Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 26.04.2023 zum Aktenzeichen VIII ZR 420/21 entschieden, dass eine vertragliche, aus § 242 BGB herzuleitende Nebenpflicht des Wohnraummieters, besteht, dem Vermieter – nach entsprechender Vorankündigung – den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund (hier: beabsichtigte Veräußerung der Wohnung) gibt. Eine solche Pflicht kann sich zudem aus einer entsprechenden Vereinbarung im Mietvertrag ergeben.
Die Beklagte ist Mieterin einer Wohnung der Kläger in L. . Der am 9. Juni 2017 geschlossene Formularmietvertrag enthält in § 14 unter anderem folgende Regelung:
„Betreten der Mieträume
Dem Vermieter oder seinem Beauftragten oder beiden steht aus besonderem Anlass (insbesondere im Fall der Beendigung des Mietverhältnisses zwecks anderweitiger Vermietung oder bei beabsichtigtem Verkauf der Mietsache) die Besichtigung der Mieträume zu verkehrsüblicher Tageszeit nach vorheriger rechtzeitiger Ankündigung an Werktagen (auch samstags) frei.
[…]“
Erstmals im Jahr 2019 forderten die Kläger im Hinblick auf den von ihnen beabsichtigten Verkauf der Wohnung die Beklagte auf, ihnen den Zutritt zu der Wohnung in Begleitung von Immobilienmaklern und Kaufinteressenten zu gestatten. Die Beklagte lehnte dies unter Verweis auf ihre schwerwiegende psychische Erkrankung ab.
Mit der vorliegenden Klage haben die Kläger die Beklagte im Wesentlichen auf die Gewährung von Zutritt zur Wohnung gemeinsam mit den vorgenannten Personen an einem Werktag zwischen 10.00 und 18.00 Uhr nach einer mindestens drei Werktage vorhergehenden Ankündigung in Anspruch genommen
Während der Dauer des Mietverhältnisses ist das alleinige und uneingeschränkte Gebrauchsrecht an der Wohnung zwar dem Mieter zugewiesen. Zudem steht die Wohnung des Mieters als die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet, unter dem Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG, der das Recht gewährleistet, in diesen Räumen „in Ruhe gelassen zu werden“. Jedoch besteht, wie der Senat bereits entschieden hat, eine vertragliche, aus § 242 BGB herzuleitende Nebenpflicht des Mieters, dem Vermieter – nach entsprechender Vorankündigung – den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund gibt. Eine solche Pflicht kann sich zudem – wie hier – aus einer entsprechenden Vereinbarung im Mietvertrag ergeben.
Bei der Prüfung, ob ein solcher konkreter sachlicher Grund (bzw. dementsprechend ein „besonderer Anlass“ im Sinne des § 14 Nr. 1 des Mietvertrags) vorliegt, ist – wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – einerseits dem Eigentumsrecht des Vermieters (Art. 14 Abs. 1 GG), andererseits auch dem Recht des Mieters, in den Mieträumen „in Ruhe gelassen“ zu werden (Art. 13 Abs. 1 GG), und seinem ebenfalls von Art. 14 Abs. 1 GG geschütztem Recht am Besitz der Mietwohnung Rechnung zu tragen. Die Tatgerichte sind insofern gehalten, die widerstreitenden grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Vertragsparteien zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.
Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass den Klägern als Vermietern im Hinblick auf die von ihnen beabsichtigte Veräußerung der Wohnung grundsätzlich ein Recht auf Betreten der vermieteten Wohnung zuzubilligen ist. Denn angesichts der mit diesem grundsätzlich berechtigten Grund einhergehenden lediglich geringfügigen Beeinträchtigung der von Art. 13 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen des Mieters werden diese regelmäßig hinter dem ebenfalls von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interesse des Vermieters, über sein Eigentum frei verfügen und dieses bei Bedarf veräußern zu können, zurücktreten.
Das Berufungsgericht hat ferner rechtsfehlerfrei erkannt, dass unter besonderen Umständen diese Interessen des Vermieters jedoch – ausnahmsweise – eine Beschränkung erfahren können, wenn der Mieter durch die Besichtigung der Wohnung der Gefahr schwerwiegender Gesundheitsbeeinträchtigungen oder gar einer Lebensgefahr ausgesetzt und damit in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG beeinträchtigt ist.
Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt, dass die Gerichte bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr verfassungsrechtlich gehalten sind, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen und diesen Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen.
Diesen Anforderungen hat das Berufungsgericht Rechnung getragen und hat zur Beurteilung der vorbezeichneten Gefahren das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen eingeholt.
