Der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg in Stuttgart hat mit Beschluss vom 09.12.2019 zum Aktenzeichen 1 GR 84/19 entschieden, dass die AfD-Landtagsfraktion dem Landtagsabgeordneten Dr. Wolfgang Gedeon vorläufig die Mitarbeit in der Fraktion verweigern darf.
Aus der Pressemitteilung des VerfGH BW vom 12.12.2019 ergibt sich:
Der Landtagsabgeordnete Dr. Wolfgang Gedeon will erreichen, dass die AfD-Fraktion (Antragsgegnerin) verpflichtet wird, ihm bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache die Mitarbeit in der Fraktion zu gewähren. Mit dem in der Hauptsache anhängig gemachten Organstreitverfahren begehrt der Antragsteller die Feststellung, dass er Mitglied der Fraktion ist. Er trägt hierzu unter anderem vor, er habe seine frühere Mitgliedschaft nur ruhen gelassen, aber nicht wirksam beendet. Dass die Antragsgegnerin ihm nun die Mitwirkung in der Fraktion verweigere, behindere seine politische Tätigkeit in unzulässiger Weise und verletze ihn daher in seinem Abgeordnetenrecht aus Art. 27 Abs. 3 der Landesverfassung.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte vor dem VerfGH Stuttgart keinen Erfolg.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ist das Hauptsacheverfahren, das Organstreitverfahren, zum gegenwärtigen Zeitpunkt unzulässig. Dem Antragsteller fehle jedenfalls derzeit das Rechtsschutzbedürfnis für das Organstreitverfahren. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Einleitung eines Organstreitverfahrens bestehe nur dann, wenn der Antragsteller im Vorfeld des verfassungsgerichtlichen Verfahrens seine Position eindeutig vertreten und geltend gemacht und damit dem Antragsgegner Anlass gegeben habe, seinerseits eine klare und abschließende Auffassung zu vertreten. Erst dann liege auch eine rechtlich erhebliche Maßnahme des Antragsgegners vor, die Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein könne. Das Organstreitverfahren diene dagegen nicht der quasi gutachterlichen Klärung einer problematischen Rechtsfrage, solange hinsichtlich dieser nicht auch ein tatsächlicher Streit bestehe.
Nachdem auf der Klausurtagung der Antragsgegnerin vom 16.09.2019 die Frage der Mitgliedschaft des Antragstellers thematisiert, jedoch nicht geklärt wurde, holte die Antragsgegnerin zwar ein Gutachten eines Rechtsanwalts ein, das der Antragsteller vorgelegt habe. Dieses Gutachten habe aber die Frage der Mitgliedschaft des Antragstellers nicht beantwortet, sondern ende mit dem Aufzeigen möglicher Alternativen. Angesichts dieses Ergebnisses der rechtsanwaltlichen Begutachtung hätte der Antragsteller weiterhin auf eine Positionierung zu der Frage drängen müssen, ob die Antragsgegnerin nunmehr davon ausgehe, dass der Antragsteller nach wie vor ihr Mitglied sei, seine Mitgliedschaft also nur „ruhte“ und er diese durch einseitige Erklärung wieder zum Aufleben bringen konnte, oder ob er im Juli 2016 aus der Fraktion ausgetreten sei. Weder sei ersichtlich, dass er dies getan habe, noch habe die Antragsgegnerin entsprechend Stellung bezogen. Vielmehr fasste der Fraktionsvorstand in einer nach Erstellung des Gutachtens einberufenen Sondersitzung am 26.09.2019 einstimmig den Beschluss, eine gerichtliche Entscheidung der Frage der Mitgliedschaft des Antragstellers einzuholen. Der Fraktionsvorstand vertrete damit weiterhin keine eigene Auffassung zur Mitgliedschaft des Antragstellers, sondern bringe nur zum Ausdruck, die Entscheidung einer anderen Instanz überlassen zu wollen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass sich die Fraktionsversammlung der Antragsgegnerin als das möglicherweise zuständige Organ nach Vorlage des Gutachtens noch einmal mit dem Vorgang beschäftigt habe.
Jedenfalls in Anbetracht dieses unklaren Verhaltens der Antragsgegnerin (das auch darin zum Ausdruck komme, dass sie im vorliegenden Verfahren keinen Antrag gestellt habe) hätte der Antragsteller vor Einleitung des Organstreitverfahrens noch einmal sein Begehren an die Antragsgegnerin in eindeutiger Weise, gegebenenfalls auch unter Fristsetzung, herantragen müssen.
Darüber hinaus leide der Antrag im Organstreitverfahren derzeit noch an Substantiierungsmängeln. Die bisherigen Ausführungen des Antragstellers zu den Absprachen im Zusammenhang mit dem behaupteten „Ruhenlassen“ seiner Fraktionsmitgliedschaft seien sehr vage, so dass die genauen Umstände, unter denen er die Fraktion verlassen habe, unklar blieben. So fehle es an jeder Schilderung seiner entsprechenden Erklärungen gegenüber der Antragsgegnerin und des Inhalts einer von den Beteiligten erwähnten „Vereinbarung“. Dieser Darlegung bedürfe es um so mehr, als der Antragsteller im Juli 2016 öffentlich seinen „Rücktritt“ aus der Fraktion erklärt und die Antragsgegnerin ausdrücklich von einem „Austritt“ des Antragstellers gesprochen hatte.
Wann mit einer Entscheidung in der Hauptsache zu rechnen ist, lässt sich derzeit noch nicht absehen.