Das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven hat mit Urteil vom 18. Januar 2024 zum Aktenzeichen 3 Ca 3167/23 über die Zahlungsklage eines Arbeitnehmers entschieden, die sich gegen die Anrechnung einer von der Rheinmetall Electronics GmbH gewährten Inflationsausgleichsprämie auf ein tarifliches Zusatzgeld richtete.
Aus der Pressemitteilung des ArbG Bremen-Bremerhaven vom 18.01.2024 ergibt sich:
Die Rheinmetall Electronics GmbH war, anders als andere Unternehmen des Rheinmetall-Konzerns, bis 2020 nicht tarifgebunden. Im Jahr 2020 schloss sie mit der IG Metall einen Haustarifvertrag (HTV), mit dem sie im Wesentlichen die Flächentarifverträge der Metall und Elektroindustrie im Tarifgebiet Unterweser anerkannte. Dadurch vereinbarte sie die Anwendbarkeit dieser Tarifverträge in ihrem Unternehmen. Zu diesen Tarifverträgen gehört u.a. der Tarifvertrag über ein tarifliches Zusatzgeld (TV TZUG). Danach erhalten die Beschäftigten jährlich ein tarifliches Zusatzgeld. Der HTV enthält Abweichungen von den Flächentarifverträgen in den Bereichen Arbeitszeit und Entgelt. In Hinblick auf das Entgelt sieht § 4.2 Nr. 3 des HTVi eine Abweichung von den jährlichen Tariferhöhungen der Fläche durch eine Anrechenbarkeit auf das tarifliche Zusatzgeld vor. Dieser Bestimmung nach „wird nach jeder Tariferhöhung der Fläche der Geldwert der tariflichen Entgelterhöhung (sämtliche geldwerten Bestandteile einer Tarifeinigung)“, der eine bestimmte Grenze überschreitet, ermittelt und sodann das tarifliche Zusatzgeld um den ermittelten Geldwert gekürzt. Im November 2022 schlossen der Arbeitgeberverband Nordmetall und die IG Metall einen „Tarifvertrag Inflationsausgleichsprämie“ (TV IAP). Danach vereinbarten sie „zur Abmilderung steigender Verbraucherpreise“ „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie“, die in zwei Teilen in Höhe von jeweils 1.500,00 EUR auszahlbar ist. In § 7 des TV IAP heißt es: „Die Inflationsausgleichsprämien […] sind keine Tariferhöhungen“ im Sinne bestimmter Entgelttarifverträge.
Der Kläger, Mitglied der IG Metall, ist seit vielen Jahren bei der beklagten Rheinmetall Electronics GmbH beschäftigt. Mitte 2022 zahlte die Beklagte das tarifliche Zusatzgeld zunächst ungekürzt an ihn und andere aus. Im Dezember 2022 leistete sie die Inflationsausgleichsprämie und verrechnete diese Zahlung rückwirkend mit dem tariflichen Zusatzgeld. Nachdem eine Geltendmachung mit Schreiben des Klägers vom 24. Januar 2023 erfolglos geblieben war, erhob er im Juli 2023 vor dem Arbeitsgericht Klage auf Auszahlung des tariflichen Zusatzgeldes in der verrechneten Höhe von 1.500,00 EUR brutto.
Der Kläger hält die Anrechnung für nicht zulässig. Bei der Inflationsausgleichsprämie handele es sich nicht um eine „Tariferhöhung in der Fläche“ im Sinne von § 4.2 Nr. 3 HTV. Sie sei auch keine „Entgelterhöhung“, weil sie nach der Zweckbestimmung im TV IAP zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn und nicht als Entgelt gewährt werde. Die Zusätzlichkeit sei nur erfüllt, wenn es keine Anrechnung gebe. Auch § 7 Abs. 1 TV IAP schließe die Verrechnung auf Tariferhöhungen aus. Die Beklagte hält die Anrechnung nach § 4.2 Nr. 3 HTV für zulässig. Auch die Inflationsausgleichsprämie sei „Arbeitsentgelt“ bzw. „Arbeitslohn“ sowie eine „Tariferhöhung in der Fläche“ im Sinne der Tarifbestimmungen. Der Klammerzusatz „sämtliche geldwerten Bestandteile einer Tarifeinigung“ sei als Definition des Begriffs der „Tariferhöhung“ zu verstehen. Daraus ergebe sich, dass auch die Inflationsausgleichsprämie als geldwerter Bestandteil der Tarifeinigung anrechenbar sei. § 7 Abs. 4 TV IAP stehe der Anrechnung nicht entgegen, denn der Geltungsgrund dieses Tarifvertrags sei die Anerkennung durch den HTV. Dieser habe daher absoluten Anwendungsvorrang. Seinem Sinn nach komme in § 4.2 Nr. 3 HTV ein Schutz des Unternehmens vor Überforderung durch Tariferhöhungen der Fläche zum Ausdruck, der auch für eine Leistung wie die Inflationsausgleichsprämie gelte.
Das Gericht entschied, dass die Anrechnung der Inflationsausgleichsprämie auf das tarifliche Zusatzgeld unzulässig ist, und verurteilte die Beklagte zur Zahlung. Die Anrechnung kann nicht auf § 4.2 Nr. 3 HTV gestützt werden. Bei der Inflationsausgleichsprämie handelt es sich nicht um eine Tariferhöhung im Sinne dieser Tarifbestimmung. Der Klammerzusatz „sämtliche geldwerten Bestandteile einer Tarifeinigung“ ist nicht bestimmend für den Begriff der Tariferhöhung. Vielmehr wird eine Tariferhöhung im Sinne einer Erhöhung der Entgelte, die als Gegenleistung für die Arbeit erbracht werden, vorausgesetzt, damit eine Anrechnung vorgenommen werden kann. Für den Umfang der anrechenbaren Leistungen ist der Klammerzusatz als erläuternde Nebenbestimmung heranzuziehen.
Anders als die Beklagte ging das Gericht von einer ordnungsgemäßen und nach den Tarifbestimmungen rechtzeitigen Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger aus.
Das Gericht hat die Berufung zugelassen.