Mare Liberum-Schiffe dürfen voraussichtlich nicht festgehalten werden

03. Oktober 2020 -

Das Verwaltungsgericht Hamburg hat am 02.10.2020 zum Aktenzeichen 5 E 3819/20 entschieden, dass die Festhalteverfügungen für zwei zur Beobachtung der menschenrechtlichen Situation in den Grenzgewässern zwischen Griechenland und der Türkei eingesetzte Schiffe voraussichtlich rechtswidrig sind.

Aus der Pressemitteilung des OVG Hamburg vom 02.10.2020 ergibt sich:

Der Antragsteller ist ein gemeinnütziger Verein, der sich nach seiner Satzung u.a. die Förderung der Rettung Schiffbrüchiger aus Lebensgefahr zum Ziel gesetzt hat. Zu diesem Zweck nutzt der Antragsteller zwei Schiffe, die Mare Liberum und die Sebastian K, um die Verhältnisse in den Grenzgewässern zwischen Griechenland und der Türkei in der Ägäis zu beobachten. Im Jahr 2019 untersagte die Antragsgegnerin das Auslaufen und die Weiterfahrt des Schiffes Mare Liberum mit der Begründung, dass dem Schiff das erforderliche Schiffssicherheitszeugnis fehle. Da es nicht zu Sport- und Freizeitzwecken eingesetzt werde, sei es weder als Sportboot noch als Kleinfahrzeug im Sinne des Schiffssicherheitsrechts privilegiert.

Dem hiergegen gerichteten Eilantrag gab das VG Hamburg im Wesentlichen mit der Begründung statt, dass der Begriff Freizeitzwecke v.a. in Abgrenzung zu beruflichen Zwecken verstanden werden müsse (Az. 5 E 2040/19). Demnach sei davon auszugehen, dass auch die Mare Liberum für Freizeitzwecke verwendet werde. Die hiergegen erhobene Beschwerde der Antragsgegnerin blieb vor dem OVG Hamburg ohne Erfolg (Az. 3 Bs 124/19).

Im Rahmen der Änderung der Verordnungslage durch die Neunzehnte Schiffsicherheitsanpassungsverordnung vom 03.03.2020 (BGBl. I, 412) fasste das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur den Begriff des Sportbootes und Kleinfahrzeuges nunmehr so, dass darunter nur noch Schiffe fallen, die zu Erholungs- und Sportzwecken genutzt werden. Mit Festhalteverfügungen vom 04.09.2020 untersagte die Antragsgegnerin daraufhin das Auslaufen und die Weiterfahrt der Schiffe Sebastian K und Mare Liberum und ordnete die sofortige Vollziehung der Bescheide an. Für den vom Antragsteller verfolgten Zweck der Beteiligung an der Suche und Rettung Schiffbrüchiger sowie der Beobachtung der menschenrechtlichen Lage auf der Fluchtroute zwischen der Türkei und Griechenland benötigten die Schiffe nach Auffassung der Antragsgegnerin ein Schiffsicherheitszeugnis. Das Zertifikat sei nicht entbehrlich, weil weder die Mare Liberum noch die Sebastian K für Sport- und Erholungszwecke verwendet werde.

Das VG Hamburg hat dem hiergegen gerichteten Eilantrag stattgegeben und die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Festhalteverfügungen angeordnet.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts sind die streitgegenständlichen Festhalteverfügungen nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung rechtswidrig. Die Schiffe des Antragstellers benötigten unter der geltenden Rechtslage kein Schiffssicherheitszeugnis. Die mit der Neunzehnten Schiffsicherheitsanpassungsverordnung geänderte Begriffsbestimmung von Sportbooten und Kleinfahrzeugen bleibe im vorliegenden Fall unanwendbar, weil sie gegen Europarecht verstoße. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur habe die Änderungen nicht – wie es erforderlich gewesen wäre – gemäß der Notifizierungsrichtlinie bei der EU-Kommission notifiziert. Nach der Notifizierungsrichtlinie müssten die Mitgliedstaaten die EU-Kommission über jeden Entwurf einer technischen Vorschrift vor deren Erlass unterrichten. Die vorgenommene Änderung von Schiffsicherheitsanforderungen stelle eine technische Vorschrift in diesem Sinne dar. Der Verstoß gegen die unionsrechtliche Notifizierungspflicht führe zur Unanwendbarkeit der geänderten Vorschriften.

Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts kann die Antragsgegnerin Beschwerde bei dem OVG Hamburg erheben.