Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 18. Oktober 2023 zum Aktenzeichen XII ZB 31/23 entschieden, dass wenn ein Rechtsanwalt die Notierung von Fristen einer Kanzleikraft überträgt, er durch geeignete organisatorische Maßnahmen oder durch konkrete Einzelanweisung sicherstellen muss, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Bei notwendiger Korrektur einer Rechtsmittelbegründungsfrist muss eine mündliche Einzelanweisung klar und präzise beinhalten, dass die Frist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender zu korrigieren ist.
Ein Rechtsanwalt muss allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt.
Die Sorgfaltspflicht verlangt von einem Rechtsanwalt mit Blick auf das Fristenwesen alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Die Berechnung und Notierung von Fristen kann zwar einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Der Rechtsanwalt hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden.
Zu den für eine Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungs-vermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in alle geführten Fristenkalender eingetragen worden sind. Die Anforderungen an das Fristenwesen gelten dabei unabhängig davon, ob die Handakte in herkömmlicher Form als Papierakte oder als elektronische Akte geführt wird.
Die Einhaltung einer Rechtsmittelbegründungsfrist ist nicht nur durch die Eintragung der Hauptfrist, sondern zusätzlich durch eine ausreichende Vorfrist sicherzustellen. Für den Fall eines Fristverlängerungsantrags bestehen zudem weitere Anforderungen an das Fristenwesen. In diesen Fällen muss als zusätzliche Fristensicherung auch das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristen-buch eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig – spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung – überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt und notiert werden kann.
Eine diese Anforderungen erfüllende Kanzleiorganisation ihres Prozessbevollmächtigten hat die Beklagte nicht dargetan. Denn das Oberlandesgericht hat jedenfalls zu Recht beanstandet, aus dem Vorbringen der Beklagten er-gebe sich nicht, dass nach den kanzleiinternen Vorgaben im Falle eines Fristverlängerungsantrags wie nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung erforderlich das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung zunächst als nur vorläufig gekennzeichnet in den Fristenkalender einzutragen sei. Richtig hat es insoweit angenommen, dass unter diesem Gesichtspunkt ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht ausgeschlossen werden kann.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde lässt die durch den sachbearbeitenden Rechtsanwalt erteilte Einzelanweisung an die Mitarbeiterin G., die eingetragenen Fristen nach Maßgabe der vom Oberlandesgericht gewährten Fristverlängerung zu korrigieren, den Verschuldensvorwurf nicht entfallen. Ein entscheidungserheblicher Gehörsverstoß liegt insoweit nicht vor.
Zwar weist die Rechtsbeschwerde im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass es auf unzureichende allgemeine organisatorische Vorkehrungen oder Anweisungen für die Fristwahrung nicht mehr ankommt und ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ausscheidet, wenn dieser seiner bislang zuverlässigen Kanzleikraft eine konkrete Einzelanweisung er-teilt hat, die bei ihrer Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Auch darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Rechtsanwalt jedenfalls grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Kanzleikraft, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Betrifft die Anweisung indes einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen allerdings ausreichende Vor-kehrungen dagegen getroffen sein oder werden, dass die Anweisung etwa im Drang der übrigen Geschäfte in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt. Durch eine klare und präzise Anweisung im Einzelfall, die Rechtsmittelbegründungsfrist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender einzutragen, wird in diesen Fällen eine ausreichende Vorkehrung getroffen. Dies gilt insbesondere dann, wenn weiter eine allgemeine Büroanweisung besteht, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen Aufgaben zu erledigen.
Ausgehend hiervon hat die Beklagte ein fehlendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht dargetan. Denn ihren Ausführungen lässt sich schon nicht entnehmen, ob die Einzelanweisung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts an die Mitarbeiterin G. mündlich oder schriftlich erfolgt ist und ob diese dahin ging, sofort und vor allen anderen Aufgaben die Vor- und Ablauffrist bezogen auf den 2. August 2022 zu korrigieren.
Rechtsfehlerfrei ist das Oberlandesgericht zudem davon ausgegangen, dass ein der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden iSd § 233 Satz 1 ZPO auch durch deren Vortrag zur Büroabwesenheit des sach-bearbeitenden Rechtsanwalts wegen einer Corona-Erkrankung in der Zeit vom 25. Juli bis zum 2. August 2022 zumindest nicht ausgeschlossen ist.
Ein Rechtsanwalt hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen seiner Organisationspflichten allgemeine Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle seiner Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen vornimmt. Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss er sich aber nur dann durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er eine solche Situation vorhersehen kann. Wird er dagegen unvorhergesehen krank, gereicht ihm eine unterbleibende Einschaltung eines Vertreters nicht zum Verschulden, wenn ihm diese weder möglich noch zumutbar war.
Hierzu enthält der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten keine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, die nach den vorstehenden Maßstäben ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ausschließen könnte. Er lässt weder erkennen, ob im Rahmen der Kanzleiorganisation allgemeine Vorkehrungen zur Vertretung im Krankheits- oder Verhinderungsfall des sachbearbeitenden Rechtsanwalts durch den weiteren in der Kanzlei tätigen Rechtsanwalt oder einen anderen Kollegen getroffen waren, noch welche Maßnahmen im konkreten Einzelfall aufgrund der Büroabwesenheit des sachbearbeitenden Rechtsanwalts von über einer Woche (vgl. § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO) ergriffen wurden. Ebenso fehlt Vortrag dazu, warum die Sache einem etwa bestellten Krankheitsvertreter nicht zur Vorfrist vorgelegt wurde.
Das Versäumnis des Prozessbevollmächtigen der Beklagten, allgemeine Vorkehrungen für eine Vertretung im Krankheitsfall zu treffen und für eine rechtzeitige Vorlage von Fristsachen an diese zu sorgen, ist für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist (mit-)ursächlich. Wäre die Akte einem Vertreter zur Vorfrist, die hier spätestens eine Woche vor Ablauf der notierten Begründungsfrist am 4. August 2022, mithin spätestens am 28. Juli 2022 ablief, vorgelegt worden, hätte diesem auffallen müssen, dass der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist noch auf den 4. August 2022 notiert und nicht entsprechend der gerichtlichen Bewilligung auf den 2. August 2022 korrigiert worden war. Es hätte dann in seiner Verantwortung gelegen, die Berufung fristgerecht zu begründen oder nach Einholung der Einwilligung des gegnerischen Prozessbevollmächtigten (§ 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO) rechtzeitig einen weiteren Fristverlängerungsantrag zu stellen.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die (Mit-)Ursächlichkeit der unzureichenden Kanzleiorganisation im Zusammenhang mit der Verhinderung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts auch nicht in Ansehung der trotz Einzelanweisung von der Kanzleikraft nicht vorgenommenen Fristenkorrektur entfallen. Denn die Vorlage der Akte zur Vorfrist, die gerade sicherstellen soll, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischen-fällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist bleibt, hätte eine fristgerechte Berufungsbegründung bis zum 2. August 2022 gewährleisten können, ohne dass es auf die versäumte Korrektur der Fristen in den Fristenkalendern angekommen wäre.