Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 08.09.2022 zum Aktenzeichen 8 Sa 605/21 entschieden, dass ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer nicht betriebsbedingt kündigen kann, wenn er den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs nicht darlegen kann.
Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung.
Dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG liegen vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung auf der betrieblichen Ebene spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Diese Prognose muss schon im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv berechtigt sein.
Ein dringendes „betriebliches“ Erfordernis, das einer Weiterbeschäftigung entgegensteht, ist gegeben, wenn die Arbeitskraft des Arbeitnehmers im Betrieb nicht mehr gefordert ist. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehalten, nicht mehr benötigte Arbeitsplätze und Arbeitskräfte weiterhin zu besetzen bzw. zu beschäftigen. Hängt der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs von einer solchen unternehmerisch-organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers ab, braucht diese bei Kündigungszugang noch nicht tatsächlich umgesetzt zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet. Dazu müssen – soweit die Kündigung ihren Grund in einer Änderung der betrieblichen Organisation hat – zumindest die Absicht und der Wille des Arbeitgebers, die fraglichen Maßnahmen vorzunehmen, schon vorhanden und abschließend gebildet worden sein. Andernfalls lässt sich im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – auf den es dafür unverzichtbar ankommt – nicht hinreichend sicher prognostizieren, es werde bis zum Ablauf der Kündigungsfrist tatsächlich zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs kommen. Eine Kündigung, die erklärt wurde, ohne dass bei ihrem Zugang bereits festgestanden hätte, aufgrund welcher Maßnahme des Arbeitgebers es zum Arbeitsplatzverlust kommen werde, ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, sondern nur durch den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers bedingt. Der bloße Kündigungswille des Arbeitgebers wiederum ist kein Grund, der eine Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen könnte. Dazu bedarf es eines Grundes außerhalb der Kündigung selbst, also eines Grundes, der dem Kündigungsentschluss seinerseits zugrunde liegt.
Da der Arbeitgeber gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Tatsachen zu beweisen hat, die die Kündigung bedingen, hat er die tatsächlichen Grundlagen für die Berechtigung der Prognose, bis spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist werde ein Beschäftigungsbedarf entfallen sein, von sich aus schlüssig vorzutragen. Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, d.h. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Beklagte nicht nachvollziehbar dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Kündigung vom 04.03.2021 die Prognose gerechtfertigt war, die Tätigkeiten des Klägers seien zu 50% weggefallen und die verbleibenden Tätigkeiten könnten ohne überobligationsmäßige Leistungen durch Herrn K übernommen werden.
Soweit sich die Beklagte zur Begründung des von ihr angenommene Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs auf eine Entscheidung „Mitte des Jahres 2020“ bezieht, die ein „Zurückfahren“ der vertrieblichen Aktivitäten im Sanitärbereich zum Gegenstand gehabt habe, ist weder feststellbar, welche konkreten Maßnahmen beschlossen worden sein sollen, noch welche Auswirkungen sich hieraus auf den Tätigkeitsbereich des Klägers ergeben haben sollen. Selbst wenn man die Richtigkeit des Vortrags der Beklagten unterstellt und davon ausgeht, dass der Kläger auch über das Jahr 2019 hinaus im Sanitärbereich tätig war, hätte es einer konkreten Darlegung dessen bedurft, welche Tätigkeiten im Sanitärbereich der Kläger mit welchem zeitlichen Umfang ausgeübt hat, und inwieweit die Entscheidung der Beklagten zur Reduzierung der vertrieblichen Aktivitäten im Sanitärbereich zu einem Wegfall oder zu einer Reduzierung dieser Tätigkeiten geführt hat.
