Das Bayerischer Landessozialgericht hat mit Urteil vom 20.04.2021 zum Aktenzeichen L 13 R 508/12 entschieden, dass ein Repetitor in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist.
Der Kläger ist in seiner Tätigkeit als juristischer Repetitor versicherungspflichtig gemäß § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und auch auf seinen Antrag hin nicht von der Versicherungspflicht zu befreien.
Die Voraussetzungen für die beantragte Befreiung sind weder nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI noch nach § 6 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 SGB VI oder § 6 Abs. 5 SGB VI erfüllt.
Die Voraussetzungen für eine Befreiung in der streitigen Tätigkeit als Repetitor haben auch in der Sache nicht vorgelegen.
Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn
a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1.1.1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.
Der Kläger war im streitigen Zeitraum als selbstständig tätiger Lehrer rentenversicherungspflichtig. Die daneben bestehende Zulassung als Rechtsanwalt bei der RAK München mit gleichzeitiger verpflichtender Mitgliedschaft bei der Beigeladenen führte zwar dazu, dass die formalen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfüllt waren. Allerdings gibt § 6 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGB VI versicherungspflichtig Beschäftigten, die gleichzeitig verkammerte Mitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nur für die „Beschäftigung, wegen der“ sie auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind. Das war vorliegend ausschließlich die Tätigkeit des Klägers als selbstständiger Rechtsanwalt. Auch wenn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft weder im Blick auf eine „Beschäftigung“ noch auf einen bestimmten Kreis anwaltlicher Betätigungen erfolgt, sondern mit der statusbegründenden Zulassung stets der volle Umfang anwaltlicher Berufsausübung eröffnet ist, der damit auch zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung führt, muss das Erfordernis einer anwaltlichen Tätigkeit aufgrund des Tatbestandselements derselben Beschäftigung auch für die streitige Beschäftigung oder Tätigkeit geprüft werden und vorliegen. Dazu hat das BSG die Auffassung vertreten, dass dies bei einer neben einer anwaltlichen Tätigkeit ausgeübten abhängigen Beschäftigung von vornherein ausscheidet (vgl. dazu grundlegend die Entscheidungen des BSG vom 03.04.2014.
Nichts anderes gilt für die streitige selbstständig ausgeübte Tätigkeit als Repetitor. Der Kläger war zwar in dieser Nebentätigkeit nicht abhängig beschäftigt. Es hat sich aber dabei um keine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit gehandelt. Als Rechtsanwalt ist der Kläger gemäß § 1 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) unabhängiges Organ der Rechtspflege. Gemäß § 3 Abs. 1 BRAO ist er der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. Maßgebliches Merkmal der anwaltlichen Tätigkeit ist damit die Beteiligung an der Regelung von Rechtsangelegenheiten. Selbst wenn das Bild des reinen Prozessanwaltes überholt sein sollte und auch die vermittelnde und schlichtende sowie die rechtsgestaltende Tätigkeit zum Berufsbild des Anwaltes gehört, darf der Zusammenhang mit „Rechtsangelegenheiten“ nicht abgeschnitten werden. Die Tätigkeit des Klägers für das juristische Repetitorium ist dagegen eine reine Lehrtätigkeit. Selbst wenn die praktischen Erfahrungen als Rechtsanwalt dabei von Nutzen sind oder sogar Einstellungsvoraussetzung waren, so war er in dieser Tätigkeit nicht als Organ der Rechtspflege tätig und nicht mit der Regelung von Rechtsangelegenheiten betraut. Die Lehrtätigkeit würde für sich allein auch keine Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer und dem berufsständischen Versorgungswerk begründen. Die Pflichtmitgliedschaft des Klägers dort beruht auf seiner Zulassung und Tätigkeit als freiberuflicher Rechtsanwalt.
Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1a Satz 1 Nr.1 SGB VI, die sich ausdrücklich nur auf den Tatbestand der Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI und nicht auf den des selbstständig tätigen Lehrers (§ 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) beziehen, sind ebenfalls nicht gegeben. Für versicherungspflichtige selbstständig tätige Lehrer gibt es nur unter der Voraussetzung einer Absicherung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen, die vorliegend nicht bestanden hat, eine eigenständige Befreiungsmöglichkeit (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI). Andere Vorschriften, nach denen der Kläger im streitigen Zeitraum von der Rentenversicherungspflicht befreit werden könnte, liegen nicht vor.
Auch die Voraussetzungen für eine Erstreckung der Befreiung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI sind nicht erfüllt.
Nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI erstreckt sich die Befreiung in den Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB VI auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Regelung in § 6 Abs. 5 SGB VI sicherstellen, dass eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit nicht zu einem Wechsel des Alterssicherungssystems führt. Diese Regelung sollte insbesondere für Zeiten des Wehrdienstes gelten. Mit der Erstreckung wird aber auch den Fällen einer nur vorübergehenden Unterbrechung der bisherigen Tätigkeit und Ausübung einer (befristeten) sonstigen Beschäftigung oder Tätigkeit Rechnung getragen. Auch in dem vom Sozialgericht München mit Urteil vom 22.05.2019 entschiedenen Fall, auf das sich der Kläger beruft, hat es sich nach dem Sachverhalt um eine vorübergehend anstelle der bisherigen Tätigkeit ausgeübte Beschäftigung gehandelt. Ob auch neben der Haupttätigkeit ausgeübte (Neben-)Tätigkeiten von der Erstreckungsregelung des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI erfasst werden, hat das BSG im Urteil vom 31.10.2012 unter Hinweis auf den Meinungsstreit ausdrücklich offengelassen. Gegen eine Anwendung des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI auf Nebentätigkeiten hat sich insbesondere das LSG Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 13.07.2015 ausgesprochen, was es vor allem damit begründet hat, dass ein „Wechsel“ der Alterssicherungssysteme nur vorliege, wenn ein Alterssicherungssystem verlassen werde und der Eintritt in ein anderes erfolge. In dieser Entscheidung hat das LSG auch das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 23.03.2012, auf das sich der Kläger in seiner Berufung bezogen hat, deswegen aufgehoben. Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen liegt ein „Wechsel“ der Alterssicherungssysteme nicht vor, wenn zwei unterschiedlichen Alterssicherungssystemen zugehörige Tätigkeiten nebeneinander ausgeübt werden. Für die Möglichkeit einer Erstreckung der Befreiung auch auf Nebentätigkeiten sprechen sich dagegen vor allem Fichte aus. Danach sollen vor allem der Gesetzeszweck und die Überlegung einer Gleichbehandlung mit versicherungsfreien Personen sowie das Interesse an einem möglichst einheitlichen Sicherungsstatus für eine Erstreckung der Befreiung bei Ausübung einer Nebentätigkeit ebenso wie bei Ausübung einer Tätigkeit während einer Unterbrechung der Hauptbeschäftigung sprechen.
Vorliegend kann allerdings auch für den Zeitraum bis 31.10.2008 dahingestellt bleiben, welcher Auffassung zu folgen ist. Denn in jedem Fall scheitert eine Einbeziehung des Klägers in die Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI daran, dass es sich um eine ihrer Eigenart oder vertraglich von vornherein befristete Tätigkeit handeln müsste. Insoweit ist keine grundsätzlich andere Beurteilung gerechtfertigt, als bei der Prüfung der Zeitgeringfügigkeit, auch wenn eine konkrete zeitliche Grenze hier nicht genannt wird. Jedenfalls muss absehbar sein, dass die unterbrochene Tätigkeit fortgesetzt wird bzw. die Nebentätigkeit wieder aufgegeben wird. Nach a. A. darf die andere Tätigkeit nicht zur dauerhaften beruflichen Alternative werden bzw. es muss sichergestellt sein, dass der Betroffene seinem sozialen Erscheinungsbild nach grundsätzlich noch zu dem Personenkreis zählt, der originär nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 versicherungsbefreit ist. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist für die Beurteilung der vorübergehenden Ausübung vor allem entscheidend auf deren voraussichtliche Dauer abzustellen. Eine andere Auslegung, die maßgeblich nur auf das Verhältnis der Haupttätigkeit zur Nebentätigkeit abstellt, wäre weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck der Erstreckungsregelung in § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI zu vereinen. Denn Sinn und Zweck der Erstreckungsregelung in § 6 Abs. 5 SGB VI ist die Erstreckung der Befreiung auf vorübergehende berufsfremde Tätigkeiten oder Beschäftigungen, was vor allem eine zeitliche Komponente beinhaltet. Gegen die Erstreckung der Befreiung auf eine zukunftsoffen vereinbarte Tätigkeit spricht auch der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI, wonach der Versorgungsträger für die „Zeit der Tätigkeit“ den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleisten muss.
Die Frage, ob eine Tätigkeit i.S.d. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI ihrer Eigenart nach oder vertraglich begrenzt ist, stellt dabei eine Prognoseentscheidung dar, die auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Versicherungspflicht durch den zuständigen Versicherungsträger gerichtet ist. Sie ist darauf angelegt, durch eine verbindliche Feststellung Rechtsfrieden nicht nur punktuell, sondern dauerhaft für die gesamte Zeit des unverändert fortbestehenden zu beurteilenden Lebenssachverhalts zu schaffen. Diese Entscheidung ist anhand der bis zur bescheidmäßigen Entscheidung erkennbaren bzw. bekannten Tatsachen zu treffen. Sie beruht auf erhobenen Daten und Fakten und damit auf Erkenntnissen aus der Vergangenheit, auf deren Basis unter Berücksichtigung zu erwartender Veränderungen eine Vorausschau für die Zukunft getroffen wird. Dabei sind alle bei der Prognosestellung für die Beurteilung der künftigen Entwicklung erkennbaren Umstände zu berücksichtigen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind und Einfluss auf die zu beurteilenden Umstände haben. Grundlage der Prognose können daher nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erkennbare Umstände sein. Spätere Entwicklungen, die bei Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums noch nicht erkennbar waren, können eine Prognose weder bestätigen noch widerlegen.