Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 16.04.2024 zum Aktenzeichen 6 Sa 167/23 ob ein Arbeitgeber die wöchentliche Arbeitszeit erhöhen darf, ohne den betroffenen Arbeitnehmern mehr Geld zu zahlen. Ein Zerspanungsmechaniker klagte gegen seinen Arbeitgeber, weil dieser die wöchentliche Arbeitszeit von 37 auf 40 Stunden erhöht hatte, ohne einen entsprechenden Lohnausgleich zu gewähren.
Der Arbeitgeber hatte die Arbeitszeit zunächst aufgrund einer wirtschaftlichen Krise des Unternehmens befristet und später unbefristet erhöht. Dies geschah im Rahmen einer Betriebsversammlung, bei der die Beschäftigten im Anschluss eine Vereinbarung unterschrieben. Der Kläger behauptete, dass in dieser Vereinbarung ein Lohnausgleich vereinbart worden sei, was der Arbeitgeber jedoch bestritt.
Die Frage, ob eine Arbeitszeiterhöhung ohne Lohnausgleich in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart werden kann, war Gegenstand des Verfahrens. Der Kläger forderte eine Differenzvergütung für insgesamt 57 Monate, in denen er die erhöhte Arbeitszeit ohne entsprechende Bezahlung geleistet hatte.
Letztendlich ging es in dem Urteil darum, ob der Arbeitgeber berechtigt war, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich zu erhöhen und ob die Vereinbarung, die die Beschäftigten unterschrieben hatten, hierüber gültig war. Es wurde festgestellt, dass der Arbeitgeber tatsächlich verpflichtet war, den Arbeitnehmern einen Lohnausgleich zu zahlen, wenn die Arbeitszeit erhöht wird. Damit wurde dem Zerspanungsmechaniker die Differenzvergütung zugesprochen. Dieses Urteil verdeutlicht, dass Arbeitgeber nicht einfach die Arbeitszeit erhöhen können, ohne die Mitarbeiter angemessen zu entlohnen.
Die vom Kläger unterzeichnete Vereinbarung enthält Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) nach § 305 ff. BGB, die von den Parteien nicht in Frage gestellt wurden. Fast alle Beschäftigten der Beklagten haben dieselbe Vereinbarung unterzeichnet, mit Ausnahme eines Mitarbeiters.
AGB sind objektiv auszulegen und sollten so verstanden werden, wie verständige und redliche Vertragspartner es tun würden. Der Vertragswortlaut ist hierbei entscheidend. Wenn dieser nicht eindeutig ist, muss der Vertrag aus Sicht der üblicherweise beteiligten Verkehrskreise interpretiert werden. Dabei muss auch der Vertragswille berücksichtigt werden. Wenn nach verschiedenen Auslegungsmethoden Zweifel bleiben, gehen diese gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders der AGB.
Es gibt jedoch bestimmte Anforderungen für die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Es müssen „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen, nicht nur eine entfernte Möglichkeit für ein anderes Ergebnis. Im Gegensatz zu individuellen Umständen des Vertragsschlusses können typische Umstände, die vergleichbare Abreden begleiten, zur Auslegung von AGB herangezogen werden.
Das erstinstanzliche Arbeitsgericht hat in Bezug auf die Vereinbarung richtig entschieden, dass die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers auf 40 Stunden pro Woche ohne Lohnausgleich erhöht wurde. Die Vereinbarung bestätigt die bereits bestehende Regelung aus dem Arbeitsvertrag, wonach die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers 40 Stunden betragen sollte. Obwohl der Arbeitsvertrag einen Stundenlohn vorsieht, der bei einer Erhöhung der Arbeitszeit zu einem höheren Gesamtlohn führen würde, konnte aus dem Kontext der Vereinbarung sowie den Umständen, die dazu geführt haben, abgeleitet werden, dass kein Lohnausgleich vorgesehen war.
Die schlechte wirtschaftliche Lage des Unternehmens und die Tatsache, dass die Mitarbeiter bei einer Mitarbeiterversammlung gebeten wurden, auf Lohnausgleich zu verzichten, lassen darauf schließen, dass die Entscheidung zur Erhöhung der Arbeitszeit ohne finanzielle Kompensation getroffen wurde. Dies wird auch durch eine Mitteilung der Beklagten aus dem Jahr 2005 bestätigt, in der erklärt wurde, dass die Vergütung von Zuschlägen für Überstunden trotz erhöhter Arbeitszeit nicht angepasst wird. Die Tatsache, dass die Mitarbeiter um einen finanziellen Ausgleich in Form eines Bonus baten, deutet darauf hin, dass sie einen finanziellen Verlust durch die Erhöhung der Arbeitszeit befürchteten.
Es wird argumentiert, dass zu dem Zeitpunkt, als die Vereinbarung getroffen wurde, für die Mitarbeiter bereits klar war, dass kein Lohnausgleich vorgesehen war, da sie über ein Jahr lang ohne zusätzliche Bezahlung gearbeitet hatten. Die Tatsache, dass kein Kollege des Klägers in den Jahren zuvor Klage eingereicht hatte, deutet darauf hin, dass die Mitarbeiter die Vereinbarung ohne Lohnausgleich akzeptierten. Die tatsächliche Praxis des Vollzugs einer Vereinbarung kann zwar nicht den Vertragswillen bei Vertragsschluss ändern, kann jedoch bei der Auslegung des Vertrages relevant sein.
Der Kläger hat Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts eingelegt, das sein Begehren auf Lohnausgleich für zusätzliche Wochenstunden abgewiesen hatte. Die Berufung wurde jedoch abgelehnt, da das Arbeitsgericht die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien auf Basis der Allgemeinen Geschäftsbedingungen korrekt ausgelegt hat. Es wurde festgestellt, dass keine Regelungslücke vorlag und somit keine Ergänzung des Vertrags nötig war. Die Interessen der Arbeitnehmer wurden bei der Auslegung berücksichtigt und es wurde kein Lohnausgleich vereinbart. Die Behauptung des Klägers, dass alle Mitarbeiter mit der Einführung der 40-Stunden-Woche einverstanden sein mussten, konnte nicht nachgewiesen werden, da bereits vor der Mitarbeiterversammlung die neue Arbeitszeit ohne Lohnausgleich praktiziert wurde. Auch die übrigen Mitarbeiter hatte bis zur Klageerhebung ohne Lohnausgleich gearbeitet. Die Berufungskammer konnte keine Ungleichbehandlung durch das Arbeitsgericht feststellen und wies die Berufung daher ab.