Der Bayerische Verfassungsgerichtshof in München hat am 11.08.2021 zum Aktenzeichen Vf. 97-IVa-20 in einem Organstreitverfahren den Antrag der AfD-Landtagsfraktion und zweier Abgeordneter dieser Fraktion zu der nach ihrer Auffassung verfassungswidrigen Mitgliedschaft des Bayerischen Landtags im „Bayerischen Bündnis für Toleranz“ als unzulässig abgewiesen.
Aus der Pressemitteilung des Bay. VerfGH vom 11.08.2021 ergibt sich:
Die von den Antragstellern verfolgten Begehren seien kein zulässiger Gegenstand eines Organstreits. Zudem fehle es an der schlüssigen Darlegung einer möglichen Verletzung oder Gefährdung eigener verfassungsmäßiger Rechte der Antragsteller. Insbesondere sei nicht ersichtlich, wie durch die Unterstützung einer Vereinigung, die sich für unabänderliche Grundwerte der Bayerischen Verfassung wie das Demokratieprinzip und die Menschenwürde einsetze, das freie Mandat von Abgeordneten oder Oppositionsrechte verletzt werden könnten.
Sachverhalt:
Das im Jahr 2005 auf Initiative der evangelischen und der katholischen Kirche gegründete „Bayerische Bündnis für Toleranz“ ist nach eigener Darstellung der größte Zusammenschluss gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Bayern. Das Bündnis tritt danach für Toleranz sowie den Schutz von Demokratie und Menschenwürde ein und fördert diese Werte. Zu seinen aktuell 79 Mitgliedern zählen überwiegend Anstalten, Stiftungen und Körperschaften des öffentlichen Rechts aus Politik, Wirtschaft, Bildung und anderen gesellschaftlich relevanten Bereichen. Der Bayerische Landtag ist seit dem Jahr 2009 Mitglied der Vereinigung und unterstützt sie durch jährliche Mitgliedsbeiträge.
Die Antragsteller begehren in dem Organstreitverfahren die Feststellung, dass die vormalige Präsidentin den Landtag unzulässig als Mitglied in dem Bündnis angemeldet habe, die Mitgliedschaft nichtig und die (jetzige) Landtagspräsidentin verpflichtet sei, die Mitgliedschaft für nichtig zu erklären bzw. hilfsweise zu kündigen. Die Mitgliedschaft verletze insbesondere das staatliche Neutralitätsgebot und sei mit dem freien Mandat der Abgeordneten unvereinbar. Die Antragsgegnerin hält den Antrag für unzulässig und unbegründet.
Entscheidung:
Der Verfassungsgerichtshof hat den Antrag als unzulässig abgewiesen.
- Die von den Antragstellern mit den einzelnen Feststellungsanträgen verfolgten Begehren seien auf Rechtsfolgen gerichtet, die im Organstreit grundsätzlich nicht bewirkt werden könnten. Dieses Verfahren diene als kontradiktorische Parteistreitigkeit maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihrer Teile in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht hingegen der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns; Art. 64 BV eröffne nicht die Möglichkeit einer objektiven Beanstandungsklage. Für eine objektive Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Maßnahme sei im Organstreit ebenso wenig Raum wie für eine über die Feststellung einer Verletzung der Rechte der Antragsteller hinausgehende Verpflichtung eines Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten.
- Soweit man zugunsten der Antragsteller davon ausgehe, dass in den Anträgen ein grundsätzlich statthaftes Begehren auf Feststellung einer Verletzung ihrer verfassungsmäßigenRechte durch die Begründung der Mitgliedschaft im Bayerischen Bündnis für Toleranz bzw. durch das Unterlassen einer Beendigung der Mitgliedschaft mit enthalten sei, sei die Verfassungsstreitigkeit mangels Antragsbefugnis dennoch unzulässig.
- a) Hinsichtlich der Begründung der Mitgliedschaft durch die vormalige Landtagspräsidentin fehle es an der erforderlichen schlüssigen Darlegung einer möglichen Verletzung eigener Rechte der Antragsteller schon deshalb, weil diese damals noch nicht im Parlament vertreten und damit von der damaligen Maßnahme nicht betroffen gewesen seien. Die Antragsteller könnten sich für ihre Antragsbefugnis auch nicht auf die Verletzung von Rechten des Bayerischen Landtags berufen. Das bayerische Verfassungsrecht sehe im Organstreitverfahren die Möglichkeit einer Prozessstandschaft nicht vor.
- b) Auch im Hinblick auf die beanstandete fehlende Beendigung der Mitgliedschaft durch die jetzige Landtagspräsidentin hätten die Antragsteller eine Verletzung oder Gefährdung in eigenen, durch die Verfassung geschützten Rechten nicht schlüssig dargetan. Aus dem durch Art. 13 Abs. 2 BV gewährleisteten freien Mandat der Abgeordneten und dem daraus resultierenden Grundsatz der chancengleichen Beteiligung an der parlamentarischen Willensbildung folge zwar die Verpflichtung der Staatsorgane und insbesondere der Präsidentin des Bayerischen Landtags, gegenüber den Abgeordneten und den Fraktionen auch im Hinblick auf die Parlamentsarbeit Neutralität zu wahren. Einseitige – zugunsten oder zulasten einzelner Abgeordneter oder Fraktionen – parteiergreifende Stellungnahmen oder sonstige Maßnahmen ließen sich auch nicht mit der Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit rechtfertigen. Es sei aber nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin durch das Unterlassen des Austritts aus dem Bündnis das Gebot der parteipolitischen Neutralität und der unparteilichen Amtsführung verletzt haben könnte.
Die vom Bayerischen Bündnis für Toleranz bekämpften Einstellungen, Haltungen oder Handlungen des Rassismus und des Antisemitismus sowie des Rechtsextremismus verstießen gegen das Prinzip der Menschenwürde, welches das zentrale Element bzw. den obersten Grundwert der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstelle. Die Bayerische Verfassung sei weder wertneutral noch wolle sie das sein, sie sei von dem Willen getragen, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung des Staates – unter Einsatz der Mittel der wehrhaften Demokratie – erhalten bleiben müsse. In einer Öffentlichkeitsarbeit des Landtags, die dieses Ziel fördern wolle, könne kein Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht liegen. Auch die Toleranz, für die das Bündniseintrete und die Bestandteil seines Namens sei, stelle in Form des Toleranzgebots ein aus verschiedenen Artikeln der Bayerischen Verfassung abgeleitetes Verfassungsprinzip dar. Das Eintreten für diesen Wert weise gerade auf die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Bündnisses hin. Es sei nicht ersichtlich, wie durch die Unterstützung einer Vereinigung, die sich für unabänderliche Grundwerte der Bayerischen Verfassung wie das Demokratieprinzip und die Menschenwürde einsetze, denen alle Verfassungsorgane verpflichtet und die als solche jeder parteipolitischen Disposition entzogen seien, das freie Mandat von Abgeordneten oder Oppositionsrechte verletzt werden könnten.