Das Amtsgericht Hannover hat mit Urteil vom 04.05.2020 zum Aktenzeichen 474 C 13200/19 entschieden, dass ein Mieter, der sogenannte Polenböller, welche er zusätzlich mit Glasscherben ummantelt hatte, in der von ihm bewohnten Wohnung lagerte, die Wohnung räumen muss.
Aus der Pressemitteilung des AG Hannover vom 06.07.2020 ergibt sich:
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts bewohnt der Mieter die Wohnung der Klägerin seit Anfang 2008. Im August 2019 wurde der Klägerin bekannt, dass der Beklagte sog. Polenböller zuhause lagerte, welche er zusätzlich mit Glasscherben ummantelt hatte. Aufgrund dessen wurde der Beklagte im Zuge eines Strafverfahrens durch einen Strafbefehl zu einer Geldstrafe verurteilt. Mit Schreiben vom 06.09.2019 erklärte die Klägerin die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses, hilfsweise erklärte sie die ordentliche Kündigung zum 30.06.2020, aufgrund unzumutbaren Mieterverhaltens – was zwischen den Parteien streitig ist. Der Kündigung widersprach der Beklagte mit dem Verweis auf den Grad seiner Behinderung von 30%. Die Klägerin behauptete, der Beklagte habe gefährlichen Sprengstoff in seiner Wohnung gelagert. Dieser könne nur dem Zwecke dienen, Menschen oder Tiere verletzen zu wollen. Ferner behauptete die Klägerin, dass die Substanz des Wohnhauses, sowie die Unversehrtheit der Mitmieter durch die Sprengkörper gefährdet seien. Der Beklagte behauptete, die Sprengkörper seien dazu gedacht gewesen, sie im Garten zu zünden, um sich der vorherrschenden Rattenplage anzunehmen. Insoweit sei das Vorhaben – laut Internetforen – eine übliche Methode, sich eines Rattenproblems anzunehmen. Weiter behauptete der Beklagte, er hätte weder die Substanz des Hauses noch andere Mieter gefährden können. Er hätte bei der Zündung der Sprengkörper auf hinreichend Sicherheitsabstand geachtet.
Das AG Hannover hat entschieden, dass die Klägerin einen Anspruch auf Räumung der streitgegenständlichen Wohnung gemäß §§ 543, 546 Abs. 1 BGB hat. Dem Beklagten wurde eine Räumungsfrist bis einschließlich zum 30.07.2020 gewährt.
Nach Auffassung des Amtsgerichts hat die Klägerin das Mietverhältnis wirksam mit Schreiben vom 06.09.2019 durch außerordentliche Kündigung beendet, § 543 BGB. Die Kündigungserklärung wurde dem Beklagten in Schriftform gemäß § 568 Abs. 1 BGB übersandt und sei diesem zugegangen. Das Kündigungsschreiben enthielt gemäß § 569 Abs. 4 BGB die Darlegung des Grundes, aus welchem sich die Kündigung ergab, sowie den Hinweis auf die Widerspruchsmöglichkeit des Beklagten nach §§ 568 Abs. 2, 574 ff. BGB.
Die Klägerin sei berechtigt gewesen, die außerordentliche Kündigung auszusprechen, da insofern ein wichtiger Grund vorliege. Ein wichtiger Grund liege vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Auch eine einmalige Pflichtverletzung könne so erheblich sein, dass dem Anderen die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zugemutet werden könne. Diese Voraussetzungen lägen vor. Der Beklagte habe Sprengkörper, nämlich sog. Polenböller, in der Wohnung gelagert, welche er zusätzlich mit Glasscherben ummantelt habe. Diese seien nicht nur geeignet die Mietsache in ihrer Substanz zu beschädigen, sondern stellten darüber hinaus auch eine Gefahr für die Gesundheit der Mitmieter des Hauses dar. Sprengkörper dieser Art seien in Deutschland nicht zugelassen. Die Sprengstoffmenge übersteige die in Deutschland erlaubte Grenze und zudem sei die Stoffzusammensetzung nicht immer bekannt. Darüber hinaus gäbe es keine Qualitätsprüfungen der Produkte, wodurch diese eine gesteigerte Gefährlichkeit aufwiesen. Somit folge eine erhebliche Gefahr durch den Umgang mit derartigen Sprengkörpern. Der Gebrauch von Sprengkörpern allgemein sei – ungeachtet der Gefährlichkeit der streitgegenständlichen Sprengkörper – gemäß § 23 Abs. 2 Satz 1. SprengV nur in der Silvesternacht erlaubt und nicht darüber hinaus. Sofern der Beklagte also vortrage, die Sprengkörper benutzen zu wollen, um Ratten im Garten des Hauses zu beseitigen, handele es sich nicht um eine für Laien gängige und mitnichten um eine anerkannte Methode der Schädlingsbekämpfung.
