Das Landgericht Oldenburg hat die im September 2019 erhobene Anklage der Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen fünf (teils ehemalige) Mitarbeiter/Verantwortliche des Klinikums Oldenburg nur teilweise und mit abweichender rechtlicher Bewertung zum Hauptverfahren zugelassen.
Aus der Pressemitteilung des LG Oldenburg vom 27.04.2021 ergibt sich:
Das Verfahren steht in Zusammenhang mit der Mordserie des ehemaligen Krankenpflegers Niels Högel. Es betrifft drei Todesfälle im Klinikum Oldenburg und 60 Todesfälle im Klinikum Delmenhorst. Bei den Angeschuldigten handelt es sich um einen ehemaligen Geschäftsführer, einen ehemaligen ärztlichen Leiter der kardiologischen Intensivstation, einen Leiter des Bereichs Pflege der kardiologischen Intensivstation, eine ehemalige Pflegedirektorin und einen ärztlichen Leiter der Anästhesiestation des Klinikums Oldenburg. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeschuldigten in der Anklageschrift Totschlag durch Unterlassen vor. Eine eventuelle Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung oder der Nichtanzeige geplanter Straftaten ist – infolge von Verjährung – nicht Gegenstand der Anklage.
Die Schwurgerichtskammer hatte nunmehr im sogenannten Zwischenverfahren darüber zu entscheiden, ob die Angeschuldigten auf Grundlage des ihr vorgelegten Akteninhalts des Totschlags durch Unterlassen hinreichend verdächtig sind.
Die Kammer hat die Anklage nicht zugelassen, soweit sie 60 Todesfälle im Klinikum Delmenhorst betrifft. Der Anklagevorwurf bezieht sich darauf, dass die Angeschuldigten die Tötung von Patienten durch den ehemaligen Krankenpfleger Högel – etwa durch Einschreiten oder durch Verständigen der Ermittlungsbehörden – hätten verhindern müssen. Nach Auffassung der Kammer traf die im Klinikum Oldenburg tätigen Angeschuldigten jedoch in Bezug auf die Patienten im Klinikum Delmenhorst keine rechtliche Pflicht zu einem derartigen Handeln. Es fehle insoweit an der für eine Strafbarkeit wegen eines Unterlassungsdelikts erforderlichen „Garantenstellung“. Die Angeschuldigten seien als Geschäftsführer, Ärzte bzw. Pfleger lediglich für das Wohl der ihnen anvertrauten Patienten im Klinikum Oldenburg verantwortlich gewesen. Schutzpflichten gegenüber den Patienten des Klinikums Delmenhorst hätten hingegen nicht bestanden. Auch wenn sich der in der Anklageschrift geschilderte Sachverhalt bestätigen sollte, scheide eine Verurteilung daher hinsichtlich der Todesfälle im Klinikum Delmenhorst aus rechtlichen Gründen aus.
Da sich der Anklagevorwurf gegen den Leiter der Anästhesiestation lediglich auf Todesfälle in Delmenhorst bezieht, hat die Schwurgerichtskammer die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen diesen Angeschuldigten insgesamt abgelehnt. Bezüglich der weiteren Angeschuldigten hat die Kammer das Verfahren im Hinblick auf die drei Todesfälle im Klinikum Oldenburg mit der Abweichung eröffnet, dass eine Verurteilung lediglich wegen Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen in Betracht komme.
Der Umstand, dass die Angeschuldigten – so der Anklagevorwurf – die Möglichkeit gehabt hätten, den ehemaligen Krankenpfleger Högel zu stoppen, mache sie nicht zu Tätern im Rechtssinne. Es sei nach dem Akteninhalt nicht zu erkennen, dass die Angeschuldigten sich die Taten des voll verantwortlich und autonom handelnden Begehungstäters Högel zu eigen machen wollten. Es bestehe lediglich der für die Eröffnung des Hauptverfahrens hinreichende Verdacht, dass sie die ihnen eigentlich unerwünschten Taten des Högel – aus Sorge um das Ansehen der eigenen Person, der Station oder der Klinik – unterstützt haben könnten, indem sie ihn gewähren ließen. Die Angeklagten hätten auch nicht gewusst, wann und wem gegenüber der ehemalige Krankenpfleger Högel aktiv werden würde und aus diesem Grund keinen Einfluss auf die konkreten Taten gehabt. Die Angeschuldigten kämen daher nicht als Mittäter, sondern lediglich als Gehilfen des Högel in Betracht.
Soweit die Schwurgerichtskammer die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat, steht der Staatsanwaltschaft sowie den Nebenklägern gegen die Entscheidung das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu. Über eine sofortige Beschwerde hätte das Oberlandesgericht Oldenburg zu entscheiden.