Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 14.12.2023 zum Aktenzeichen 6 B 12.23 entschieden, dass die Frage, ob Rechtsschutz gegen prüfungsrechtliche Entscheidungen durch die Erhebung einer Anfechtungsklage oder einer Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsklage zu suchen ist, sich nach der Ausgestaltung der konkreten Prüfungsordnung richtet.
In einem in zulässiger Weise angestoßenen Überdenkensverfahren sind die Prüfer nicht auf die Berücksichtigung jeweils für sich genommen durchgreifender Einwände beschränkt.
Der Kläger nahm als nordrhein-westfälischer Rechtsreferendar im Dezember 2019 an den Aufsichtsarbeiten der zweiten juristischen Staatsprüfung teil. Mit Bescheid vom 18. März 2020 teilte das Landesjustizprüfungsamt Nordrhein-Westfalen (Landesjustizprüfungsamt) dem Kläger die in den einzelnen Aufsichtsarbeiten erzielten Ergebnisse mit – darunter die Bewertung der Klausur Strafrecht 1 mit „ausreichend“ (6 Punkte) – und erklärte die Prüfung nach § 56 Abs. 2 i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 JAG NRW in der hier maßgeblichen, bis zum 17. Februar 2022 geltenden Fassung des Gesetzes für nicht bestanden. Der Kläger habe nicht die mindestens geforderten 3,50 Punkte im Gesamtdurchschnitt der Aufsichtsarbeiten erreicht.
Der Kläger legte Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. März 2020 ein und erhob unter anderem Einwendungen gegen die Bewertung der Klausur Strafrecht 1. Das Prüfungsamt holte hierzu die Stellungnahmen der beteiligten Prüfer ein. Der Erstprüfer führte in seiner Stellungnahme aus, er halte bei erneuter Abwägung der durchaus vorhandenen Stärken und der Schwächen der Bearbeitung unter Berücksichtigung des Widerspruchsvorbringens auch eine Bewertung der Gesamtleistung mit „befriedigend“ (7 Punkte) für vertretbar. Dem schloss sich der Zweitprüfer an. Mit Schreiben vom 16. September 2020 setzte das Landesjustizprüfungsamt die Prüfer über seine Einschätzung in Kenntnis, dass die Prüfer sich im Überdenkensverfahren nur mit substantiierten Einwänden des Prüflings auseinandersetzen dürften. Wenn sie ohne substantiierte Einwände des Prüflings eine von der ursprünglichen Bewertung abweichende Gewichtung der Vorzüge und Mängel der Bearbeitung vornähmen, liege eine unzulässige Verschiebung des Bewertungsmaßstabs vor. Vor diesem Hintergrund würden die Prüfer gebeten, die Anhebung der Bewertung zu überprüfen und gegebenenfalls darzulegen, inwiefern diese auf berechtigte Einwände des Prüflings zurückgehe. Daraufhin teilte der Erstprüfer in einer zweiten Stellungnahme mit, er halte in Abweichung von seiner vorherigen Stellungnahme nunmehr an seiner ursprünglichen Bewertung mit „ausreichend“ (6 Punkte) fest. Der Zweitprüfer schloss sich dem in seiner zweiten Stellungnahme an. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2021 wies das Landesjustizprüfungsamt den Widerspruch des Klägers zurück.
Entsprechend dem Hauptantrag der von dem Kläger erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 18. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 2020 verpflichtet, den Kläger unter Hochsetzung der Prüfungsnote für die Aufsichtsarbeit Strafrecht 1 auf „befriedigend“ (7 Punkte) über das Ergebnis des schriftlichen Teils der zweiten juristischen Staatsprüfung neu zu bescheiden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Der Beklagte erstrebt mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision. Der Kläger tritt dem entgegen.