Zudem bedürfe es zu der Nutzung der Sprengkörper einer Erlaubnis nach §§ 7 oder 27 SprengG, eines Befähigungsscheins nach § 20 SprengG oder einer Ausnahmebewilligung nach § 24 Abs. 1 SprengG (vgl. § 23 Abs. 2 Satz 1 1. SprengV). Darüber hinaus sei ausschließlich der Besitz von Sprengkörpern der Kategorien F1 und F2 für Laien erlaubt. Sprengkörper der Kategorie F3 oder höher erforderten auch in der Silvesternacht einer Genehmigung. Sogenannte Polenböller hingegen fielen unter § 40 SprengG und seien mithin nicht genehmigungsfähig. Demnach habe der Beklagte nicht nur sog. Polenböller angekauft oder selbst hergestellt, sondern diese auch noch durch Glasscherben verändert, sodass diese an Gefährlichkeit gewonnen hätten und diese auch im Garten des Miethauses zünden wollen.
Erschwerend komme hinzu, dass von jedem Sprengkörper eine spezifische Explosionsgefahr ausgehe. Insbesondere bei nicht zugelassenen oder von Laien selbst gebauten Sprengkörpern sei davon auszugehen, dass eine erhebliche Gefährdung der Umgebung vorliege, die darin begründet liege, dass die Sprengkörper durch eine Fehlfunktion detonieren könnten. Die von dem Beklagten durchgeführte Ummantelung der Sprengkörper durch Glasscherben, verstärke diese Gefährlichkeit des Sprengkörpers. Umherfliegende Glasscherben könnten erhebliche Verletzungen bei Menschen oder Tieren hervorrufen.
Überdies stehe nach Überzeugung des Amtsgerichts fest, dass durch die Ummantelung der Sprengkörper mit Glasscherben die Steigerung der Gefährlichkeit der Sprengkörper beabsichtigt wurde. Die Maßnahme wurde mit dem Vorsatz vorgenommen, um bei der Detonation die Zerstörungskraft der sog. Polenböller zu steigern. Insoweit habe der Beklagte zugestanden, Ratten mit den Sprengkörpern erlegen zu wollen. Sofern der Beklagte vortrage, er hätte bei der kontrollierten Detonation der Sprengkörper hinreichend Abstand zu Gebäuden und etwaigen Dritten gehalten, sei dies nicht nachzuvollziehen. Die Explosion eines nichtgenehmigten Sprengkörpers sei insbesondere aufgrund ihrer Unkontrollierbarkeit besonders gefährlich. Der Beklagte werde als Laie kaum in der Lage sein das Ausmaß der Explosionen der einzelnen Sprengkörper richtig bewerten zu können. Darüber hinaus würde jedwede Prognose durch herumfliegende Glassplitter erschwert. Angesichts des Umstandes, dass der Beklagte gewillt gewesen sei, die Sprengkörper im Garten des Hauses zu zünden, könne eine Sorgfaltspflichtverletzung bezüglich der Achtung von Belangen seiner Mitmieter und seiner Vermieterin nicht negiert werden.
