Am 03. Juli 2000 wurde der Erlass zur Personalführung homosexueller Soldaten aufgehoben.
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer stellt Betroffenen Abhilfe in Aussicht.
Aus dem Beitrag auf der Webseite des Bundesverteidigungsministeriums vom 03.07.2020 ergibt sich:
Aus heutiger Perspektive ist es kaum noch vorstellbar: Bis zur Jahrtausendwende sind homosexuelle Soldaten der Bundeswehr systematisch diskriminiert worden. Der vermeintlich sprunghafte Lebenswandel homosexueller Offiziere und Unteroffiziere lasse es nicht zu, dass sie ein Vorbild für ihre Mannschaften sein könnten, so die langjährige Position der Bundeswehr. Zudem konnte Homosexualität die Annahme eines Sicherheitsrisikos rechtfertigen.
Homosexuelle Soldaten wurden in der Folge von Führungs- und Ausbildungsaufgaben entbunden, wenn ihre sexuelle Orientierung bekannt wurde. Sie hatten bei Beförderungen und anderen personellen Auswahlentscheidungen erhebliche Nachteile zu erwarten. Dies führte dazu, dass sie auch bei Sold und Pension erhebliche Einbußen im Vergleich zu ihren heterosexuellen Kameraden hinnehmen mussten. Andere wurden sogar aus der Bundeswehr entlassen. Erst zur Jahrtausendwende änderte sich diese Praxis: Am 3. Juli 2000 wurde der Erlass aus dem Jahre 1984 außer Kraft gesetzt und zog damit einen Schlussstrich unter die Ausgrenzung homosexueller Soldaten der Bundeswehr.
Homosexuelle Soldaten sind Alltag in den Streitkräften
Es gehe heute nicht mehr darum, zu tolerieren, sondern um Respekt, Wertschätzung sowie die Achtung jedes Einzelnen, so die Ministerin.
Zwanzig Jahre später sind homosexuelle Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr Alltag. Im März traf sich Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mit Vertreterinnen und Vertretern des Vereins QueerBw, zuvor Arbeitskreis Homosexueller Angehöriger der Bundeswehr e.V.eingetragener Verein. „Jahrzehntelang sind homosexuelle Angehörige in der Bundeswehr ungerecht behandelt worden“, stellte die Ministerin fest. Die Diskriminierungen seien viel zu spät aufgehoben worden, so Kramp-Karrenbauer, und stellt Abhilfe in Aussicht: „Ich bedaure diese Praxis, die für die Politik der damaligen Zeit stand. Bei denen, die darunter zu leiden hatten, entschuldige ich mich. Daher strebe ich eine neue gesetzliche Grundlage an, die die berechtigten Anliegen der Betroffenen aufgreifen wird.“ Die Bundeswehr von heute sei eine andere. „Heute geht es nicht darum, zu tolerieren. Es geht um Respekt, Wertschätzung und Achtung eines jeden Einzelnen. Deshalb ist es wichtig und richtig, die Vergangenheit aufzuarbeiten, Veränderungsprozesse anzustoßen und die Bundeswehr für neues Denken weiter zu öffnen“, so die Ministerin.
Laut Verteidigungsministerium ist geplant, im September einen Gesetzesentwurf insbesondere für die Rehabilitierung jener Soldaten vorzulegen, die aufgrund einvernehmlicher sexueller Handlungen truppendienstlich belangt und verurteilt worden sind. Entsprechende Vorschläge wurden seit März gesammelt. Derzeit wird an dem Gesetzesentwurf mit Nachdruck gearbeitet.
Kameradschaft meint auch Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten
Homosexuelle Handlungen waren bis Ende der 1960er Jahre eine Straftat – und wurden damit auch zum Fall für die Truppendienstgerichte, wenn gegen einen Soldaten ermittelt wurde. „Widernatürliche Unzucht“ nach § 175 Strafgesetzbuch konnte mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Homosexuelle Soldaten mussten in den Anfangsjahren der Bundeswehr damit rechnen, degradiert oder entlassen zu werden. Später konnten sie zwar in den Streitkräften bleiben, wurden aber nicht mehr mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut. Das bedeutete das Aus für die Karriere. Spektakulärster Fall war die sogenannte „Kießling-Affäre“ von 1983, als General Günter Kießling wegen vermeintlicher Homosexualität vorzeitig in den Ruhestand versetzt wurde. Er wurde später rehabilitiert.
Der § 175 wurde nach mehreren Reformen erst im Jahr 1994 ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Die Bundeswehr hielt aber weiter an der Auffassung fest, dass Homosexuelle ein Risiko für die Streitkräfte seien. Erst durch Aufhebung des Erlasses vom 3. Juli 2000 zur Personalführung homosexueller Soldaten sowie der im Dezember 2000 vom damaligen Generalinspekteur Harald Kujat erlassenen „Führungshilfe für Vorgesetzte Umgang mit Sexualität“ wurde die Pflicht zur Kameradschaft auch zur Pflicht zur Toleranz gegenüber Homosexuellen und anderen sexuellen Minderheiten.
Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz von 2006 wurde der Diskriminierung von Minderheiten in der Gesellschaft und den Streitkräften ein rechtlicher Riegel vorgeschoben. Seitdem ist die Benachteiligung von Menschen insbesondere wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder Weltanschauung oder wegen ihrer sexuellen Identität untersagt. Bei vermeintlicher oder tatsächlicher Diskriminierung können Betroffene sich beschweren und Schadensersatz verlangen.
Die Bundeswehr fördert Vielfalt gezielt seit 2012
Das Verteidigungsministerium bekennt sich seit 2012 zu dem Ziel, den respektvollen Umgang mit Minderheiten durch ein modernes Vielfaltsmanagement („Diversity Management“) zu unterstützen. Das Stabselement Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion sorgt seit 2016 für die Umsetzung. Seit 2017 wurde zudem eine Ansprechstelle „Diskriminierung und Gewalt in der Bundeswehr“ eingerichtet. Von Diskriminierung Betroffene können die Ansprechstelle kontaktieren, um ihre Interessen zu wahren. Einer kleinen Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion aus dem Juni 2020 zufolge wurden zwischen 2016 und 2020 insgesamt elf Verdachtsfälle wegen mutmaßlicher Homosexuellen- oder Transfeindlichkeit gemeldet; die Ansprechstelle wurde zwischen 2017 und 2020 insgesamt 14-mal eingeschaltet.
„Eine generelle Homo- oder Transfeindlichkeit ist in der Bundeswehr nicht zu erkennen“, so die Regierung in der Antwort zur kleinen Anfrage. Das Verteidigungsministerium will noch dieses Jahr eine neue zentrale Dienstvorschrift zum Umgang mit Sexualität und sexuellem Fehlverhalten in der Bundeswehr erlassen. Ebenso wurde eine Studie zum Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende beim Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr beauftragt, deren Ergebnisse zeitnah veröffentlicht werden sollen.