In einem Eilverfahren hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 13.04.2017 zum Aktenzeichen 9 L 1298/17.F entscheiden, dass eine Rechtsreferendarin islamischen Glaubens es erlaubt ist, ihren juristischen Vorbereitungsdienst einschließlich eventuell durchzuführender Beweisaufnahmen und staatsanwaltschaftlicher Sitzungsvertretungen sowie der Leitung von Anhörungsausschüssen mit einem Kopftuch, das Haare und Hals bedeckt, durchzuführen.
Im Verfahren hat eine Muslimin das Rechtsreferendariat begonnen. Sie trägt als Ausdruck ihrer individuellen Glaubensüberzeugung ein Kopftuch, das Haare und den Hals bedeckt.
Bereits vor der Aufnahme des Referendardienstes hat sie über das zuständige Oberlandesgericht ein Hinweisblatt erhalten, das folgenden Inhalt hat:
„Das hessische Ministerium der Justiz hat mich angewiesen, Sie über folgende Umstände zu belehren: Auch Rechtsreferendarinnen im juristischen Vorbereitungsdienst haben sich gegenüber Bürgerinnen und Bürgern politisch, weltanschaulich und neutral zu verhalten. Das bedeutet, dass sie, wenn sie während ihrer Ausbildung ein Kopftuch tragen, keine Tätigkeit ausüben dürfen, bei denen sie von Bürgerinnen und Bürgern als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden oder wahrgenommen werden können. Praktisch bedeutet dies insbesondere, dass Referendarinnen die ein Kopftuch tragen, bei Verhandlungen im Gerichtssaal nicht auf der Richterbank sitzen dürfen, sondern im Zuschauerraum der Sitzung beiwohnen können, keine Sitzungsleitung und/oder Beweisaufnahmen durchführen können, keine Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft übernehmen können, während der Verwaltungsstation keine Anhörungsausschusssitzungen leiten können“.
Die muslimische Rechtsreferendarin hat beim zuständigen Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtschutz nachgesucht, weil sie sich durch dieses Hinweisblatt in ihrem Vorbereitungsdienst eingeschränkt und diskriminiert sieht.
Sie meint, sie habe einen Anspruch auf eine diskriminierungsfreie, gleichberechtigte Durchführung des Referendariats. Die Nichtvornahme der einzelnen Tätigkeiten im Rahmen des Referendariats könne für sie zu wesentlichen Nachteilen führen. Sie selbst trage das Kopftuch aus tiefer religiöser Überzeugung. Das Tragen des Kopftuches stelle für sie ein religiöses Gebot dar und die Nichtbeachtung dieses Gebots stürze sie in einen schwerwiegenden Gewissenskonflikt. Das erhaltene Hinweisblatt richte sich explizit an muslimische, kopftuchtragende Referendarinnen. Durch diesen Hinweis werde sie gegenüber anderen Rechtsreferendarinnen benachteiligt. Außerdem werde sie in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit beeinträchtigt. Denn das Bundesland, bei dem sie ihren Referendardienst ableistet, habe letztendlich ein Ausbildungsmonopol im Bereich der Juristenausbildung. Daher müsse sie die Ausbildung auch so absolvieren können, wie es das Juristenausbildungsgesetz (JAG) vorsehe.
Das betroffene Bundesland Hessen meint dagegen, dass der Referendarin zwar mit dem Hinweisblatt mehrere Tätigkeiten, wie zum Beispiel Sitzungsvertretung für die Staatsanwaltschaft und die Durchführung von Beweisaufnahmen und die Übernahme von Anhörungsausschüssen im Rahmen der Verwaltungsstation untersagt würden, und damit in ihre Religionsfreiheit nach Art. 4 GG eingegriffen würde. Dies sei aber gerechtfertigt, weil der hessische Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Sicherung der staatlichen Neutralität eine gesetzliche Grundlage für den Eingriff in die Religionsfreiheit geschaffen habe. § 45 Hessisches Beamtengesetz ermächtige den hessischen Gesetzgeber, Regelungen zur Sicherung der staatlichen Neutralität zu treffen. Diese Regelung sei in analoger Verweisung auch auf Rechtsreferendarinnen anwendbar. Die Ausübung des Vorbereitungsdienstes mit der Übernahme staatlicher Funktionen und der Repräsentation nach außen mit religiös konnotierter Bekleidung verstoße gegen das Neutralitätsgebot in der Justiz. Mit dem Hinweisblatt, das der Referendarin ausgehändigt wurde, habe man auf diese Rechtslage hingewiesen.
Die muslimische Referendarin hat sich daraufhin mit einem Eilantrag an das Verwaltungsgericht gewandt – und das gab ihr Recht
Zunächst hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Antrag im Wege des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zulässig sei. Die Antragstellerin befinde sich im Referendariat und daher könne sie nicht auf ein eventuell durchzuführendes Hauptsacheverfahren verwiesen werden, da sie unter Umständen Nachteile während ihrer jetzigen Ausbildungszeit hinnehmen müsse. Die muslimische Referendarin sei auch antragsbefugt, weil die Vorgaben des Hinweisblattes des Hessischen Justizministeriums in den Schutzbereich der Religions- und Glaubensfreiheit des Art. 4 GG sowie in den aus Art. 12 GG resultierenden verfassungsrechtlichen Auftrag, die Freiheit der Berufswahl zu ermöglichen, eingreifen könnten.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts gibt es für die der Antragstellerin auferlegten Einschränkungen im Hinblick auf das Tragen des Kopftuches keine gesetzliche Grundlage.
Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach behördliche Eingriffe in Form von Verboten oder wirkungsähnlichen Maßnahmen, die den Schutzbereich eines Grundrechts betreffen, grundsätzlich nur aufgrund eines förmlichen Parlamentsgesetzes möglich seien, werde das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage moniert.
Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichteten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen und nicht der Exekutive zu überlassen.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass eine vorliegende Grundrechtseinschränkung im Sinn der Einschränkung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 GG aber auch der Berufswahlfreiheit des Art. 12 GG durch das Verbot des Tragens des Kopftuches während wesentlicher Teile des Vorbereitungsdienstes gegeben sei.
Die Referendarin habe zur Überzeugung des Gerichts eine religiöse Motivation für das von ihr aus Glaubensgründen verpflichtend dargestellte Gebot des Tragens des Kopftuches geltend gemacht.
Ihre Berufswahlfreiheit sei auch betroffen, da Rechtsreferendare und Rechtsreferendarinnen einem (faktischen) staatlichen Ausbildungsmonopol unterlägen.
Diesen Grundrechtseinschränkungen auf Seiten der Referendarin stünden weitere grundlegende verfassungsrechtliche Prinzipien, wie die staatliche Neutralität – gerade im Bereich der Justiz von herausragender Bedeutung sowie die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit von weiteren Verfahrensbeteiligten gegenüber. Diese könnten sich durch eine Referendarin, die die staatliche Autorität repräsentiert und zugleich religiös konnotierte Kleidung trägt, beeinträchtigt fühlen oder aber Zweifel an der Neutralität dieser Person und damit eventuell auch an der Justiz haben.
Dieses Aufeinandertreffen miteinander konkurrierender grundrechtlicher Freiheitsrechte und verfassungsrechtlicher Prinzipien erfordere eine gesetzgeberische Lösung.
Der Gesetzgeber habe zwar mit dem Gesetz zur Sicherung der staatlichen Neutralität eine ausdrückliche Nominierung zur Neutralitätspflicht für Beamte im Hessischen Beamtengesetz und für Referendare und Referendarinnen im schulischen Vorbereitungsdienst geschaffen.
Für Rechtsreferendare und Rechtsreferendarinnen, die bereits seit dem Jahr 2002 nicht mehr in einem Beamtenverhältnis auf Widerruf gestanden hätten, sei eine derartige Regelung nicht erfolgt.
Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, dass in Bereichen, in denen die Grenzen der Religionsfreiheit bestimmt und sichergestellt werden müssen, Eingriffe nur sehr eingeschränkt und ausschließlich durch den parlamentarischen Gesetzgeber möglich seien.
Allein ein Erlass oder ein Hinweisblatt entspreche diesen Anforderungen nicht.
Ausdrücklich werde darauf hingewiesen, dass eine gesetzliche Regelung für Berufsbeamte und Richter getroffen worden ist.
Für Richterinnen und Richter sei über das hessische Richtergesetz vor dem Hintergrund der staatlichen Neutralität und der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Verfahrensbeteiligten festgelegt, dass diese ohne Glaubens- bzw. Bekenntnissymbole in Außenkontakt mit Verfahrensbeteiligten treten.
Denn Beamte und Beamtinnen sowie Richter und Richterinnen seien Amtsträger und damit der Neutralität des Staates verpflichtet. Hiervon unterscheidet sich aber die Stellung einer Rechtsreferendarin bzw. eines Rechtsreferendars.
Im Hinblick auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit und den hohen Stellenwert der Berufswahlfreiheit – gerade auch auf im Hinblick auf den ungeschmälerten und vollständigen Ausbildungsumfang – sei es unverhältnismäßig, diesen in der Ausbildung befindlichen Menschen in religiös-weltanschaulicher Hinsicht die gleichen Verhaltenspflichten aufzuerlegen wie den ernannten Richtern.
Allein eine abstrakte Gefährdung der staatlichen Neutralität könne hier einen derartigen Eingriff nicht rechtfertigen. Auch im Hinblick auf den Verfahrensfrieden sei das religiös motivierte Tragen des Kopftuches bei Rechtsreferendarinnen hinzunehmen.
Es bestünden hinreichende Möglichkeiten, die Beteiligten eines Verfahrens- bzw. Rechtsstreits im Einzelfall angemessen darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Rechtsreferendar, der Rechtsreferendarin um eine in Ausbildung befindliche Person handele.
Auch soweit die Referendarin als Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft eigenverantwortlich die Anklage in einem Strafprozess vertreten müsse, könne der Vorsitzende des Strafgerichts entsprechende Hinweise auf die Ausbildungssituation an die Verfahrensbeteiligten geben.
Sollte es dennoch zu Unzuträglichkeiten im konkreten Einzelfall kommen, so könne die Referendarin dann diesen Dienst nicht mehr wahrnehmen ohne sich auf ein Diskriminierungsverbot berufen zu können.
Für weitere Fragen zum Diskriminierungsrecht & Gleichstellungsrecht stehe ich Ihnen gern auf meiner Homepage, per E-Mail oder telefonisch zur Verfügung!