Auch hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt, dass es für die Beurteilung der rechtlichen Bedeutung der von der Beklagten geltend gemachten schweren Gesundheitsbeeinträchtigung infolge eines Betretens der Wohnung zunächst einer Feststellung der in die Abwägung einzustellenden sonstigen Interessen der Parteien bedarf, wobei auch die Folgen einer Zutrittsgewährung beziehungsweise ihrer Verweigerung für die jeweilige Partei in den Blick zu nehmen sind. Dementsprechend hat das Berufungsgericht – entgegen der Auffassung der Revision – noch rechtsfehlerfrei auch die Konsequenzen einer Zutrittsverweigerung für die Kläger in seine Erwägungen miteinbezogen. Ebenfalls ohne Rechtsfehler hat es bei der Prüfung der abwägungsrelevanten Interessen der Beklagten angenommen, dass die Beklagte nicht – wie die Revision meint – auf ihre zwangsweise Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung zur Reduzierung des Suizidrisikos verwiesen werden kann.
Das Berufungsgericht hat jedoch das von ihm zur Feststellung der Art und des Ausmaßes der von der Beklagten geltend gemachten Erkrankung und ihrer Folgen eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit sich die gesundheitlichen Folgen einer Zutrittsgewährung für die Beklagte mindern lassen, verfahrensfehlerhaft nicht vollständig gewürdigt (hierzu unter cc). Die tatrichterliche Beweiswürdigung kann zwar von dem Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden, nämlich darauf, ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung vollständig und rechtlich möglich ist, und nicht gegen die Denk- und Naturgesetze verstößt. Derartige Fehler sind dem Berufungsgericht hier aber unterlaufen.
Das Berufungsgericht hat allerdings – entgegen der Ansicht der Revision – die Folgen einer Zutrittsverweigerung für die Kläger hinreichend in den Blick genommen.
Es hat in diesem Zusammenhang weder übergangen, dass das Krankheitsbild der Beklagten seit vielen Jahren besteht und die Beklagte sich seit über 20 Jahren in Behandlung befindet, noch, dass durch weitere medikamentöse und therapeutische Behandlungen der Zustand der Beklagten nicht wesentlich verbessert werden kann. Das Berufungsgericht hat auf diese Gesichtspunkte vielmehr ausdrücklich in seiner Entscheidung hingewiesen und hat ausgeführt, dass die Abweisung der Klage einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht der Klagepartei bedeute. Hierbei hat das Berufungsgericht eine Besserung des Gesundheitszustands der Beklagten nicht für wahrscheinlich erachtet und darauf hingewiesen, dass im Fall des Eintritts einer solchen Verbesserung nicht nur weniger einschneidende Maßnahmen als das Betreten der Wohnung in Anwesenheit der Beklagten in Betracht kommen könnten, sondern das Betretungsrecht insgesamt neu bewertet werden müsste.
Das Berufungsgericht hat somit auch berücksichtigt, dass den Klägern unter Umständen der dauerhafte Entzug des Besichtigungsrechts drohen könnte. Es hat hieraus lediglich nicht den von der Revision gewünschten Schluss gezogen, dass die (derzeit) fehlende Besichtigungsmöglichkeit eine (wirtschaftlich sinnvolle) Veräußerung der Mietwohnung gänzlich ausschließe, sondern darauf verwiesen, dass unter Umständen die Möglichkeit bestehe, die Wohnung auch ohne vorherige Besichtigung zu veräußern. Übergangenen Vortrag hierzu zeigt die Revision nicht auf, sondern sie versucht lediglich, ihre Würdigung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts zu setzen. Dies ist revisionsrechtlich unbehelflich.
Entgegen der Auffassung der Revision ist auch die Würdigung des Berufungsgerichts, mit einem drohenden erheblichen Wertverlust der Immobilie sei angesichts der Preisentwicklung der vergangenen Jahre nicht zu rechnen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Einen belastbaren allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend, dass eine Wohnung, die von Erwerbsinteressenten nicht besichtigt werden könne, nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht oder nur in geringerem Umfang an der allgemeinen Preisentwicklung teilnehme, gibt es nicht. Gegenteiliges vermag auch die Revision nicht aufzuzeigen.
Ohne Erfolg rügt die Revision weiterhin, das Berufungsgericht habe das besondere Interesse des Klägers zu 2 an der Besichtigung der Wohnung bei seiner Gesamtabwägung nicht ansatzweise berücksichtigt und dadurch gegen Art. 103 Abs. 1 GG sowie gegen § 286 ZPO verstoßen. Die Revision zeigt keine besonderen Umstände auf noch ist sonst ersichtlich, dass sich das Berufungsgericht mit dem Vorbringen der Kläger, sie benötigten den Erlös aus dem Verkauf der von der Beklagten gemieteten Wohnung, um – nachdem ihre Eigenbedarfskündigung dieser Wohnung gescheitert sei – für den Kläger zu 2 eine andere Wohnung zum Selbstbezug zu erwerben, nicht befasst haben könnte. Das Berufungsgericht hat in seiner Abwägung vielmehr ausdrücklich die mit einer Besichtigung einhergehende bessere Verkaufsmöglichkeit berücksichtigt und hervorgehoben, dass die Abweisung der Klage einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht der Kläger darstelle. Eines ausdrücklichen Eingehens auf den von den Klägern angestrebten Erwerb einer Wohnung für den Kläger zu 2 im Berufungsurteil bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht.
Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte nicht auf eine Unterbringung nach Art. 5 des Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes vom 24. Juli 2018 (BayPsychKHG; GVBl. S. 583) verwiesen werden kann. Die Revision rügt insofern zu Unrecht, das Berufungsgericht habe die Möglichkeit einer solchen Unterbringung der Beklagten mit unzutreffenden Erwägungen abgelehnt. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht eine Unterbringung der Beklagten zur Ermöglichung des Betretens der Wohnung durch den Vermieter wegen des beabsichtigten Verkaufs im Hinblick auf die vom Berufungsgericht festgestellte Gefahr einer hierdurch drohenden Verschlechterung des Gesundheitszustands der Beklagten jedenfalls als nicht geeignete und nicht verhältnismäßige Maßnahme angesehen.
Soweit die Revision in diesem Zusammenhang geltend macht, der Beklagten sei grundsätzlich zuzumuten, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die Selbsttötungsgefahr zu verringern, übergeht sie, dass die Beklagte sich nach den insofern nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts seit über 20 Jahren in psychiatrischer (ambulanter oder stationärer) Behandlung befindet und medikamentös behandelt wird.
Die Revision beanstandet mit der Verfahrensrüge (§ 286 Abs. 1, §§ 551, 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO) jedoch zu Recht, das Berufungsgericht habe den Inhalt des von ihm eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens nicht vollständig zur Kenntnis genommen und sich mit den Ausführungen des Sachverständigen zu den gesundheitlichen Auswirkungen einer möglichen Vertretung der Beklagten bei einer Wohnungsbesichtigung nicht auseinandergesetzt. Der Senat ist im Hinblick auf diese durchgreifende Verfahrensrüge nicht an die angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden (§ 559 Abs. 2 BGB).
Das Berufungsgericht ist entsprechend der Beurteilung des psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen zu dem Ergebnis gelangt, dass sowohl bei Erlass als auch bei der Vollstreckung eines Urteils, das ein Betretungsrecht zugunsten der Kläger ausspreche, ein hohes Risiko für Handlungen der Beklagten mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zum vollendeten Suizid bestehe und Maßnahmen, die das Risiko einer solchen erheblichen Verschlechterung signifikant verringerten, derzeit nicht ersichtlich seien.
Mit den Ausführungen des Sachverständigen, wonach sich das Risiko für gesundheitliche Komplikationen, wenn sich die Beklagte bei einem Betreten der Wohnung durch Vermieter, Kaufinteressenten oder Makler von einer Vertrauensperson beziehungsweise einem Rechtsanwalt vertreten lasse, im Vergleich zu einer Besichtigung bei persönlicher Anwesenheit der Beklagten verringere, hat sich das Berufungsgericht dagegen unter Verstoß gegen § 286 Abs. 1 ZPO nicht auseinandergesetzt, obwohl sie der Annahme einer durch das Betreten der Wohnung nicht zu vermeidenden Gesundheitsverschlechterung der Beklagten entgegenstehen. Es hat eine Vertretung der Beklagten bei der Wohnungsbesichtigung lediglich als eine Maßnahme im Fall einer eventuellen Besserung des Gesundheitszustands der Beklagten in Erwägung gezogen.
Soweit die vorgenannten Ausführungen des Sachverständigen zu den Auswirkungen einer Vertretung in (scheinbarem) Widerspruch zu den Feststellungen des Sachverständigen stehen, wonach eine der Klage stattgebende Entscheidung ein hohes Risiko einer erheblichen Gesundheitsgefährdung mit sich bringe, wäre es die Aufgabe des Berufungsgerichts als Tatgericht gewesen, auf eine Aufklärung dieses möglichen Widerspruchs – etwa mittels einer Erläuterung durch den Sachverständigen gemäß § 411 Abs. 3 ZPO – hinzuwirken.
Das Berufungsurteil beruht auf dem dargelegten Rechtsfehler (§ 545 Abs. 1 ZPO). Bei der – hier vorliegenden – Verletzung verfahrensrechtlicher Bestimmungen genügt bereits die Möglichkeit, dass das Berufungsgericht ohne den Verfahrensfehler zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Im Streitfall ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es die vorgenannten Ausführungen des Sachverständigen in seine Würdigung miteinbezogen beziehungsweise den Sachverständigen zu seinen – möglicherweise nur scheinbar – widersprüchlichen Feststellungen ergänzend befragt hätte.