Das Landgericht Neubrandenburg hat mit Beschluss vom 12.07.2019 zum Aktenzeichen 23 Qs 5/19 entschieden, dass ein Richter mit der folgenden Ausführung in einer Gerichtsentscheidung keine Beleidigung begeht:
Soweit der Nebenklagevertreter die Entscheidung des 2. Strafsenats vom 20.02.1969 ignorierend und unter Verweis auf seine allein richtig seiende Ansicht in der in Aussicht gestellten Entscheidung der Kammer eine Rechtsbeugung sieht, ist das eine ersichtlich narzisstisch dominierte Dummheit“.
Die Staatsanwaltschaft Stralsund witterte eine Beleidigung des Richters nach § 185 StGB und beantragte beim Amtsgericht einen Strafbefehl gegen den Richter.
Das Amtsgericht Neubrandenburg lehnte den Erlass des Strafbefehls an.
Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Stralsund Beschwerde ein.
Das Landgericht Neubrandenburg wies diese zurück.
Die Richter am Landgericht Neubrandenburg stellten fest, dass sich aus dem Kontext der Entstehung der Formulierung nicht ohne weiteres ergibt, dass mit der Formulierung nicht die Tatsache behauptet worden sind bzw. behauptet werden sollte, der Nebenklägervertreter leide an einer medizinisch relevanten, narzisstischen Persönlichkeitsstörung.
Vielmehr stellt die gewählte Beschlussformulierung nach den Richtern beim Landgericht Neubrandenburg eine Reaktion auf den Schriftsatz des Nebenklägervertreters dar, ohne die Persönlichkeit des Nebenklägervertreters als solche zu bewerten.
Die im Wortlaut des § 185 StGB nicht weiter definierte Straftat der Beleidigung besteht in einem rechtswidrigen Angriff auf die Ehre einer anderen Person durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung (vgl. Fischer, StGB, zu § 185 Rdr 4). Zu unterscheiden sind die sogenannte „einfache“ Beleidigung und die „Formalbeleidigung“ des § 192 StGB. Abzugrenzen ist der Tatbestand des § 185 StGB von den §§ 186 und 187 StGB. Die letztgenannten Tatbestände der üblen Nachrede und Verleumdung setzen die Äußerung von Tatsachen voraus, während von § 185 StGB auch Werturteile erfasst werden.
Ob eine Äußerung tatsächlich ehrverletzend ist, hängt nicht davon ab, wie der Empfänger sie verstanden hat, es kommt vielmehr auf den objektiven Sinngehalt an. Wesentlich hierfür ist, wie ein verständiger Dritter die Äußerung unter Beachtung der Begleitumstände und des Gesamtzusammenhanges versteht.
Das Wort “narzisstisch“ ist im alltäglichen Sprachgebrauch noch meist eher negativ besetzt, bezeichnet dann eine stark auf sich selbst bezogene Person, welche anderen weniger Beachtung als sich selbst schenkt.
Dies alles verdeutlicht, dass der objektive Betrachter jedenfalls nicht ohne weiteres die Behauptung einer „narzisstisch dominierten“ Handlungsweise als ehrverletzende Kundgabe der Missachtung auffassen wird.
Allerdings ist in dem Beschlusspassus „narzisstisch dominiert“ mit dem Begriff „Dummheit“ verknüpft.
Eine Interpretationsmöglichkeit besteht dahingehend, dass zum Ausdruck gebracht werden soll, dass Prof. N. aufgrund übersteigerter „Ich-Bezogenheit“ gehindert ist, adäquate berufliche Leistungen abzugeben. Dies würde eine ehrverletzende Kundgabe der Missachtung sein.
Ob die Verwendung des Begriffes „narzisstisch“ so sehr mit der Persönlichkeit des Adressaten verknüpft ist, dass die erstgenannte Interpretation zwingend ist oder der Sprachusus es mittlerweile auch zulässt, den Begriff auf Inhalte von Schriftstücken und sonstigen Erklärungen anzuwenden, kann letztendlich dahinstehen.
Die im streitgegenständlichen Beschlusspassus gewählte Formulierung ist nämlich jedenfalls durch § 193 StGB gerechtfertigt.
Auch wenn man die Ausführungen des Nebenklagevertreters trotz der Schärfe der gewählten Tonart als im Rahmen des „Kampfes ums Recht“ noch nicht als ihrerseits strafrechtlich relevant ansehen will (vgl. dazu neuere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, beispielsweise in NJW 2017, 1460; NJW 2016,2870), sind sie als polemisch und verletzend einzustufen.
Das Landgericht Stralsund bestätigte damit die Entscheidung des AG Neubrandenburg zum Aktenzeichen 303 Cs 895/18.