Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim hat mit Beschlüssen vom 06.11.2020 zu den Aktenzeichen 1 S 3388/20, 1 S 3386/20, 1 S 3390/20, 1 S 3382/20, 1 S 3430/20 und 1 S 3448/20 entschieden, dass die coronabedingte Schließung von Gastronomie, Fitnessstudios und Kosmetikbetrieben in Baden-Württemberg seit dem 02.11.2020 wegen den staatlichen Maßnahmen zur Umsatzkompensation voraussichtlich verhältnismäßig ist.
Aus der Pressemitteilung des VGH BW Nr. 50/2020 vom 06.11.2020 ergibt sich:
Gegen die Betriebsschließungen durch die seit dem 02.11.2020 geltende Corona-Verordnung der Landesregierung Baden-Württemberg wehrten sich ein Restaurant (1 S 3388/20), ein Hotel mit Sauna, Schwimmbad und Restaurant (1 S 3386/20), ein Bistro (1 S 3390/20), ein Fitnessstudio (1 S 3382/20), ein Kosmetik- und Nagelstudio (1 S 3430/20) und ein Berufsmusiker und Konzertveranstalter (1 S 3448/20).
Keiner der Eilanträge hatte vor dem VGH Mannheim Erfolg.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs kann es insbesondere in einer Pandemielage mit diffusem Infektionsgeschehen – zur Vermeidung eines vollständigen „Lockdowns“ – sachliche Gründe für Ungleichbehandlungen geben. Im Eilverfahren offen sei allerdings, ob solche Differenzierungen, für die es keine rein infektionsschutzrechtlichen Gründe gebe, vom Verordnungsgeber oder nur vom parlamentarischen Gesetzgeber vorgenommen werden dürfen. Diese Frage stelle sich umso dringlicher, wenn die Landesregierung Ungleichbehandlungen zu einem Zeitpunkt vornehme, zu dem die Grundrechtsträger bereits über einen längeren Zeitraum erheblichen Grundrechtseingriffen zur Bekämpfung einer Pandemie ausgesetzt gewesen seien.
Ob die Betriebsuntersagungen für die genannten Antragsteller in den sechs Verfahren den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG und des Parlamentsvorbehalts genüge, sei daher offen. Denn die Landesregierung müsse sich grundsätzlich an infektionsschutzrechtlichen Gründen ausrichten, wenn sie Ungleichbehandlungen vornehme. Zu diesen infektionsschutzrechtlichen Gründen, die Ungleichbehandlungen rechtfertigen könnten, träten überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls hinzu, die Ungleichbehandlungen ebenfalls erlauben könnten. Solche überragend wichtigen Gründe des Gemeinwohls könnten beispielsweise für eine bevorzugte Öffnung des Einzelhandels für solche Güter – wie z.B. Lebensmittel – sprechen, die der unmittelbaren Grundversorgung der Bevölkerung dienten. Auch pädagogisch, nicht rein infektionsschutzrechtlich begründete Differenzierungen im Schulbereich könnten zulässig sein.
Die Landesregierung habe mit ihren neuen Maßnahmen jedoch zwischen den nicht näher definierten „Kernbereichen der (nicht publikumsintensiven) Wirtschaft“ auf der einen Seite und sonstigen „(Rand-)Bereichen der Wirtschaft“ auf der anderen Seite differenziert. Das führe beispielsweise dazu, dass der Einzelhandel anders als die Betriebe der Antragsteller bei möglicherweise vergleichbaren infektionsschutzrechtlichen Gefährdungslagen keinem „Lockdown“ unterworfen werde. Damit habe die Landesregierung das Gebiet von streng infektionsschutzrechtlichen Unterscheidungsgründen verlassen und sich auch nicht mehr auf eine Differenzierung nach überragend wichtigen Gründen des Gemeinwohls beschränkt.
Die mit den Betriebsschließungen einhergehenden Nachteile seien für die Betriebsinhaber von sehr erheblichem Gewicht. Der Eingriff in das Grundrecht der Betriebsinhaber auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sei jedoch wegen der von der Bundesregierung beschlossenen Entschädigungsleistungen voraussichtlich verhältnismäßig. Den gravierenden Folgen für Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener und der damit verbundenen Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems Deutschlands komme in der Abwägung mit den Belangen der betroffenen Betriebsinhaber ein größeres Gewicht zu.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.