Polnische Rechtsvorschriften über die Disziplinarordnung für Richter unionsrechtswidrig

15. Juli 2021 -

Der Europäische Gerichtshof hat am 15.07.2021 zum Aktenzeichen C-791/19 entschieden, dass die polnischen Rechtsvorschriften über die Disziplinarordnung für Richter gegen das Unionsrecht verstoßen.

Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 130/2021 vom 15.07.2021 ergibt sich:

Die Europäische Kommission hat beim Gerichtshof Klage auf Feststellung erhoben, dass Polen durch den Erlass der neuen Disziplinarordnung für Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) und der ordentlichen Gerichtsbarkeit gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen hat. Mit seinem heutigen Urteil hat der Gerichtshof allen Rügen der Kommission stattgegeben und festgestellt, dass Polen gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen hat.

Der Gerichtshof entscheidet insbesondere,
• dass in Anbetracht des Gesamtkontexts der jüngsten umfassenden Justizreformen in Polen, zu dem die Schaffung der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts gehört, und aufgrund einer Kombination von Faktoren im Zusammenhang mit der Einrichtung dieser neuen Kammer diese nicht alle Garantien für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bietet und insbesondere nicht unempfänglich für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die polnische Legislative und Exekutive ist; zu diesen Faktoren gehören u. a. der Umstand, dass das Verfahren zur Ernennung der Richter am Obersten Gericht, einschließlich der Mitglieder der Disziplinarkammer, wesentlich durch ein Organ bestimmt wird (die Krajowa Rada Sądownictwa [Landesjustizrat]), das von der polnischen Exekutive und Legislative wesentlich umgebildet wurde und dessen Unabhängigkeit zu berechtigten Zweifeln Anlass geben kann; die Disziplinarkammer soll ausschließlich aus neuen Richtern bestehen, die dem Obersten Gericht nicht bereits angehört haben und im Vergleich zu den Bedingungen in den anderen Kammern dieses Gerichts z. B. eine sehr hohe Vergütung erhalten und über besonders weitgehende organisatorische, funktionelle und finanzielle Autonomie verfügen;
• dass die Disziplinarordnung es zulässt, dass der Inhalt von Gerichtsentscheidungen der Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit als Disziplinarvergehen eingestuft werden kann; sie könnte daher zur politischen Kontrolle von Gerichtsentscheidungen oder zur Ausübung von Druck auf Richter eingesetzt werden, um ihre Entscheidungen zu beeinflussen und die Unabhängigkeit der betreffenden Gerichte zu beeinträchtigen;
• dass Polen nicht gewährleistet hat, dass Disziplinarsachen gegen Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit innerhalb angemessener Frist entschieden werden, und nicht sichergestellt hat, dass die Verteidigungsrechte der beschuldigten Richter geachtet werden; damit hat es ihre Unabhängigkeit beeinträchtigt;
• dass die nationalen Richter Disziplinarverfahren ausgesetzt sind, wenn sie sich dafür entschieden haben, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, wodurch ihr Recht und gegebenenfalls ihre Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs und das System der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beeinträchtigt wird, das durch die Verträge geschaffen wurde, um die einheitliche Auslegung und die volle Geltung des Unionsrechts zu gewährleisten.

Stellt der Gerichtshof eine Vertragsverletzung fest, muss der betreffende Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sie zu beenden.