Wird mit einer Klage nicht unmittelbar eine bessere Bewertung einer Prüfungsleistung, sondern – wie im Fall einer verhängten Sanktion – die Aufhebung einer Entscheidung begehrt, die nach der Ausgestaltung der konkreten Prüfungsordnung den weiteren Fortgang des Prüfungsverfahrens versperrt, steht dem betroffenen Prüfling als statthafte Klage die Anfechtungsklage als mit Blick auf sein Rechtsschutzziel notwendiger und zugleich hinreichender Rechtsbehelf zur Verfügung (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2019 – 6 C 3.18 – BVerwGE 164, 379 Rn. 8, 10 ff., 29). Demgegenüber ist in einer Konstellation, in der ein Prüfling eine Neubewertung oder eine Wiederholung von Prüfungsleistungen erstrebt und nach der jeweiligen rechtlichen Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens als nächster Schritt in diesem Verfahren eine darauf bezogene Entscheidung in der Form eines Verwaltungsakts vorgesehen ist, dem Rechtsschutzinteresse des Prüflings am besten durch die Erhebung einer Verpflichtungsklage in der Form einer Bescheidungsklage gedient. In Bezug auf einen zuvor ergangenen belastenden Prüfungsbescheid schließt das Bescheidungsbegehren – soweit erforderlich – ein Anfechtungsbegehren ein (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 2012 – 6 C 8.11 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 413 Rn. 10 sowie auch bereits: BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1993 – 6 C 38.92 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 314 S. 279).
Hier ist die letztgenannte Konstellation gegeben. Die Vorinstanzen haben ihr entsprechend dem von dem Kläger angebrachten Klageantrag Rechnung getragen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen, durch das dem Begehren des Klägers stattgegeben worden ist, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 18. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 2020 zum Erlass eines neuen Bescheids über das Ergebnis des schriftlichen Teils der zweiten juristischen Staatsprüfung unter Hochsetzung der Prüfungsnote für die Aufsichtsarbeit Strafrecht 1 auf „befriedigend“ (7 Punkte) zu verpflichten. Diesem Ausspruch liegt die implizite Feststellung des Oberverwaltungsgerichts zu Grunde, dass nach dem nordrhein-westfälischen Justizprüfungsrecht in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang der Erlass eines solchen Bescheids möglich und geboten ist. Ob das Oberverwaltungsgericht mit dieser revisiblem Recht nicht widersprechenden Feststellung das Landesrecht – insbesondere § 54 i. V. m. § 14 Abs. 4 Satz 1 und § 56 Abs. 2 i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 JAG NRW – zutreffend ausgelegt hat (vgl. zu den diesbezüglich anzulegenden Maßstäben: Dieterich, in: Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022 Rn. 815 ff., 821 ff., 827 ff.), ist der revisionsgerichtlichen Nachprüfung gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO entzogen.
Die Beschwerde hält des Weiteren unter Verweis auf das Verhältnis zwischen den ersten und den zweiten Stellungnahmen der Prüfer sowie bei Unterstellung der Fehlerhaftigkeit der zweiten Stellungnahmen folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:
„Beansprucht eine frühere, als rechtsfehlerfrei anzusehende Bewertung einer Prüfungsleistung in dem Sinne erneut Geltung, dass die Prüferinnen und Prüfer sich an ihr festhalten lassen müssen, wenn sie im Rahmen eines Überdenkens dieser Bewertung sich für eine im Ergebnis hiervon abweichende Bewertung entschieden haben, diese Überdenkensentscheidung sich jedoch als formell oder materiell rechtsfehlerhaft erweist?“
Diese Frage vermag die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zu rechtfertigen. Sie kann mangels Entscheidungserheblichkeit in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden.
