Der Bayerische Verfassungsgerichthof in München hat es am 21.04.2021 zum Aktenzeichen Vf. 26-VII-21 abgelehnt, die Regelungen zu Präsenz-, Wechsel- und Distanzunterricht sowie zur „Testpflicht“ an bayerischen Schulen durch einstweilige Anordnung außer Vollzug zu setzen.
Aus der Pressemitteilung des Bay. VerfGH vom 22.04.2021 ergibt sich:
§ 18 Abs. 1 Satz 3 der vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege zur Verhinderung der Verbreitung der COVID-19-Erkrankung erlassenen Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) regelt, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Schularten und Jahrgangsstufen Präsenz-, Wechsel- oder Distanzunterricht stattfinden darf. Die Zulässigkeit des jeweiligen Unterrichts ist abgestuft nach der 7-Tage-Inzidenz im betroffenen Landkreis bzw. der kreisfreien Stadt, wobei Präsenzunterricht teilweise ergänzend davon abhängig gemacht wird, dass ein Mindestabstand von 1,5 Metern durchgehend und zuverlässig eingehalten werden kann. § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV erlaubt Schülerinnen und Schülern die Teilnahme am Präsenzunterricht und an Präsenzphasen des Wechselunterrichts nur, wenn sie sich (mindestens) zwei Mal wöchentlich einem Test in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 unterziehen und über ein negatives Ergebnis eines PCR- oder POC-Antigentests verfügen oder in der Schule unter Aufsicht einen Selbsttest mit negativem Ergebnis vorgenommen haben. Lehrkräfte und das Schulverwaltungspersonal können einen Selbsttest auch außerhalb der Schule und ohne Aufsicht vornehmen, wenn sie versichern, dass das Testergebnis negativ ausgefallen ist.
Die Antragsteller sind der Auffassung, die Vorschriften zum Distanz- und Wechselunterricht in Schulen gemäß § 18 Abs. 1 Satz 3 12. BayIfSMV verletzten verschiedene in der Bayerischen Verfassung garantierte Grundrechte von Kindern, Jugendlichen und Familien allgemein. Insbesondere sei die Schließung von Schulen und die Verweisung von Schülerinnen und Schülern auf digitale Lernangebote im Distanz- und Wechselunterricht angesichts des untergeordneten Einflusses von Kindern auf das Infektionsgeschehen einerseits und die zu erwartenden negativen Auswirkungen auf deren schulische und berufliche Laufbahn und ihre Persönlichkeitsentwicklung sowie im Hinblick auf die drohenden ökonomischen, gesundheitlichen und psychischen Schäden andererseits nicht verhältnismäßig; die übermäßige Belastung der Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien verstoße zudem in mehrerlei Hinsicht offensichtlich gegen den Gleichheitsgrundsatz. Für die in § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV statuierte Testpflicht fehle eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage; auch sie greife unzulässig und unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in verschiedene Grundrechte ein. Die Antragsteller begehren, die betroffenen Vorschriften im Wege der einstweiligen Anordnung außer Vollzug zu setzen.
Der Verfassungsgerichtshof hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Bei der im Eilverfahren gebotenen überschlägigen Prüfung ist nicht davon auszugehen, dass die Popularklage in der Hauptsache offensichtlich erfolgreich sein wird. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in der Entscheidung vom 22. März 2021 (Vf. 23-VII-21) dargelegt, dass eine an die 7-Tage-Inzidenz anknüpfende Regelung zum Schulunterricht nicht als offensichtlich verfassungswidrig qualifiziert werden kann. Das Vorbringen der Antragsteller im aktuellen Verfahren führt nicht zur Annahme einer offenkundig unverhältnismäßigen Einschränkung des Bildungsanspruchs oder anderer verfassungsmäßiger Rechte der von den Maßnahmen Betroffenen. Auch liegt unter Berücksichtigung des Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Verordnungsgebers kein offensichtlich ungerechtfertigter Gleichheitsverstoß vor. Soweit die Teilnahme am Unterricht in Präsenz unter die Voraussetzung einer negativen Testung gestellt wird, führt dies nicht zu einem offensichtlichen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip oder zu einer offensichtlich verfassungswidrigen Grundrechtseinschränkung. Der Ausgang des Popularklageverfahrens ist damit als offen anzusehen.
Auch nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs sind die hohen Belastungen durch die Folgen der Pandemie insbesondere für Familien hinsichtlich der Beschulung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen ohne jeden Zweifel einschneidend. Dennoch überwiegen bei der gebotenen Folgenabwägung die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe. Beim inzidenzunabhängig unbeschränkten Zusammentreffen von Schülerinnen und Schülern ohne Testpflicht ergäbe sich ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko für schulische Kontaktpersonen, aber auch für die Gesamtbevölkerung. Angesichts der Bedeutung von Leben und Gesundheit der Gefährdeten, der aktuellen dynamischen Entwicklung des Infektionsgeschehens gerade in den von den schulischen Regelungen betroffenen Altersgruppen und im Hinblick auf den noch nicht ausreichenden Impffortschritt überwiegen die Gründe gegen das Außerkraftsetzen der angegriffenen Regelungen.