Das Amtsgericht Hannover hat mit Urteil vom 09.04.2021 zum Aktenzeichen 502 C 12946/20 entschieden, dass ein Reisender keine Stornokosten für eine Reise bezahlen muss, wenn zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung eine nicht nur unerhebliche Wahrscheinlichkeit bestand, dass die Reise aufgrund der Covid-19-Pandemie erheblich beeinträchtigt sein würde.
Aus der Pressemitteilung des AG Hannover vom 22.04.2021 ergibt sich:
Das Gericht hatte in dem anhängigen Zivilverfahren zu entscheiden, ob eine Rücktrittserklärung des Klägers wirksam war. Die Buchung der Reise wurde zu einem Zeitpunkt durchgeführt, als mit der Entwicklung der Pandemie noch nicht zu rechnen war. Die Rücktrittserklärung hingegen ist zum Zeitpunkt der Gültigkeit einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes erfolgt.
Nach den Feststellungen des Gerichts buchte der Kläger bei dem Reiseunternehmen für sich und seine Ehefrau am 02.01.2020 eine Pauschalreise mit Flug von Frankfurt nach Hurghada und zurück nebst Aufenthalt in einem Hotel in El Quseir für die Zeit vom 25.12.2020 bis 08.01.2021 für 2.060,00 €. Vereinbarungsgemäß leistete er eine Anzahlung in Höhe von 515,00 €.
Mit Schreiben vom 15.09.2020 erklärte der Kläger unter Berufung auf durch die Corona-Pandemie veranlasste außergewöhnliche Umstände den Rücktritt vom Pauschalreisevertrag. Das beklagte Reiseunternehmen erteilte dem Kläger unter Berufung auf in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen niedergelegte Stornobedingungen eine Stornorechnung über 824,00 €. Der Kläger beauftragte danach einen Rechtsanwalt und ließ diesen mit Schreiben vom 19.11.2020 zur Rückzahlung der geleisteten Anzahlung auffordern und die Gegenforderung auf Zahlung von Stornokosten zurückweisen.
Der Kläger begründet seine Klage auf Rückzahlung mit den am Bestimmungsort aufgetretenen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt hätten. Hierzu bezieht er sich auf die vom Auswärtigen Amt am 15.03.2020 veröffentlichte weltweite Reisewarnung. In dieser heißt es: „Das Auswärtige Amt warnt vor nicht notwendigen, touristischen Reisen in das Ausland, da mit starken und weiter zunehmenden drastischen Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und weltweiten Einreisebeschränkungen, Quarantänemaßnahmen und der Einschränkung des öffentlichen Lebens in vielen Ländern zu rechnen ist. Das Risiko, dass Sie ihre Rückreise aufgrund der zunehmenden Einschränkungen nicht mehr antreten können, ist in vielen Destinationen derzeit hoch.“ Jedermann habe im September 2020 klar sein müssen, dass eine Pauschalreise nach Ägypten im Dezember 2020 nicht stattfinden könne, da eine Infektionswelle zu erwarten gewesen sei.
Das beklagte Reiseunternehmen ist hingegen der Auffassung, die Reise sei zum Zeitpunkt des Rücktritts weder durch außergewöhnliche Umstände erheblich beeinträchtigt gewesen, noch sei absehbar gewesen, dass dies der Fall sein werde. Insbesondere sei die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes kein Anlass für eine kostenlose Stornierung. Etwaige Sicherheitsmaßnahmen und Hygienevorschriften hätten den Kläger ebenso in der Bundesrepublik treffen können, dies gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko. Die vereinbarte Stornopauschale von 40 % sei angemessen. Dies entspreche dem branchenüblichen Schaden.
Das AG Hannover hat das Reiseunternehmen zur Rückzahlung einer Anzahlung für eine gebuchte Reise nach Ägypten in Höhe von 515 Euro verurteilt.
