Das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen hat mit Beschluss vom 11.10.2024 zum Aktenzeichen 18 B 950/24 die Beschwerde der Bundesstadt Bonn gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln, die Ausweisung und Abschiebung eines zur salafistischen Szene gehörenden Predigers aus Bonn vorläufig zu stoppen, zurückgewiesen.
Aus der Pressemitteilung des OVG NRW vom 11.10.2024 ergibt sich:
Die Stadt Bonn hatte gegen den Antragsteller eine Ausweisungsverfügung erlassen, ihm die Abschiebung in den Kosovo angedroht und eine Wiedereinreisesperre von 20 Jahren verhängt. Zur Begründung verwies sie darauf, dass der Antragsteller als Anhänger des (jihadistischen) Salafismus die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährde. Jedenfalls aber gehe von ihm eine solche Gefahr aus wegen seiner vielfältigen Tätigkeiten als Prediger, als zuführender Akteur für die radikale Szene und wegen seiner Kontakte zu führenden salafistischen Predigern, Mixed-Martial-Arts-Kämpfern und Mitgliedern der so genannten Clan-Szene. Dies rechtfertige trotz seiner familiären Bindungen seine Ausweisung und Abschiebung in den Kosovo.
Ein dagegen gerichteter Eilantrag des Betroffenen hatte beim Verwaltungsgericht Köln Erfolg. Zur Begründung führte es aus, auf der Grundlage des von der Stadt Bonn vorgelegten – den konkreten Einzelfall betreffenden – Materials lasse sich nicht feststellen, ob das erforderliche öffentliche Ausweisungsinteresse bestehe. Die aktuelle Gesetzeslage lasse nicht die Annahme zu, dass Anhänger des politischen Salafismus ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darstellten. Dass von dem Antragsteller selbst eine solche Gefahr ausgehe, sei nicht belegt. Die in diesem Fall erforderliche offene Interessenabwägung falle zugunsten des Antragstellers aus. Für diesen streite aufgrund der Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau und seinen drei noch recht jungen deutschen Kindern ein schwerwiegendes Bleibeinteresse. Demgegenüber sei eine aktuelle Gefährdungslage durch den Antragsteller nicht zu erkennen.
Die gegen diese Entscheidung eingelegte Beschwerde der Stadt Bonn hat der 18. Senat des Oberverwaltungsgerichts heute zurückgewiesen. Im Beschwerdeverfahren waren nach den gesetzlichen Vorgaben nur die von der Stadt Bonn dargelegten Gründe zu prüfen. Diese rechtfertigen keine Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
Unter Berücksichtigung des Beschwerdevortrags ist derzeit eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch den Antragsteller nicht mit der erforderlichen Sicherheit anzunehmen. Dass dieser, wie von der Stadt Bonn behauptet, Teil eines salafistisch-jihadistischen Radikalisierungszirkels sei und Gläubige zu radikaleren Predigern „geschleust“ habe, ist durch das vorgelegte Material nicht hinreichend wahrscheinlich belegt. Das Material beruht vielmehr zu erheblichen Teilen auf bloßen Annahmen, die durch das Gericht im Eilverfahren nicht weiter überprüft werden können. Soweit erstmals Anfang Oktober 2024 eine (vor einem Jahr durchgeführte) polizeiliche Vernehmung einer anonymen Szenequelle zu mutmaßlichen Plänen für Gewalttaten in das Verfahren eingeführt worden ist, verlangt das Recht auf ein faires Verfahren eine differenzierte Wertung, da eine Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage auf dieser Grundlage nicht möglich ist. Das Verwaltungsgericht war zu der nachvollziehbar begründeten Einschätzung gelangt, dass Planungen für gewalttätige Aktionen gerade nicht zu ermitteln seien. Der hiergegen im Beschwerdeverfahren angeführte fast 20 Jahre alte Zeitungsartikel stellt diese Bewertung nicht in Frage.
Die Stadt Bonn hat im Beschwerdeverfahren auch die für den konkreten Einzelfall durchgeführte Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts nicht in Zweifel gezogen. Gefahren, die von dem Antragsteller konkret ausgingen und wegen derer er die Ausweisung und Abschiebung in den Kosovo zunächst hinzunehmen habe, sind auch weiterhin nicht benannt worden. Demgegenüber steht der verfassungsrechtliche Schutz der Familie. Dabei ist – den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts folgend – maßgeblich auf die Sicht der betroffenen Kinder abzustellen. Ob die Bindung des Antragstellers und der Kinder in diesem Fall tatsächlich so schützenswert ist, muss ggf. im Hauptsacheverfahren aufgeklärt werden.
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ist unanfechtbar.