BGH, Beschluss vom 10.03.2025 – NotZ (BrfG) 2/24
Die Bewerbung um eine Notarstelle ist kein gewöhnliches Auswahlverfahren – sie erfordert nicht nur hohe fachliche Qualifikation, sondern auch uneingeschränkte Integrität. In einem aktuellen Beschluss hat der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt, dass Bewerberinnen und Bewerber für das Notariat absolut wahrheitsgemäße Angaben machen müssen – auch über eingestellte Verfahren. Das Gericht wies die Beschwerde eines Rechtsanwalts zurück, der in einem Bewerbungsverfahren ein früheres, eingestelltes Aufsichtsverfahren verschwieg. Der Fall unterstreicht die hohen Anforderungen an persönliche Eignung und Offenheit im notariellen Auswahlverfahren.
Sachverhalt: Verschwiegenes Aufsichtsverfahren trotz ausdrücklicher Belehrung
Im Zentrum des Verfahrens stand ein Rechtsanwalt, der sich auf eine der fünf ausgeschriebenen Notarstellen im Amtsgerichtsbezirk Hildesheim beworben hatte. Obwohl nur drei Bewerbungen eingingen – was die in Teilen der Bundesrepublik bestehende Nachwuchsproblematik bei Notaren nochmals illustriert –, lehnte die Justizverwaltung Niedersachsen die Bewerbung des Mannes ab. Grund: Er hatte in dem Bewerbungsformular auf die Frage nach früheren oder laufenden Ermittlungs- oder Aufsichtsverfahren wahrheitswidrig „nein“ angekreuzt. Tatsächlich war gegen ihn im Jahr 2020 ein anwaltliches Aufsichtsverfahren geführt worden.
Dieses Verfahren beruhte auf einer Beschwerde eines Mandanten, wonach der Anwalt zivilrechtliche Mandate nicht weiterbearbeitet habe – trotz gesetzter Fristen. Zwar wurde das Verfahren nach Stellungnahme des Anwalts eingestellt, doch hatte dieser eigenes Fehlverhalten eingeräumt. Die Anwaltskammer Celle verzichtete dennoch auf Maßnahmen – unter Berufung auf den Grundsatz in dubio pro reo.
Doch genau hier liegt laut BGH das Problem: Während im anwaltlichen Berufsrecht Zweifel dem Betroffenen zugutekommen, wirken sie im notariellen Auswahlverfahren zulasten des Bewerbers.
Rechtliche Würdigung: Strenge Maßstäbe an Integrität und Offenheit
Der BGH betonte, dass an die persönliche Eignung von Notarbewerbern besonders hohe Anforderungen zu stellen seien. Das folgt aus der besonderen Stellung des Notars als „unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes“ (§ 1 BNotO) im Bereich der vorsorgenden Rechtspflege. Die Anforderungen an Redlichkeit und Vertrauenswürdigkeit übersteigen damit die Maßstäbe, die an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gestellt werden.
Der Bewerber sei in besonderem Maße zur „Integrität verpflichtet“. Deshalb sei die Auskunftspflicht im Bewerbungsverfahren „peinlich genau“ zu erfüllen. Dass das fragliche Aufsichtsverfahren eingestellt worden war, entband den Bewerber nicht von der Pflicht zur Offenlegung. Entscheidend sei nämlich nicht, wie der Bewerber selbst die Relevanz des Verfahrens einschätze, sondern allein die Beurteilungshoheit der Justizbehörde.
Der BGH stellte ferner klar, dass es auf das Verschulden nicht entscheidend ankomme. Es sei unerheblich, ob der Bewerber vorsätzlich oder lediglich aus Nachlässigkeit gehandelt habe – das Vertrauen in seine Wahrhaftigkeit sei durch das unrichtige Ausfüllen des Formulars bereits beschädigt. Dies gelte umso mehr, als der Bewerber das Verfahren auch bei vorherigen Anläufen zur Notarvertretung verschwiegen hatte.
Vertrauensschutz der Öffentlichkeit im Mittelpunkt
Zentraler Maßstab für die Eignung sei die Frage, ob rechtsuchende Bürgerinnen und Bürger dem Notar Achtung und Vertrauen entgegenbringen können (§ 14 Abs. 3 Satz 1 BNotO). Neben Fachwissen, Urteilsvermögen, Entschlusskraft und wirtschaftlichem Verständnis komme es gerade auf persönliche Integrität und Wahrhaftigkeit an. Auch Aufsichtsbehörden müssten sich auf die Richtigkeit von Angaben verlassen können. Die Entscheidung des BGH stellt somit klar: Schon Zweifel an der persönlichen Redlichkeit können für eine Ablehnung ausreichen.
Fazit: Strenge Anforderungen für das öffentliche Amt
Der Beschluss des BGH bekräftigt ein grundlegendes Prinzip im Notarrecht: Die Ausübung eines öffentlichen Amtes verlangt höchste persönliche Integrität. Wer sich um eine solche Stellung bewirbt, muss bereit sein, auch unbequeme oder scheinbar harmlose Informationen offen zu legen. Selbst eingestellte oder folgenlose Verfahren sind mitzuteilen, wenn sie im Fragebogen abgefragt werden. Die Verantwortung für die Bewertung liegt nicht beim Bewerber, sondern bei der Justizverwaltung.
Die Entscheidung hat Signalwirkung: Bewerberinnen und Bewerber auf Notarstellen – insbesondere solche mit anwaltlichem Hintergrund – müssen sich bewusst sein, dass eine „Anwaltsmentalität“ im Umgang mit unangenehmen Sachverhalten hier fehl am Platz ist. Der Maßstab ist höher – und das zu Recht.