Der Kläger hat nach der Entscheidung des Gerichts gegen das beklagte Reiseunternehmen einen Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung gemäß § 651h Abs. 5 BGB, da dieser vom Vertrag zurückgetreten ist und das beklagte Reiseunternehmen hierdurch den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verloren hat, § 651h Abs. 1 Sätze 1 und 2 BGB.
Das Reiseunternehmen hat gegen den Kläger keinen Anspruch auf Zahlung einer pauschalen Entschädigung in Höhe der geleisteten Anzahlung gemäß § 651h Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BGB in Verbindung mit der in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen niedergelegten Stornoklausel. Gemäß § 651h Abs. 3 BGB kann der Reiseveranstalter nämlich dann keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.
Nach ersichtlich herrschender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ist für die Beurteilung dieser Voraussetzungen darauf abzustellen, ob zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung eine nicht nur unerhebliche Wahrscheinlichkeit bestand, dass die Reise aufgrund der Covid-19-Pandemie erheblich beeinträchtigt sein würde.
Hiervon ist aufgrund des Vortrags der Parteien und aufgrund der allgemeinkundigen Umstände auszugehen. Maßgeblich ist dabei, dass für das außereuropäische Ausland, mithin auch für das hier gegenständliche Reiseziel Ägypten, die im Tatbestand zitierte Reisewarnung des Auswärtigen Amtes zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung Bestand hatte. Nach dem Inhalt der Reisewarnung war damit zu rechnen, dass die Reise aufgrund behördlicher Anordnungen, nämlich aufgrund eines generellen Einreiseverbotes oder aufgrund eines Verbotes des Hotelbetriebs vereitelt werden würde. Es war zudem nach ihrem Inhalt damit zu rechnen, dass im Fall der Möglichkeit der Einreise und des Hotelaufenthaltes die Reise erheblich beeinträchtigt sein würde. Hier kam es insbesondere in Betracht, dass aufgrund behördlicher Anordnungen die Bewegungsfreiheit der Reisenden vor Ort derart eingeschränkt sein könnte, dass der Zweck eines Erholungs- und Badeurlaubes nicht mehr erreicht werden könnte. Schließlich kam es in Betracht, dass aufgrund behördlicher Anordnungen die Reise abgebrochen werden müsste oder die Rückreise nicht zur vertraglich vereinbarten Zeit erfolgen könnte.
Aufgrund der gegebenen Umstände bestand zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung für eine Vereitelung oder eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise auch eine erhebliche Wahrscheinlichkeit. Im September 2020 wurde – dies ist allgemeinkundig – von vielen Vertretern aus Politik und Wissenschaft über die Medien die Erwartung geäußert, dass die Pandemie sich in den folgenden Wochen wieder weltweit verstärkt ausbreiten werde. Diese durch die tatsächliche Entwicklung bestätigte Erwartung hat in der Zeit ab November 2020 auch zu entsprechenden Beschränkungen touristischer Aktivitäten geführt.
Der Ansicht des Reiseunternehmens, die pandemiebedingten Auswirkungen gehörten zum allgemeinen Lebensrisiko und seien kein Reisemangel, ist nicht zu folgen. Die drohenden behördlichen Restriktionen führen im Fall ihres Eintritts dazu, dass sich die Reise nicht mehr im Sinne des § 651i Abs. 2 Nummer 1 BGB für den nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen des gebuchten Erholungsurlaubes eignet. Es ist danach unerheblich, inwieweit durch im Zusammenhang mit der Pandemie getroffene obrigkeitliche Anordnungen auch zu einer Beeinträchtigung der allgemeinen Lebensumstände führen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es sind bei den Gerichten eine Vielzahl von Klagen anhängig, die die Frage zum Gegenstand haben, ob bei einem Rücktritt im Zusammenhang mit der Pandemie die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB gegeben sind. Die Rechtsprechung ist uneinheitlich. Obergerichtliche Rechtsprechung existiert bislang nicht. Das Gericht hat daher die Berufung gegen das Urteil zugelassen, da dieses zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.