Das Oberverwaltungsgericht hat den zweiten Stellungnahmen, die die Prüfer in Reaktion auf das Schreiben des Landesjustizprüfungsamts vom 16. September 2020 hin abgegeben haben, entnommen, dass die dort ausgesprochene Rückkehr zu der ursprünglichen Bewertung der Aufsichtsarbeit Strafrecht 1 ausschließlich auf den – nach Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts – unzutreffenden Hinweisen in dem genannten Schreiben beruht habe und nicht Ausdruck einer neuen eigenen Überdenkensentscheidung der Prüfer gewesen sei (UA S. 14). Bei der dieser Auslegung zu Grunde liegenden Erfassung des Wortlauts der beiden Stellungnahmen sowie der Sichtung und Aufklärung der für ihre Bedeutung erheblichen Umstände – konkret der in dem Schreiben des Landesjustizprüfungsamts vom 16. September 2020 enthaltenen Aussagen und der dadurch hervorgerufenen Motivation der Prüfer – handelt es sich um Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz (hierzu allgemein aus der neueren Rechtsprechung des Senats: BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 6 C 10.20 – BVerwGE 176, 342 Rn. 50 m. w. N.). An diese Feststellungen ist der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil sie der Beklagte, wie sich aus den Ausführungen unter 3. ergibt, nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen hat. Die von der Beschwerde formulierte Frage, die sich auf die zweiten Stellungnahmen der Prüfer als Ausdruck von Überdenkensentscheidungen bezieht, kann sich danach nicht stellen.
Schließlich bezeichnet die Beschwerde als grundsätzlich bedeutsame Frage:
„Folgt aus der aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Bindung der Prüfungsbehörde auch an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Prüfungsgerechtigkeit aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit deren Zuständigkeit als Widerspruchsbehörde die Kompetenz, Entscheidungen der Prüferinnen und Prüfer im Überdenkensverfahren als unselbständigen Teil des Widerspruchsverfahrens auf die Einhaltung der rechtlichen Grenzen des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums und eine ausreichende, die Überdenkensentscheidung im Ergebnis tragende Begründung hin zu überprüfen und die Prüfer und Prüferinnen ggf. zu einer weitergehenden Erläuterung oder Begründung der Bewertungsentscheidung anzuhalten?“
Auch diese Frage führt nicht zu einer Zulassung der Grundsatzrevision. Sie ist ebenso wie die vorhergehende Fragestellung hier nicht entscheidungserheblich und damit in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.
Das Oberverwaltungsgericht hat den zweiten Stellungnahmen der Prüfer im Wege der Tatsachenfeststellung entnommen, dass die Prüfer das Schreiben des Landesjustizprüfungsamts vom 16. September 2020 nicht als Teil des Überdenkensverfahren bzw. als Hinweis darauf verstanden haben, dass sie in dem Überdenkensverfahren die rechtlichen Grenzen des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums einzuhalten hätten. Die Prüfer haben nach der Tatsachenfeststellung des Oberverwaltungsgerichts im Gegenteil in Reaktion auf das Schreiben des Landesjustizprüfungsamts gerade von einer neuen eigenen Überdenkensentscheidung abgesehen. Diese Feststellungen des Tatsachengerichts haben für den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindende Wirkung, weil die Beschwerde dazu keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben hat (vgl. zu den erhobenen Verfahrensrügen die Ausführungen unter 3.). Insofern kommt es auf die – von dem Oberverwaltungsgericht denn auch ausdrücklich offengelassene (UA S. 14 f.) – Frage nicht an, ob eine Prüfungsbehörde befugt ist, die Entscheidungen der Prüfer im Überdenkensverfahren auf die Einhaltung der rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums der Prüfer und eine ausreichende Begründung hin zu überprüfen (vgl. zur Unzulässigkeit einer behördlichen Vorprüfung der von einem Prüfling erhobenen Einwendungen: BVerwG, Urteil vom 10. April 2019 – 6 C 19.18 – BVerwGE 165, 202 Rn. 29).
Die Beschwerde meint weiter, das Oberverwaltungsgericht habe dadurch, dass es von einem Wiederaufleben einer zwischenzeitlich aufgegebenen Überdenkensentscheidung im Fall der – von ihm angenommenen – Fehlerhaftigkeit eines weiteren Überdenkens ausgehe, den Rechtssatz aufgestellt, dass der mit dieser Annahme verbundene Eingriff in den Beurteilungsspielraum der Prüfer zulässig sei. Dies stehe im Widerspruch zu der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten beschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit des prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraums, wonach die Bestimmung einer Einzelnote durch eine gerichtliche Entscheidung in aller Regel ausgeschlossen sei.
