Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 05. Juni 2020 zum Aktenzeichen 1 BvR 2623/19 entschieden, dass ein zivilgerichtliches Verfahren über die Haftung nach § 1004 Abs. 1 BGB für die Sanierung eines Grundstücks zum Schutz eines benachbarten Grundstücks nicht verfassungswidrig ist.
Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines unbebauten Grundstücks in einem Teilort der Stadt Bad U. (i.F. Klägerin). Auf dem 1939 von dem Großvater des Beschwerdeführers erworbenen und anschließend im Wege der Erbfolge auf den Beschwerdeführer übergegangenen Grundstück wurde jedenfalls bis zum Jahr 1860 ein Steinbruch betrieben. So entstand an der südöstlichen Grundstücksgrenze eine senkrechte, teils überhängende Tuffsteinwand, die eine Höhe von bis zu acht Metern erreicht. Diese Tuffsteinwand grenzt an ein Grundstück der Klägerin, auf dem in geringem Abstand zur Tuffsteinwand eine in den 1970er Jahren befestigte und asphaltierte Straße verläuft. Zuvor hatte sich dort ein Schotterweg befunden. Im zivilgerichtlichen Ausgangsverfahren verlangte die Klägerin von dem Beschwerdeführer als Grundstückseigentümer Maßnahmen zur Sicherung der Tuffsteinwand. Die Tuffsteinwand ist von der zuständigen Denkmalschutzbehörde als Naturdenkmal klassifiziert worden. Die Sanierungskosten betragen unter Beachtung der Schutzauflagen voraussichtlich 300.000 Euro. Den Verkehrswert des Grundstücks gibt der Beschwerdeführer mit circa 5.000 Euro an. Im fachgerichtlichen Verfahren hat er geltend gemacht, seit dem Jahr 1860 seien keine Veränderungen an der Tuffsteinwand vorgenommen worden.
Mit angegriffenem Urteil vom 20. Mai 2016 verurteilte das Landgericht den Beschwerdeführer, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die Straße an der Grenze zum Grundstück des Beschwerdeführers abrutscht, aufbricht und abbricht. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch gemäß §§ 1004, 906 BGB zu. Der Beschwerdeführer sei als Zustandsstörer für die Standsicherheit des Grundstücks der Klägerin verantwortlich, weil seine Rechtsvorgänger in die Stabilität des Geländes eingegriffen hätten. Dass zunehmender Straßenverkehr zu einer Beschleunigung der Schadensentwicklung führe, sei ohne Bedeutung.
Auf die hiergegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers änderte das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts teilweise ab und verpflichtete die Klägerin, sich an den entstehenden Kosten mit 30 % zu beteiligen. Die Klägerin habe einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1, § 909 BGB. Der Beschwerdeführer hafte als Zustandsstörer. Es gehe letztlich um eine von Menschenhand geschaffene Gefahr. Die Klägerin müsse sich jedoch wegen der Mitverursachung und Beschleunigung des Gefahrenprozesses durch den Ausbau der Straße an der Abbruchkante in entsprechender Anwendung von § 254 BGB an den Beseitigungskosten beteiligen.
Dem Beschwerdeführer stehe kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB zu. Der Aufwand von 300.000 Euro für den Erhalt der Straße stehe offenkundig nicht in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse der Klägerin. Der Beschwerdeführer könne sich auch nicht auf die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte stützen. Die zur Altlastensanierung ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei nicht einschlägig. Die Entscheidung betreffe die Gefahren- und Störungsbeseitigung bezüglich der Gefahren von Altlasten für die Allgemeinheit, die dem Grundstückseigentümer durch die Behörden auferlegt werden. Hier gehe es aber nicht um die Auslegung von Normen des öffentlichen Rechts, sondern um die Auslegung von Normen, die die Ansprüche zwischen Privatpersonen regelten. So sei es im Zivilrecht regelmäßig ohne Bedeutung, ob eine Schädigung des anderen durch einen Gegenstand mit geringem oder hohem Wert herbeigeführt werde. Maßgebend sei der beim Geschädigten eingetretene Schaden. Damit sei es keine die Grenzen des Eigentums überschreitende unzumutbare Belastung, wenn zum Schutz des Nachbargrundstücks Maßnahmen verlangt würden, die Kosten verursachten, die den Wert des störenden Grundstücks erheblich überschritten.
Die gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberlandesgerichts erhobene Beschwerde wies der Bundesgerichtshof zurück.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG. Dem Oberlandesgericht sei eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie vorzuhalten. Es habe die Bedeutung der mittelbaren Drittwirkung der Eigentumsgarantie verkannt. Die Altlastenrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei hier einschlägig. Die Sanierungskosten überstiegen den Verkehrswert des Grundstücks um das 60-fache. Mit dem Ausbau der Straße habe erst die Klägerin die zentrale Ursache dafür gesetzt, dass nun Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erforderlich seien. Dies gebe Anlass, die geforderten Maßnahmen insgesamt als für den Zustandsstörer unzumutbar anzusehen.
