Das Oberlandesgericht Köln hat mit Beschluss vom 12.10.2009 zum Aktenzeichen 5 U 59/09 entschieden, dass ein Rechtsanwalt gegen seinen Mandanten kein Anspruch auf Zahlung weiteren Rechtsanwaltshonorars in Höhe der Differenz zwischen dem von der Rechtsschutzversicherung bereits bezahlten Honorar auf der Basis einer Berechnung mit dem Gebührensatz von 1,3 und einem auf der Basis eines Gebührensatzes von 2,0 berechneten Honorar zusteht. Der Rechtsanwalt hat bei der vorherigen Rechnung sein Ermessen gemäß § 14 RVG hinsichtlich des Gebührensatzes verbindlich ausgeübt.
In der Rechnung vom 20. September 2007 hat der Kläger eine 1,3-Geschäftsgebühr gemäß § 13 i. V. m. Nr. 2300 VV RVG abgerechnet. Durch diese Abrechnung hat er das ihm gemäß § 14 RVG zustehende Ermessen in Bezug auf die Höhe des Gebührensatzes ausgeübt. Die Ausübung dieses Ermessens ist nicht nur für den Mandanten, sondern auch für den Rechtsanwalt selbst bindend.
Ein Abrücken von dieser Festlegung käme dann in Betracht, wenn der Kläger einen Gebührentatbestand versehentlich übersehen hätte, was hier ersichtlich nicht der Fall ist, oder wenn sich nachträglich wesentliche Änderungen hinsichtlich der für die Bestimmung des Gebührensatzes maßgeblichen Umstände ergeben hätten, die bei Rechnungsstellung noch nicht bekannt gewesen sind. Auch von dem zuletzt genannten Fall kann hier ersichtlich nicht ausgegangen werden. Denn zum einen hat der Kläger zwischen der Rechnungsstellung am 20. September 2007 und der Beendigung des Mandats am 17. Oktober 2007 keine Handlungen mehr im Rahmen des umstrittenen Mandats vorgenommen, die Einfluss auf die Bemessung des Gebührensatzes hätten haben können. Und zum anderen ergibt sich aus den vorprozessualen Schreiben des Klägers und insbesondere aus seinem Schreiben an die Rechtsschutzversicherung der Beklagten vom 27. September 2007, dass er zu diesem Zeitpunkt einen Gebührensatz von 2,0 nicht aufgrund nachträglicher Umstände, sondern im Hinblick auf die Umstände der Tätigkeiten vor dem 20. September 2007 für angemessen hielt.
Abgesehen von den eben genannten Umständen wäre ein Abrücken des Klägers von der Ermessensausübung hinsichtlich des Gebührensatzes in der Rechnung vom 20. September 2007 allenfalls dann denkbar, wenn er sich in der Rechnung vom 20. September ausdrücklich und eindeutig erkennbar vorbehalten hätte, den Gebührensatz nachträglich anders zu bestimmen. Ob ein solcher Vorbehalt überhaupt zulässig wäre, was zweifelhaft erscheint, weil es sich bei der Ausübung des Ermessens um ein Gestaltungsrecht handelt, bedarf im vorliegenden Streitfall keiner Klärung. Denn von einem solchen Vorbehalt kann hier nicht ausgegangen werden.
