Patienten müssen kein medizinisches Fachwissen haben

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 19.11.2024 zum Aktenzeichen VI ZR 35/23 entschieden, dass ein Patient im Arzthaftungsverfahren kein medizinisches Fachwissen haben muss.

Im März 2019 entschied eine Frau, sich einem Facelifting zu unterziehen und zahlte dafür insgesamt 20.000 Euro. Nach der Behandlung war sie jedoch mit dem Ergebnis unzufrieden: Ihre Mundwinkel hingen nach unten, die Proportionen ihres Gesichts stimmten nicht mehr und es bildete sich ein Hautüberschuss über ihrem linken Auge, begleitet von Narben an den Schläfen. Aus diesem Grund reichte sie Klage gegen den Schönheitschirurgen ein, die jedoch vor dem Landgericht (LG) München I abgewiesen wurde.

Nach der Ablehnung der Klage ging die Frau in Berufung und argumentierte zusätzlich, dass ein Behandlungsfehler vorliege, da die verwendete Lifting-Methode als eine Neulandmethode angesehen werden könne, für die eine Korrektur schwierig oder unmöglich sei. Diese Information erhielt sie jedoch erst nach dem Urteil des LG München I von anderen Ärzten. Die Frau betonte, dass der Arzt sie über dieses Risiko aufklären hätte müssen.

Das Oberlandesgericht (OLG) München entschied, dass die Berufung der Patientin abgewiesen wird, da die Beweisaufnahme zeigte, dass die verwendete Methode keine Revisionen der Behandlung unmöglich machte. Daher sei auch die unterlassene Aufklärung durch den Arzt nicht rechtswidrig. Das OLG argumentierte, dass die Patientin schon während des Verfahrens vor dem Landgericht München I den Sachverständigen zu diesem Thema hätte befragen sollen. Aufgrund dessen wurde das Vorbringen der Patientin im Berufungsverfahren gemäß § 531 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) als verspätet angesehen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) sah dies jedoch anders und stellte fest, dass die Patientin erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem LG München I die Informationen über die angewandte Facelifting-Methode erhalten hatte. Daher sei es nicht gerechtfertigt, ihr vorzuwerfen, den Sachverständigen nicht befragt und dies erst im Berufungsverfahren vorgebracht zu haben. Die Nachlässigkeit, die gemäß § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO erforderlich ist, könne ihr daher nicht zur Last gelegt werden.

Darüber hinaus betonte der BGH, dass die Patientin auch nicht dazu verpflichtet war, sich um eine frühere Kenntnis dieser Umstände zu bemühen. Es liegt nicht in der Verantwortung der Parteien, unbekannte Umstände zu ermitteln. „Der Patient ist nicht dazu verpflichtet, medizinisches Fachwissen zu erlangen, um eine ordnungsgemäße Prozessführung zu gewährleisten“, so die Richter in Karlsruhe.