntnis des Risikos einer schweren Behinderung die Schwangerschaft abgebrochen hätte und – nach sachverständiger Beratung durch einen Psychiater – dass der Schwangerschaftsabbruch im vorliegenden Ausnahmefall aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt bereits absehbaren, außergewöhnlich schweren gesundheitlichen Folgen für die Mutter gemäß § 218a Abs. 2 StGB gerechtfertigt gewesen wäre.
Das Oberlandesgericht hat der Mutter im Hinblick auf die bei ihr eingetretenen, schwerwiegenden psychischen Folgen, die ebenfalls durch einen psychiatrischen Sachverständigen festgestellt wurden, ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro zugesprochen. Ferner wurde den Eltern Schadensersatz wegen der gegenüber einem gesunden Kind entstehenden vermehrten Unterhaltsleistungen und des vermehrten Pflegeaufwandes zugesprochen. Dabei wurde insbesondere berücksichtigt, dass das Kind unter einer Fehlbildung der Augen leidet, nicht laufen, krabbeln, sprechen und greifen könne, der Schluckreflex schwer gestört sei und eine starke, therapieresistente Epilepsie eine erhöhte Fürsorge und dauernde Rufbereitschaft erfordere.
Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH ist möglich.