Im Übrigen sei bereits die Lagerung der Sprengkörper in der Wohnung des Beklagten, insbesondere im Hinblick auf die vorgenommene Modifikation der Sprengkörper durch das Anbringen von Gegenständen, ein Verstoß gegen Punkt 2 Ziffer 4 der Hausordnung. Die unter Punkt 2 der Hausordnung aufgelisteten Handlungen dienten der Sicherheit der Hausgemeinschaft und des Gebäudes selbst. Aufgrund der Gefährlichkeit von Sprengkörpern, denen die Eigenschaft anhafte auch ohne gezieltes Anfachen der Zündschnur zu detonieren, sei eine erhebliche Gefährdung der Mietsache zu befürchten. Sofern der Beklagte dazu ausführe, eine mögliche Explosion würde lediglich seine Küche betreffen, in der die Sprengkörper gelagert wurden, vermöge die Aussage keine Abhilfe zu schaffen. Sollte sich eine Beschädigung durch die Sprengkörper auf die Küche des Beklagten begrenzen lassen, handele es sich trotz dessen um eine Beschädigung des Gebäudes, welches im Eigentum der Klägerin stehe. Das Ausmaß der Beschädigung erfordere nicht, dass Wohnungen von Mitmietern in Mitleidenschaft gezogen werden. Erschwerend komme hinzu, dass es bei einer unkontrollierten Detonation der Sprengkörper in der Küche zu einer Kumulation der Sprengkraft der verschiedenen Sprengkörper kommen könnte, obgleich es sich um lediglich um „wenige“ Sprengkörper handelte, wie der Beklagte betonte. Die Zerstörungskraft würde durch jeden explodierenden Sprengkörper gesteigert.
Des Weiteren sei es der Klägerin unzumutbar an dem Vertragsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist festzuhalten. Die Feststellung der Unzumutbarkeit habe gemäß § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB im Wege der Interessenabwägung zu erfolgen. Erfolge die Kündigung einer Person, die schon lange Zeit im Haus wohne und von Krankheiten seelischer oder körperlicher Art geplagt werde, müsse ein erhöhtes Maß an Verständnis und Rücksichtnahme erfolgen. Vorliegend habe der Beklagte Sprengkörper in seiner Küche gelagert, die einen Verstoß gegen § 40 SprengG darstellten. Somit habe der Beklagte dadurch, dass er die Sprengkörper in seiner Wohnung aufbewahrte bereits einen Straftatbestand erfüllt. Darüber hinaus habe der Beklagte erklärt, die mit Glasscherben versetzten Sprengkörper verwenden zu wollen und diese im Garten des Mietshauses explodieren zu lassen. Damit bestehe eine konkrete Gefährdungslage der Bausubstanz des Gebäudes, sowie eine konkrete Gefährdung für die Gesundheit der Mitmieter. Insoweit treffe die Klägerin als Vermieterin die Pflicht ihre Mieter zu schützen. Auch unter Berücksichtigung des grundrechtlichen Schutzes der Wohnung aus Art. 13 GG und der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG könne eine Abwägung zu Gunsten des Beklagten nicht erfolgen. Die Handlung des Beklagten stelle aus der Sicht eines objektiven Dritten eine unverhältnismäßige Maßnahme dar, ein Problem zu lösen. Bezogen auf eine etwaige Rattenplage im Garten hätte der Beklagte sich an die Vermieterin halten müssen, um sie dazu zu bewegen sich des Problems anzunehmen. Sich selbst der Rattenplage anzunehmen und diese dann auch noch mit Sprengkörpern erlegen zu wollen, falle weder in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten als Mieter noch in seinen Kompetenzbereich. Die Schädlingsbekämpfung obläge allein einem Fachmann.
Des Weiteren werde aus dem Schriftwechsel des Beklagten deutlich, dass es an der Einsichtsfähigkeit mangele, zu erkennen welche Gefahr von den Sprengkörpern in seiner Wohnung ausgehe. Vielmehr werde durch die Ummantelung der Sprengkörper mit Glasscherben deutlich, dass der Beklagte sich keinerlei Gedanken über die Gefährlichkeit der Mittel machte oder diese gänzlich verkannt habe. Demnach dürfe die Klägerin befürchten, dass der Beklagte von seinem Vorhaben keinen Abstand nehme oder zumindest erneut Sprengkörper ankaufen oder herstellen würde, die für sein Umfeld gefährlich seien. Dies werde insbesondere durch die Aussage des Beklagten deutlich, wonach er beteuere sich sog. Polenböller aus einem Ansinnen vor Silvester 2018 heraus beschafft zu haben welches er sich selbst nicht erklären könne. Wohingegen er zu einem anderen Zeitpunkt vortrage, er brauche die sog. Polenböller um sich einer Rattenplage anzunehmen.