Die Rechnung selbst enthält einen entsprechenden Vorbehalt in keiner Weise. Und auch die Passage: „Ich füge in der Anlage entsprechend meine Kostenrechnung anbei. Ich habe entgegenkommenderweise zunächst eine 1,3 Geschäftsgebühr abgerechnet. Ich werde Sie über den weiteren Verlauf der Angelegenheit natürlich unterrichten…“ auf S. 3 des Schreibens des Klägers vom 20. September 2007 an die Rechtsschutzversicherung der Beklagten [Anlage K 9; Anlagenhefter zur Klageschrift] und insoweit insbesondere der zweite der zitierten Sätze ist nicht als ausdrücklicher und eindeutiger Vorbehalt in dem oben genannten Sinne zu bewerten. Denn zum einen ist dieser Satz nicht in der Rechnung vom 20. September 2007 selbst, sondern nur in dem Begleitschreiben vom selben Tage enthalten, das die Auftraggeber des Klägers, nämlich die Beklagten – anders als die Rechnung vom 20. September 2007 – nicht erhalten haben. Und zum anderen ist der fragliche Satz auch unter Berücksichtigung des Kontextes der zitierten Passage nicht hinreichend klar. Er lässt vielmehr eine Reihe von Deutungsmöglichkeiten zu. Insbesondere kann die Passage entsprechend der Deutung des Landgerichts [S. 6 der angefochtenen Entscheidung] dahin verstanden werden, dass der Kläger sich vorbehält, etwaige weitere Gebühren – wie etwa eine Verfahrensgebühr – nach einem anderen Gebührensatz als 1,3 abzurechnen. Dazu wäre er zwar auch ohne einen entsprechenden Vorbehalt berechtigt; dieser Umstand steht aber einer Aufnahme eines entsprechenden Vorbehalts in das Begleitschreiben allein zu Zwecken der Klarstellung und zur Vermeidung von Missverständnissen keineswegs entgegen. Dass die Passage auch als Vorbehalt einer späteren Erhöhung des Gebührensatzes für die Geschäftsgebühr verstanden werden könnte, ist eher nicht anzunehmen. Denn zum einen hätte es sich in dem Fall angeboten, den Vorbehalt in die Rechnung selbst aufzunehmen. Und zum anderen ist der Vorbehalt aus der Situation heraus, in der die Rechnung gestellt worden ist, nicht verständlich. Die Rechnung vom 20. September 2007 ist gestellt worden, als die Rechtsanwältin Dr. I., die in der Kanzlei des Klägers angestellt war und das Mandat der Beklagten als Sachbearbeiterin betreut hat, zum einen bereits wesentliche Arbeit für das Arzthaftungsmandat erbracht und insbesondere ein ausführliches Schreiben an die Haftpflichtversicherer der behandelnden Ärzte mit Schadensbezifferung gerichtet hatte [Schreiben an die Versicherung vom 12. Juli 2007; Anlage K 4; Anlagenhefter zur Klageschrift] und zum anderen aus der Kanzlei des Klägers ausgeschieden ist und sich als Rechtsanwältin selbstständig gemacht hat. In dieser Situation stellte sich für alle Beteiligten und natürlich auch für den Kläger die Frage, ob die Beklagten nunmehr in der Kanzlei des Klägers verbleiben oder zu der neuen Kanzlei der sachbearbeitenden Rechtsanwältin Dr. I. wechseln würden. In dieser Situation hat der Kläger die bisherige anwaltliche Tätigkeit seiner Kanzlei abgerechnet und alsdann abgewartet, wie sich die Beklagten entscheiden. Dass in dieser Situation eine nur vorläufige Rechnung über die Geschäftsgebühr erteilt werden sollte, obwohl als eine realistische Möglichkeit absehbar war, dass die Beklagten Frau Dr. I. folgen und dass somit das Mandatsverhältnis zum Kläger unmittelbar vor der Beendigung stand, ist kaum vorstellbar. Jedenfalls ist diese Auslegung der zitierten Passage in dem Schreiben vom 20. September 2007 an die Rechtsschutzversicherung der Beklagten nicht so naheliegend, dass darin ein ausdrücklicher und hinreichend klarer Vorbehalt betreffend die Bemessung des Gebührensatzes für die Geschäftsgebühr gesehen werden könnte.
Der Kläger beruft sich auch ohne Erfolg darauf, dass die Vergütung zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung noch nicht im Sinne von § 8 RVG fällig gewesen sei mit der Folge, dass es sich bei der Rechnung vom 20. September 2007 nur um eine Vorschussrechnung gehandelt haben könne:
Denn zum einen steht die noch nicht eingetretene Fälligkeit der Honorarforderung der Verbindlichkeit einer Ermessensentscheidung des Anwaltes gemäß § 14 RVG zur Höhe des Gebührensatzes nicht entgegen. Und zum anderen folgt aus dem Umstand, dass eine Rechnung formal als Vorschussrechnung zu bewerten ist, nicht zugleich, dass in jedem Fall die Berechtigung besteht, weitere Gebühren zu fordern. Es trifft zwar zu, dass eine vor Fälligkeit erteilte Rechnung im Hinblick auf § 9 RVG im Regelfalle als Bitte um einen Vorschuss umgedeutet werden kann. Eine entsprechende Umdeutung ist sicherlich auch in Bezug auf die Rechnung vom 20. September 2007 möglich. Gleichwohl stellt sich der somit formal als Vorschuss erbetene Rechnungsbetrag als das endgültige Honorar für die bisher geleistete anwaltliche Tätigkeit dar. Denn die Rechnung ist kurz vor der Beendigung des Mandats gestellt worden und zwischen der Rechnungsstellung und der Mandatsbeendigung sind – auch nach dem eigenen Vortrag des Klägers – keine Tätigkeiten mehr entfaltet worden, die eine Anhebung des am 20. September 2007 abgerechneten Honorars rechtfertigen könnten.