Das Gericht der Europäischen Union erklärte am 12.05.2021 zum Aktenzeichen T-789/19 einen Beschluss der Kommission, mit dem die Registrierung einer geplanten Bürgerinitiative abgelehnt wurde, wegen unzureichender Begründung für nichtig, da der Bürger, der eine Bürgerinitiative vorgelegt hat, in die Lage versetzt werden muss, die Überlegungen der Kommission zu verstehen.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 81/2021 vom 12.05.2021 ergibt sich:
Am 5. Juli 2019 übermittelten Herr Tom M. und sechs weitere Bürger der Europäischen Kommission gemäß der Verordnung über die Bürgerinitiative (Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürgerinitiative – ABl. 2011, L 65, S. 1, berichtigt im ABl. 2012, L 94, S. 49; diese Verordnung wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2020 durch die Verordnung (EU) 2019/788 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Europäische Bürgerinitiative – ABl. 2019, L 130, S. 55 aufgehoben und ersetzt) die geplante europäische Bürgerinitiative „Gewährleistung einer mit den EU-Verträgen und dem Völkerrecht im Einklang stehenden gemeinsamen Handelspolitik“ (im Folgenden: geplante EBI).
Entsprechend den Anforderungen dieser Verordnung (Art. 4 Abs. 1 der Verordnung über die EBI) wurden in der geplanten Bürgerinitiative ihr Gegenstand, ihre Ziele und die Bestimmungen der Verträge genannt, die nach Ansicht der Bürger für die vorgeschlagene Maßnahme einschlägig sind. Gemäß ihrem Gegenstand bezweckte die geplante EBI den Erlass von Bestimmungen zur Regulierung des Geschäftsverkehrs mit Unternehmen des Besatzers, die in besetzten Gebieten ansässig oder tätig seien, indem verhindert werde, dass Waren, die ihren Ursprung in den besetzten Gebieten hätten, auf den Markt der Europäischen Union gelangten. In diesem Zusammenhang verwiesen die Kläger auf verschiedene Bestimmungen der Verträge, auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, auf mehrere Verordnungen und Urteile des Gerichtshofs sowie auf Bestimmungen und Quellen des Völkerrechts.
Mit Beschluss (EU) 2019/1567 vom 4. September 2019 (ABl. 2019, L 241, S. 12) lehnte die Kommission die Registrierung der geplanten EBI ab. Sie begründete diese Ablehnung damit, dass ein Rechtsakt, in dem der Gegenstand der geplanten EBI behandelt werde, nur auf der Grundlage von Art. 215 AEUV angenommen werden könne, was jedoch einen Beschluss erfordere, der die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu dem betreffenden Drittland vorsehe. Sie sei aber nicht befugt, auf dieser Grundlage einen Vorschlag für einen Rechtsakt vorzulegen.
Mit seinem – in erweiterter Besetzung erlassenen – Urteil erklärt das Gericht der Europäischen Union den angefochtenen Beschluss für nichtig, da er keine ausreichenden Angaben enthält, die den Klägern das Erkennen der Gründe für die Ablehnung der Registrierung der geplanten EBI und dem Gericht die Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Ablehnung ermöglichen. Dieser Beschluss genügt nicht der Begründungspflicht nach dem Vertrag (Art. 296 AEUV) und nach der Verordnung über die EBI (Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung über die EBI). Das Gericht verdeutlicht somit den Umfang der Begründungspflicht der Kommission für den Fall, dass diese die Registrierung einer geplanten EBI gemäß der genannten Verordnung ablehnt.
Würdigung durch das Gericht
Das Gericht weist darauf hin, dass die Ziele der Verordnung über die EBI darin bestehen, die europäische Bürgerschaft zu stärken, zu einer Verbesserung der demokratischen Funktionsweise der Union zu führen, den Bürger zur Teilnahme am demokratischen Leben zu ermutigen und die Union zugänglicher zu machen. Es betont, dass die Verwirklichung dieser Ziele ohne eine vollständige Begründung des die geplante EBI ablehnenden Beschlusses ernsthaft gefährdet wäre.
Gemäß der Verordnung Nr. 211/2011 (Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung über die EBI) wird eine geplante EBI von der Kommission registriert, sofern sie nicht offenkundig außerhalb des Rahmens liegt, in dem diese befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen. Das Gericht stellt fest, dass der angefochtene Beschluss im vorliegenden Fall keine ausreichende Begründung der fehlenden Befugnis der Kommission zur Unterbreitung eines Vorschlags enthält, der dem Gegenstand und den Zielen der geplanten EBI entsprechen kann. Nach einem Hinweis auf die Grundsätze der Pflicht zur Begründung von Rechtsakten der Organe beschreibt es die Gesichtspunkte, die im Sinne der Verordnung über die EBI für eine ausreichende Begründung des angefochtenen Beschlusses hinsichtlich der fehlenden Zuständigkeit der Kommission zu berücksichtigen waren.
Das Gericht stellt erstens fest, dass der bloße Hinweis auf Art. 215 AEUV, der restriktive Maßnahmen betrifft, nicht erkennen lässt, warum die Kommission der Ansicht war, dass die geplante Maßnahme ausschließlich in den Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) falle. Die Kommission hat nämlich nicht erläutert, warum die von der geplanten EBI vorgesehene Maßnahme ihrer Meinung nach einen Rechtsakt bezwecke, der die Aussetzung oder Einschränkung der Handelsbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern im Sinne von Art. 215 Abs. 1 AEUV vorsehe.
Zweitens ist bei der Beurteilung, ob die Begründung ausreichend ist, der maßgebliche Kontext zu berücksichtigen. Die Kläger haben in der geplanten EBI mehrfach ausdrücklich auf die gemeinsame Handelspolitik sowie auf Bestimmungen dieses Bereichs, z. B. Art. 207 AEUV, Bezug genommen. Im vorliegenden Fall musste die Kommission also die Gründe darlegen, die sie im angefochtenen Beschluss zu dem impliziten Schluss veranlasst hatten, dass die mit der geplanten EBI bezweckte Maßnahme im Hinblick auf ihren Gegenstand und ihre Ziele nicht in den Bereich der gemeinsamen Handelspolitik falle und daher nicht auf der Grundlage von Art. 207 AEUV erlassen werden könne. Dieser Einschätzung kam im angefochtenen Beschluss eine wesentliche Bedeutung zu, da die gemeinsame Handelspolitik im Unterschied zur GASP ein Bereich ist, in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union auf der Grundlage von Art. 207 AEUV zu unterbreiten.
Drittens ist die Frage, ob der angefochtene Beschluss ausreichend begründet ist, auch im Hinblick auf die Ziele der Bestimmungen der Verträge (Art. 11 Abs. 4 EUV und Art. 24 Abs. 1 AEUV) und der Verordnung über die Bürgerinitiative zu beurteilen, die darin bestehen, die Bürger zur Teilnahme am demokratischen Leben zu ermutigen und die Union zugänglicher zu machen. Aufgrund dieser Ziele hatte die Kommission klar darzulegen, mit welchen Gründen die Ablehnung der Registrierung einer geplanten EBI gerechtfertigt wurde. Ohne eine vollständige Begründung wäre es aufgrund der Einwände der Kommission gegen die Zulässigkeit der geplanten EBI kaum möglich, eine neue EBI vorzulegen.
Das Gericht erklärt den angefochtenen Beschluss daher wegen unzureichender Begründung für nichtig.