Diese Ausführungen gehen bereits im Ansatz fehl, weil die Prüfer im vorliegenden Fall nach den für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts keine weitere Überdenkensentscheidung getroffen haben (dazu oben, unter 1., b. und c.). Schon deshalb hatte die zuerst getroffene Überdenkensentscheidung als solche Bestand und konnte nicht erst „wiederaufleben“. Für die von der Beschwerde angenommene Divergenz gibt es keinen Anknüpfungspunkt.
Eine erneute Gewichtung einzelner Aspekte der Prüfungsleistung im Rahmen der Gesamtbewertung nicht allein deshalb eine mit dem Grundsatz der Chancengleichheit unvereinbare Änderung des Bewertungssystems darstellt, weil die vom Prüfling erhobenen Einwände jeweils für sich genommen nicht durchgreifen, ist nicht klärungsbedürftig. Der Prüfer darf zwar keine vom Vergleichsrahmen unabhängige Bewertung vornehmen und seine prüfungsspezifischen Bewertungskriterien nicht ändern (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 – 6 C 20.98 – BVerwGE 109, 211 <216 ff.>). Der Grundsatz der Chancengleichheit wird jedoch offensichtlich nicht beeinträchtigt, wenn der Prüfer im Rahmen des Überdenkensverfahrens zu dem Ergebnis gelangt, dass die Prüfungsleistung innerhalb des zugrunde gelegten Vergleichsrahmens anders einzuordnen ist.
Entgegen dem Vortrag der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht keine widersprüchlichen Feststellungen zum Inhalt der zweiten Stellungnahme des Erstprüfers getroffen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die in dem Tatbestand des Berufungsurteils enthaltene Formulierung – „unter Berücksichtigung“ der von dem Landesjustizprüfungsamt in dem Schreiben vom 16. September 2020 dargelegten Maßstäbe – weit genug gefasst ist, um die Formulierung in den Entscheidungsgründen – Beruhen der Rückstufung „ausschließlich“ auf den Hinweisen des Landesjustizprüfungsamts – einzuschließen. In vergleichbarer Weise ist es gekünstelt, wenn die Beschwerde vorträgt, der Erstprüfer habe sich in seiner ersten Stellungnahme durch die Formulierung, es sei auch eine Bewertung der in Rede stehenden Aufsichtsarbeit mit „befriedigend“ (7 Punkte) „vertretbar“ entgegen dem Verständnis des Oberverwaltungsgerichts nicht auf eine konkrete Bewertung – insbesondere nicht auf eine solche mit 7 Punkten anstelle der zunächst vergebenen 6 Punkte – festlegen wollen.
Sofern die Beschwerde eine unvollständige Verwertung des Prozessstoffs seitens des Oberverwaltungsgerichts im Hinblick auf den Gehalt der ersten und der zweiten Stellungnahme des Erstprüfers sowie des Schreibens des Landesjustizprüfungsamts vom 16. September 2020 beanstandet, greift sie unter Verkennung des tatrichterlichen Wertungsrahmens und lediglich im Gewand der Rüge einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes die von ihr für nicht richtig gehaltene Beweis- und Sachverhaltswürdigung des Oberverwaltungsgerichts an und stellt dieser ihre eigene Würdigung entgegen. Gleiches gilt in Bezug auf die Maßstäbe, die das Oberverwaltungsgericht bei seiner Auslegung der ersten Stellungnahme des Erstprüfers und des Schreibens des Landesjustizprüfungsamts vom 16. September 2020 zu Grunde gelegt hat. Diesem Vorgehen der Beschwerde ist insgesamt kein Erfolg beschieden.