Nicht schlüssig ist der Vortrag der Beklagten auch insoweit, als sie einerseits vorgetragen hat, der Kläger sei auf Grund des Rückgangs des Sanitärvertriebs und der infolge der Corona-Pandemie weggefallenen Kundenbesuche im Jahr 2020 bereits in geringerem Umfang im Bereich des Vertriebs von Sanitärprodukten tätig gewesen und spätestens Ende Mitte 2020 nicht mehr voll ausgelastet gewesen, sie andererseits aber vorgetragen hat, der zum 01.03.2020 eingestellte Mitarbeiter K sei – wie auch der Kläger – mit einem Arbeitsanteil von 40% im Bereich Sanitär tätig gewesen. Insoweit ist nicht nachvollziehbar, inwieweit trotz des nach eigenem Vortrag rückläufigen Arbeitsvolumens im Vertrieb für Sanitärprodukte zum 01.03.2020 neue Aufgaben in selbigem Bereich im Umfang von 40% einer neuen Vollzeitstelle generiert werden konnten.
Ein Wegfall des Beschäftigungsbedarfs ist auch nicht auf Grund der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten vom 28.01.2021, den Vertriebsbereich Verbundwerkstoffe spätestens zum 30.06.2021 neu zu strukturieren, entfallen. Ausweislich des von der Beklagten als Anlage B3 zum Schriftsatz vom 07.06.2021 vorgelegten Ergebnisprotokolls der Geschäftsleitungssitzung vom 28.01.2021 (Bl 57, 58 d.A.) hat die Geschäftsleitung beschlossen, die Arbeitsaufgaben, die bislang auf dem Arbeitsplatz des Klägers zusammengefasst waren, aufzulösen und umzuverteilen, soweit sie weiterhin anfallen. Die Betreuung der Kunden E und D sollte vom Kläger auf Herrn K übergehen; zudem sollte eine weitere Reduzierung der Reisezeiten der Mitarbeiter um ca. 30% erfolgen.
Es fehlt auch insoweit an einer konkreten Darlegung dessen, welche Aufgaben mit welchem Zeitanteil in welchem Vertriebsbereich zum Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung beim Kläger vorhanden waren, inwieweit die neuerliche unternehmerische Entscheidung zu einem Wegfall von Tätigkeiten geführt hat und wie die verbliebenen Tätigkeiten umverteilt werden sollten. Der Beschluss der Geschäftsleitung der Beklagten vom 28.01.2021 enthält leidglich eine Aussage zu den Kunden E und D , die von Herrn K übernommen werden sollten. Soweit es hierzu weiter heißt, die Betreuung sei „nicht sehr zeitintensiv“, handelt es sich hierbei um keine hinreichend konkrete Angabe des Arbeitsvolumens. Zu der Umverteilung der übrigen Aufgaben des Klägers enthält das Ergebnisprotokoll vom 28.01.2021 keine Angaben; die Beklagte hat die Umverteilung auch im Rahmen dieses Verfahrens nicht nachvollziehbar dargelegt. Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass – mit Ausnahme der Betreuung der Kunden E und D – keinerlei vertrieblichen Aufgaben im Vertriebsbereich Sanitär mehr bestanden haben sollte und sich der Arbeitskraftanteil im Vertriebsbereich Küchenspülen sowohl beim Kläger als auch bei Herrn K zum Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung auf 60% belief, ist nicht eine vollständige Übernahme der Aufgaben des Klägers durch Herrn K , dessen Arbeitsvolumen sich dann auf mehr als 120% belaufen müsste, nicht schlüssig. Zwar hat die Beklagte behauptet, tatsächlich sei jeweils nur noch ein Arbeitskraftanteil von 50% zu berücksichtigen gewesen, da die Reisetätigkeiten der Außendienstmitarbeiter hätten um 30% reduziert werden sollen, was einem Arbeitskraftanteil von 10 – 15% entspreche. Sie hat aber keine konkreten Tatsachen vorgetragen, die eine Überprüfung dieser Berechnung bzw. ihrer Grundlagen erlauben würden. Es ist weder ersichtlich, in welchem Umfang ursprünglich Reisetätigkeiten anfielen, noch inwieweit diese durch die Corona-Pandemie reduziert wurden, noch durch welche Maßnahmen die Beklagte ihr erklärtes Ziel zur Reduzierung der Reisetätigkeiten erreichen wollte und in welchem Umfang in Folge dieser Maßnahmen – konkret auf die Tätigkeiten des Klägers und des Herrn K bezogen – ein Rückgang der Reisezeiten zu erwarten war.