Das Bundesverwaltungsgericht hat am 27.09.2021 zum Aktenzeichen 8 C 31.20 entschieden, dass eine Verletzung des kommunalrechtlichen Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit durch fehlerhafte Vergabe eines Teils der Sitzplätze zur Nichtigkeit der in der Sitzung gefassten Beschlüsse führt, wenn die demokratische Kontrollfunktion der Öffentlichkeit nicht mehr gewährleistet war.
Aus der Pressemitteilung des BVerwG Nr. 60/2021 vom 28.09.2021 ergibt sich:
Der Bürgermeister der Stadt Gladbeck berief für den 26. November 2015 eine Ratssitzung ein. Wegen des erwarteten großen Zuschauerinteresses vergab die Verwaltung Eintrittskarten. Von den insgesamt 73 Plätzen wurden acht der Presse, neun verschiedenen Funktionsträgern und sieben dem Bürgermeister zur Verfügung gestellt. Die im Rat vertretenen Fraktionen erhielten insgesamt 25 Karten, die ihnen im Verhältnis zu ihrem Stimmenanteil bei der Kommunalwahl 2014 zugeteilt wurden. Die restlichen 24 Karten vergab die Verwaltung nach der Reihenfolge der Anfragen.
Die Klägerin, eine Ratsfraktion, hat gegen den Rat der Stadt Klage erhoben und geltend gemacht, dieses Vergabesystem verletze den Grundsatz der Öffentlichkeit und führe zur Unwirksamkeit der in der Ratssitzung gefassten Beschlüsse.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, die Beschlüsse des Beklagten aus dem öffentlichen Teil der Ratssitzung seien unwirksam. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Urteil teilweise geändert. Es hat die Feststellung der Verletzung von Organrechten der Klägerin aufrechterhalten. Den weitergehenden Antrag, die Nichtigkeit der Beschlüsse festzustellen, hat es jedoch abgewiesen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Berufungsurteil im Ergebnis bestätigt.
Seine Annahme, der Beklagte habe die Organrechte der Klägerin verletzt, indem er bei Durchführung der Ratssitzung gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit verstoßen habe, steht mit Bundesrecht im Einklang. Das Berufungsgericht ist in Auslegung irrevisiblen Landesrechts davon ausgegangen, dass der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit eine chancengleiche Zugangsmöglichkeit für jedermann ohne Ansehen der Person im Rahmen verfügbarer Kapazitäten verlangt. Eine bevorzugte Vergabe von Zuhörerplätzen hat es nur für zulässig gehalten, soweit sie aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist, sofern daneben noch eine relevante Anzahl an allgemein zugänglichen Plätzen verbleibt. Dieser Maßstab verletzt kein höherrangiges Recht und steht insbesondere mit dem Demokratiegebot im Einklang. Revisionsrechtlich fehlerfrei ist auch die Annahme, die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes führe nur bei schweren Verstößen zur Unwirksamkeit der gefassten Beschlüsse. Dem Demokratiegebot widerspricht aber die Annahme, ein schwerer Verstoß fehle schon, wenn eine relevante Anzahl allgemein zugänglicher Plätze verbleibe und die Zuhörerschaft insgesamt nicht das Gepräge eines von den politischen Akteuren gezielt zusammengestellten Publikums habe. Richtigerweise ist darauf abzustellen, ob die Funktion der Sitzungsöffentlichkeit, demokratische Kontrolle sicherzustellen, noch gewährleistet ist. Das war hier der Fall.