Zwar formuliert das Oberlandesgericht die Reichweite der Grundrechtsbindung unzutreffend. Es nimmt an, der Beschwerdeführer könne sich hier nicht auf Grundrechte, namentlich das Eigentumsrecht (Art. 14 GG), stützen, weil keine Drittwirkung der Grundrechte bestehe. Dies ist nicht richtig. Vielmehr ist die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine Stadt, hier sogar unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Die öffentliche Hand ist auch bei privatrechtlichem Handeln und unabhängig davon grundrechtsgebunden, welche Zwecke sie mit ihrem Handeln verfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juli 2016 – 2 BvR 470/08 -, Rn. 29 f. m.w.N.). Trotz dieses unzutreffenden Ausgangspunkts hat das Oberlandesgericht die Bedeutung des Eigentums jedoch nicht grundlegend verkannt. Es hat das Eigentumsrecht ‒ sei es auch als einfachrechtliche Rechtsposition ‒ in Rechnung gestellt, hat die Eigentumsbelastung des Beschwerdeführers aber für zumutbar gehalten.
Der Beschwerdeführer hat nicht hinreichend dargelegt, dass die Einschätzung des Gerichts, seine Belastung sei zumutbar, Art. 14 Abs. 1 GG widerspricht.
Das Oberlandesgericht hat die Zumutbarkeit insbesondere nach § 275 Abs. 2 BGB beurteilt. Danach kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Das Oberlandesgericht ist der Ansicht, der Aufwand eines Betrags von 300.000 Euro stehe offenkundig nicht in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse der Klägerin, welches das Gericht durch „den Erhalt der vorliegenden Straße“ konkretisiert sieht.
In einem Spannungsverhältnis zu dieser nur anhand des Interesses der Allgemeinheit „am Erhalt der vorliegenden Straße“ zu erklärenden hohen Bewertung des Leistungsinteresses der Stadt steht allerdings, dass das Oberlandesgericht anschließend jede öffentlich-rechtliche Überformung des Nachbarrechtsstreits ausschließt: Die zur sogenannten Altlastensanierung ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, auf die sich der Beschwerdeführer hier beruft, sei nicht einschlägig, weil es um die Auslegung von Normen gehe, die die Ansprüche zwischen Privatpersonen regelten, nicht um die Auslegung von Normen des öffentlichen Rechts.
Ob den für die Altlastensanierung geltenden Maßgaben des Art. 14 Abs. 1 GG hier Bedeutung zukommt, bedarf jedoch keiner Entscheidung. Wäre dies zu bejahen, hätte der Beschwerdeführer jedenfalls nicht hinreichend dargelegt, danach in seinen Grundrechten verletzt zu sein.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Haftung des Grundstückseigentümers für die Sanierung von Altlasten (BVerfGE 102, 1 ff.) entzieht eine Haftung des Zustandsstörers dem Eigentümer das Grundstück nicht als Gegenstand künftiger Nutzung. Rechtlich bleiben die Substanz wie die Verfügungs- und Nutzungsbefugnisse unberührt. Die Belastung des Eigentümers mit den Kosten führt aber dazu, dass er Verluste aus dem Grundstück erleidet und in der Verwendung von Eigentum zu eigenem Nutzen beeinträchtigt wird. Im Regelfall hat er dies als Folge der Sozialbindung des Eigentums hinzunehmen, um eine effektive Beseitigung der von seinem Grundstück ausgehenden Gefahren zu ermöglichen. Zur Bestimmung der Grenze dessen, was einem Eigentümer hierdurch an Belastungen zugemutet werden darf, kann als Anhaltspunkt das Verhältnis des finanziellen Aufwands zu dem, auch hier vom Beschwerdeführer angeführten, Verkehrswert dienen. Überschreiten die Kosten den Verkehrswert, entfällt in der Regel das Interesse des Eigentümers an einem künftigen privatnützigen Gebrauch des Grundstücks. Er kann darüber hinaus nicht einmal damit rechnen, die entstehenden Kosten durch Veräußerung des Grundstücks gedeckt zu erhalten. Das Eigentum kann damit für ihn gänzlich seinen Wert und Inhalt verlieren. Mehr als einen Anhaltspunkt stellt der Verkehrswert allerdings unter anderem deshalb nicht dar, weil das individuelle Interesse des Eigentümers am Grundstück dessen Verkehrswert möglicherweise überschreitet (BVerfGE 102, 1 <20>).
Der Beschwerdeführer hat im vorliegenden Fall keinerlei Ausführungen dazu gemacht, wie sich sein individuelles Interesse an dem Grundstück zu dessen Verkehrswert verhält, sondern hat insoweit allein darauf abgestellt, dass die ihm auferlegte Haftung den Verkehrswert um ein Vielfaches überschreite. Dies genügt zur Begründung eines Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 GG nicht, weil nicht beurteilt werden kann, ob nicht sein Interesse am Grundstück dessen lediglich als Anhaltspunkt dienenden Verkehrswert überschreitet.
Soweit der Beschwerdeführer hinsichtlich der den Verkehrswert überschreitenden Höhe der zu erwartenden Sanierungskosten auf die naturschutzrechtliche Einstufung der Tuffsteinwand als Naturdenkmal verweist, fehlt es zudem an einer Auseinandersetzung mit der Frage einer naturschutzrechtlichen Befreiung beziehungsweise Entschädigung für die damit verbundenen Pflichten, die seine Belastung mindern könnten.