Eine Abmahnung sei nach § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BGB entbehrlich gewesen. Die von dem Beklagten verursachte Gefährdung müssten die Mitmieter und die Klägerin nicht hinzunehmen. Das Risiko, dass die Abmahnung erfolglos bleiben würde, könne den Mitmietern und der Klägerin nicht zugemutet werden. In diesem Falle würde über einen nicht absehbaren Zeitraum die vorgenannte konkrete Gefährdung der Hausbewohner fortbestehen (vgl. AG Pinneberg, Urt. v. 29.08.2002 – 68 C 23/02; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.05.2010 – I-24 U 170/09).
Der Vortrag des Beklagten, es läge ein Fall der sozialen Härte vor, möge die Interessenabwägung nicht zu seinen Gunsten entscheiden. Eine besondere soziale Härte i.S.d. § 574 Abs. 1 BGB liege vor, wenn unter Berücksichtigung des Normzwecks von § 574 BGB, der den Schutz des Mieters und der mit ihm zusammenlebenden Personen vor unbilligen Nachteilen erreichen wolle, eine Beeinträchtigung wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art vorliege, die diejenigen Umstände, Unbequemlichkeiten und Nachteile, die die Beendigung eines Mietverhältnisses über Wohnraum üblicherweise mit sich brächten, übersteige und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände im Hinblick auf den sozialen Schutzzweck nicht zumutbar sei. Der Beklagte habe einen Grad der Behinderung von 30 aufgrund einer Operation am Herzen. Diese äußere sich durch Kurzatmigkeit und Schweißausbrüche. Dabei handele es sich jedoch nicht um derartige Einschränkungen, die es dem Beklagten unmöglich machen dürften neuen Wohnraum zu beschaffen. Aufgrund seiner Behinderung sei der Beklagte nicht auf bestimmte Voraussetzungen in seinem Umfeld angewiesen, die eine bestimmte Beschaffenheit der neuen Wohnung voraussetzten oder des Umfeldes in dem sich die Wohnung befinde.
Darüber hinaus sei aufgrund eines Umzugs auch keine Verschlechterung seines allgemeinen Gesundheitszustandes zu befürchten, welche einen hinreichende Härte darstellen könnte um einen Verbleib in der Wohnung zu rechtfertigen. Der Beklagte sei vielmehr gesundheitlich hinreichend stabil einen Umzug durchzuführen.
Auch der Vortrag, der Beklagte könne den Umzug nicht ohne Fremdhilfe bewältigen begründe keine soziale Härte. Insoweit sei es dem Beklagten möglich durch Umzugshelfer Abhilfe zu schaffen. Zumal ein Umzug ein lediglich temporärer Umstand sei, welcher auch für einen gesunden Menschen eine Belastung darstelle. Die angespannte Situation am Wohnungsmarkt sei für die Begründung sozialer Härte nicht ausreichend. Der Beklagte habe zwar nachgewiesen, sich bei der Wohnungsvermittlung gemeldet zu haben und dort abgewiesen worden zu sein, jedoch sei die Beschaffung einer Wohnung über die Wohnungsvermittlung der Stadt Hannover nicht die einzige Möglichkeit, die dem Beklagten zur Verfügung stehe. Vielmehr obliege es dem Beklagten sich auf dem freien Wohnungsmarkt um entsprechende Wohnungen zu bemühen. Denn auch auf dem freien Wohnungsmarkt werde sozialer Wohnraum angeboten. Ein Fall der sozialen Härte läge erst dann vor, wenn Ersatzwohnraum nicht beschafft werden könne. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Der Beklagte habe nicht nachgewiesen sich auf dem freien Wohnungsmarkt hinreichend um eine neue Wohnung bemüht zu haben. Insoweit überwiege das Interesse der Klägerin ihre Mieter zu schützen, das Interesse des Beklagten am Verbleib in seiner Wohnung.
Dem Beklagten wurde von Amts wegen die aus dem Tenor ersichtliche Räumungsfrist gewährt, § 721 ZPO. Bei der Bemessung der Räumungsfrist hat das AG Hannover berücksichtigt, dass der Beklagte zum Auffinden einer geeigneten Wohnung angesichts seiner Situation und der Lage auf dem hannoverschen Immobilienmarkt gerade in der derzeitig angespannten Lage um die Corona-Pandemie einen gewissen Vorlauf benötigen werde.
Das Urteil ist rechtskräftig.