Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 24.04.2023 zum Aktenzeichen 7 L 1055/23.F entschieden, dass die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen als Gesellschafter der Frankfurter Messe GmbH dem Musiker und Antragsteller die Möglichkeit verschaffen müssen, sein geplantes Konzert am 28.05.2023 in der Festhalle durchzuführen.
Aus der Pressemitteilung des VG Frankfurt am Main Nr. 5/2023 vom 24.04.2023 ergibt sich:
Im Herbst 2022 schloss die Messe GmbH mit der Produktionsfirma des Antragstellers einen Vertrag zur Durchführung der Veranstaltung „Roger Waters 2023 Konzert“ am 28.05.2023 in der Frankfurter Festhalle. Die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen sind Gesellschafter der Messe GmbH und halten jeweils 60 bzw. 40 % Geschäftsanteile.
In der Festhalle wurden zu Zeiten der nationalsozialistischen Diktatur im November 1938 nach der Reichspogromnacht mehr als 3.000 jüdische Männer aus Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet zusammengetrieben, festgehalten, schwer misshandelt und anschließend der Deportation in die Konzentrationslager zugeführt. Entsprechende Gedenktafeln sind in der Rotunde der Halle und auf dem Vorplatz aufgestellt.
Mit Magistratsbeschluss vom 24.02.2023 wies die Stadt zusammen mit dem Land die Geschäftsführer der Messe GmbH an, den Veranstaltungsvertrag unverzüglich aus wichtigem Grund zu kündigen und damit die Festhalle nicht für das Konzert zur Verfügung zu stellen. In dem Rücktrittsschreiben der Messe GmbH an die Produktionsfirma des Antragstellers vom 21.03.2023 wurde hierzu ausgeführt, dass man auf mögliche israelfeindliche Äußerungen des Antragstellers und auf mögliche israelkritische Teile seiner Bühnenshow aufmerksam gemacht worden sei.
Nach erfolglosen Verhandlungen über die Nutzung der Festhalle und somit über die Vertragserfüllung hat der Antragsteller am 04.04.2023 einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main gestellt, mit dem er gegenüber dem Land und der Stadt Frankfurt am Main seinen Anspruch auf Nutzung der Festhalle geltend macht.
Mit Beschluss vom heutigen Tag hat die zuständige 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main dem Antrag überwiegend stattgegeben und entschieden, dass das Land Hessen und die Stadt Frankfurt am Main dem Antragsteller durch entsprechende Einwirkung auf die Geschäftsführer der Messe GmbH Zutritt zur Festhalle zur Durchführung des Konzertes am 28.05.2023 zu verschaffen haben.
Die Kammer hat zunächst ausgeführt, dass der Antrag gegen das Land Hessen und die Stadt Frankfurt am Main zulässig sei. Diese hätten gemeinsam Einwirkungsmöglichkeiten auf die Messe GmbH, weil sie die alleinigen Gesellschafter seien. Dies zeige schon der Magistratsbeschluss vom 24.02.2023, mit dem die Antragsgegner die Geschäftsführer der Messe GmbH angewiesen hätten, den Vertrag mit der Produktionsfirma des Antragstellers zu kündigen. Dem Antrag stehe auch nicht entgegen, dass es keine unmittelbaren vertraglichen Beziehungen zwischen dem Antragsteller und der Messe GmbH gebe, da die Zugangsbeschränkung auch die Rechte des Antragstellers selbst betreffe.
Inhaltlich habe der Antragsteller einen Anspruch auf Durchführung des Konzerts aus Art. 3 Grundgesetz in Verbindung mit der Selbstbindung der Verwaltung. Denn die Festhalle sei als Event- und Konzerthalle aufgrund der bisherigen Benutzungspraxis allgemein für Veranstaltungen und Konzerte von internationalen Künstlern sowie für Messen, Ausstellungen und Kongresse von Unternehmen gewidmet. Insoweit habe der Antragsteller einen Verschaffungsanspruch auf Zugang zu der Halle, den die öffentlichen Träger durch Einwirken auf den privatrechtlichen Betreiber zu erfüllen hätten. Das für den 28.05.2023 geplante Konzert sei vom Widmungszweck der Festhalle umfasst. Eine konkludente Widmungsbeschränkung aufgrund der besonderen historischen Bedeutung der Festhalle ergebe sich weder aus der bisherigen Benutzungspraxis noch aus anderen Umständen wie etwa den Gedenktafeln.
Durch die Entziehung der Nutzung der Festhalle werde der Antragsteller in seinem Grundrecht auf Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt. Die Konzertveranstaltung des Antragstellers sei als Kunstwerk zu betrachten. Bei einer Beschränkung der nach dem Grundgesetz schrankenlos gewährten Kunstfreiheit müsse entsprechend den verfassungsrechtlichen Wertungen zur Meinungsfreiheit bei Kunstwerken, die mehrere nachvollziehbare Interpretationsmöglichkeiten zulassen, diejenige Lesart gewählt werden, die nicht als in irgendeiner Form rechtswidrig oder gar sanktionsbedürftig einzustufen sei. Danach verletze das Konzert des Antragstellers nicht die Menschenwürde der in der Festhalle misshandelten jüdischen Männer und es lasse sich eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Geltungs- und Achtungsanspruchs der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden nicht zweifelsfrei feststellen. Zwar bediene sich der Antragsteller im Rahmen seiner Bühnenshow offenkundig einer an die nationalsozialistische Herrschaft angelehnten Symbolik.
Gerade vor dem historischen Hintergrund der Festhalle möge die Bühnenshow daher als besonders geschmacklos zu bewerten sein. Eine solche Bewertung entziehe sich jedoch der verwaltungs- bzw. verfassungsrechtlichen Prüfung. Entscheidend sei allein, dass der Auftritt des Antragstellers in seiner Gesamtschau nicht den Schluss zulasse, dass der Antragsteller nationalsozialistische Gräueltaten verherrliche oder relativiere oder sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziere.
Anhaltspunkte dafür, dass durch die Bühnenshow des Antragstellers oder von ihm selbst strafbare Handlungen, wie das Verwenden von Propagandamaterial und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§§ 86, 86 a Strafgesetzbuch) oder Volksverhetzung (§ 130 Strafgesetzbuch), begangen würden, seien nicht ersichtlich.
Gegen den Beschluss kann innerhalb von 2 Wochen nach der Zustellung Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in Kassel eingelegt werden.