Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt in Magdeburg hat am 02.07.2021 zum Aktenzeichen 2 M 78/21 die Beschwerde des Landkreises Stendal gegen den Beschluss des VG Magdeburg vom 22.06.2021 zurückgewiesen.
Aus der Pressemitteilung des OVG SA Nr. 9/2021 vom 02.07.2021 ergibt sich:
Streitgegenständlich ist die unter Anordnung des Sofortvollzugs gestellte Allgemeinverfügung des Landkreises Stendal vom 1. Juni 2021, wonach sämtliche Arbeiten im Zusammenhang mit der Errichtung eines Protestcamps gegen den Weiterbau der Autobahn 14 in der Altmark sofort einzustellen und die vorhandenen Anlagen (Baumhäuser, begehbare Plattformen, Zelte usw.) zu räumen sind. Auf Antrag einer Teilnehmerin des Protestcamps hat das Verwaltungsgericht Magdeburg die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Allgemeinverfügung wiederhergestellt und zur Begründung ausgeführt, der Landkreis Stendal sei bei der Allgemeinverfügung von der falschen Rechtsgrundlage ausgegangen und habe deshalb die Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) nicht ausreichend gewürdigt.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Landkreises Stendal blieb ohne Erfolg. Hierfür sind im Wesentlichen die folgenden Gründe maßgebend:
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das streitige Protestcamp von dem in Art. 8 GG verbürgten Grundrecht der Versammlungsfreiheit geschützt ist. Das Protestcamp ist geeignet, auf die öffentliche Meinungsbildung zum Autobahnbau einzuwirken, wie sich unter anderem an verschiedenen Presseberichten über das Protestcamp zeigt. Der Umstand, dass im Bahnhof Seehausen Versammlungen stattfinden, die (ebenfalls) das Ziel verfolgen, auf die öffentliche Meinungsbildung zum beabsichtigten Autobahnbau einzuwirken, und bei denen (möglicherweise) auch Nutzer des Camps teilnehmen und ein Meinungsaustausch mit der Öffentlichkeit stattfindet, nimmt dem Protestcamp nicht den Charakter einer Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG. Die beiden Versammlungen stellen unterschiedliche Formen des Einwirkens auf die öffentliche Meinungsbildung dar. Dem Camp kommt eine symbolische Bedeutung für den Zweck dieser Meinungskundgabe zu. Der Schutz der Versammlungsfreiheit umfasst auch die Entscheidung, welche Maßnahmen der Veranstalter zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für sein Anliegen einsetzen will.
Auch der Umstand, dass das Protestcamp nicht angemeldet wurde und kein Veranstalter in Erscheinung getreten ist, steht der Einstufung des Camps als Versammlung im Sinne von Art. 8 GG nicht entgegen. Der Schutz des Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist; er endet (erst) mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung. Es gibt auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine – nicht mehr durch die Versammlungsfreiheit gedeckte – Unfriedlichkeit des Protestcamps.
Auch der vom Landkreis Stendal geltend gemachte Verstoß gegen bauordnungsrechtliche oder bauplanungsrechtliche Bestimmungen genügt allein nicht, um auf bauordnungsrechtlicher Grundlage eine Beseitigung von dem Schutz des Art. 8 GG unterfallender baulicher Anlagen anordnen zu können. Auch Maßnahmen ohne unmittelbaren Bezug zum Versammlungsrecht müssen – soweit sie im Ergebnis zu Beschränkungen der Ausübung der Versammlungsfreiheit führen – inhaltlich auch mit Rücksicht auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit legitimiert werden können. Zwar kommt bei einer konkreten Gefahr für elementare Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit von Menschen auch die Auflösung einer Versammlung in Betracht. Eine solche konkrete Gefahrenlage (etwa durch die Gefahr von Waldbränden) hat der Landkreis Stendal allerdings nicht aufgezeigt. Auch die übrigen Einwände des Landkreises Stendal verfangen nicht.
Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass das Protestcamp dann nicht mehr unter dem Schutz des Art. 8 GG steht, wenn sein Zweck nur noch darin besteht, konkret bevorstehende Bau- oder Vorbereitungsmaßnahmen, wie die Rodung des Waldstücks, durch eine Blockade zu verhindern. Denn Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen.
Der Beschluss ist rechtskräftig.