Der Bayerische Verfassungsgerichtshof in München hat es am 16.11.2020 zum Aktenzeichen Vf. 90-VII-20 abgelehnt, die Regelungen der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (8. BayIfSMV) durch einstweilige Anordnung außer Vollzug zu setzen, so dass die erheblichen Verschärfungen durch die neue Verordnung unter anderem in Form der vorübergehenden Schließung von Betrieben und sonstigen Einrichtungen aufrechterhalten bleiben.
Aus der Pressemitteilung des Bay. VerfGH vom 17.11.2020 ergibt sich:
Die vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erlassene Achte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30.10.2020 (8. BayIfSMV) enthält unter anderem Verbote und Beschränkungen für folgende Bereiche: Veranstaltungen (§ 5 8. BayIfSMV), Freizeiteinrichtungen (§ 11 Abs. 1 und 3 8. BayIfSMV), Dienstleistungen mit körperlicher Nähe zum Kunden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 8. BayIfSMV), Gastronomie (§ 13 Abs. 1 und 2 8. BayIfSMV), Beherbergung (§ 14 Abs. 1 8. BayIfSMV) und Kulturstätten (§ 23 8. BayIfSMV).
Die Antragsteller machen geltend, die angegriffenen Bestimmungen verstoßen gegen das Rechtsstaatsprinzip, da sie zum einen mangels Erforderlichkeit der Regelungen von der Verordnungsermächtigung im (Bundes-)Infektionsschutzgesetz nicht gedeckt seien und zum anderen Bedenken gegen diese Ermächtigungsgrundlage bestünden. Bezüglich aller angegriffenen Normen gebe es Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit den Grundrechten der Bayerischen Verfassung. Die Antragsteller haben deshalb Popularklage erhoben mit dem Ziel, dass Regelungen der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung für verfassungswidrig und nichtig erklärt werden. Zugleich wollen sie mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen, dass die genannten Vorschriften sofort außer Vollzug gesetzt werden.
Der VerfGH München hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes liegen keine Gründe vor, die im Interesse der Allgemeinheit eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile unabweisbar machen und eine vollständige oder teilweise Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelungen rechtfertigen.
Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen überschlägigen Prüfung lasse sich nicht feststellen, dass die angegriffenen Vorschriften wegen Fehlens einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage oder wegen einer Abweichung von den Vorgaben der bundesrechtlichen Ermächtigung gegen das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) verstoßen. Dabei sei zu beachten, dass der Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf Bundesrecht – anders als die Fachgerichtsbarkeit – nur einen eingeschränkten Prüfungsmaßstab habe. Aus den Bemühungen auf Bundesebene, in das Infektionsschutzgesetz einen neuen § 28a IfSG mit einem Beispielskatalog für notwendige Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 aufzunehmen, lasse sich nicht schließen, dass die bisherige Ermächtigungsgrundlage dem Parlamentsvorbehalt nicht genüge.
Es sei nicht offensichtlich, dass die angegriffenen Vorschriften ein Freiheitsgrundrecht der Bayerischen Verfassung verletzen. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Regelungen im Vergleich zur Siebten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung verschärft wurden, sei insbesondere keine offensichtliche Verletzung der durch Art. 101 BV gewährleisteten Berufsfreiheit festzustellen. Hintergrund sei eine in jüngster Zeit immense Zunahme an Infektionen im Zuge des Pandemiegeschehens. Dass dem Normgeber, der nach Art. 99 Satz 2 Halbsatz 2 BV verpflichtet sei, die personellen und sachlichen Kapazitäten des Gesundheitssystems zu schützen, mildere, aber gleichermaßen wirksame Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um in den geregelten Bereichen die Infektionsgefahr zu minimieren und damit der weiteren Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken, sei nicht offensichtlich. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Bayerische Staatsregierung ihrer Pflicht, die getroffenen Maßnahmen fortlaufend auf ihre Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit hin zu überprüfen, nicht nachkäme.
Das Gleichheitsgrundrecht (Art. 118 Abs. 1 BV) oder das darin enthaltene Willkürverbot sei ebenfalls nicht offensichtlich verletzt. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Normgeber besonders bei Massenerscheinungen, die sich – wie das gegenwärtige weltweite Infektionsgeschehen – auf eine Vielzahl von Lebensbereichen auswirken, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen dürfe, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen. Vor diesem Hintergrund sei es jedenfalls nicht offensichtlich, dass der Verordnungsgeber gegen den Gleichheitssatz verstoßen habe, indem er Friseure vom Verbot der Erbringung körpernaher Dienstleistungen ausgenommen (§ 12 Abs. 2 Satz 3 8. BayIfSMV), Wochenmärkte und andere Märkte zum Warenverkauf unter freiem Himmel einschließlich kleinerer traditioneller Kunst- und Handwerkermärkte, Töpfermärkte und Flohmärkte nach Maßgabe des § 12 Abs. 4 8. BayIfSMV nicht untersagt und hinsichtlich der weiterhin geöffneten Betriebe des Groß- und Einzelhandels nicht nach deren jeweiligem Warenangebot unterschieden habe.
Ebenso wenig dränge es sich auf, dass der Begriff des durch § 11 Abs. 1 Satz 2 8. BayIfSMV verbotenen gewerblichen Anbietens von Freizeitaktivitäten oder die von den Antragstellern angegriffenen Ordnungswidrigkeitenvorschriften zu unbestimmt sein könnten.
Bei der demnach gebotenen Folgenabwägung überwiegen die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe. Auch wenn die Achte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung gegenüber ihren Vorläufern erhebliche Verschärfungen in Form der vorübergehenden Schließung von Betrieben und sonstigen Einrichtungen enthalte, die bislang unter Auflagen geöffnet bleiben konnten, müssten die Belange der Betroffenen gegenüber der fortbestehenden und in jüngster Zeit wieder erheblich gestiegenen Gefahr für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen bei gleichzeitig drohender Überforderung der personellen und sachlichen Kapazitäten des Gesundheitssystems zurücktreten. Eine vorläufige Außerkraftsetzung einzelner Verordnungsbestimmungen würde die praktische Wirksamkeit des vom Verordnungsgeber verfolgten Gesamtkonzepts beeinträchtigen.