Das Verwaltungsgericht Göttingen hat mit Beschluss vom 21.07.2021 zum Aktenzeichen 2 B 122/21 den Landkreis Göttingen verpflichtet, einem dreijährigen Kind aus der Gemeinde Staufenberg ab sofort einen wohnortnahen sechsstündigen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung nachzuweisen.
Aus der Pressemitteilung des VG Göttingen vom 22.07.2021 ergibt sich:
Die Eltern hatten ihr Kind im Dezember 2020 für einen Kindergartenplatz in der Gemeinde Staufenberg angemeldet. Weil es deutlich mehr Anmeldungen als Plätze gab, erteilte ihnen keine der Tageseinrichtungen eine Zusage. In der Folgezeit bemühten sich die Eltern vergeblich gegenüber dem Landkreis und der Gemeinde um einen Betreuungsplatz. Daraufhin suchten sie bei Gericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit dem Ziel nach, der Landkreis möge ihrem Kind einen Kindergartenplatz verschaffen. Im Gerichtsverfahren bot der Landkreis dem Kind einen Betreuungsplatz in den Gemeinden Niemetal und Rosdorf an.
Beide Plätze sah das Gericht als ungeeignet an, um den Anspruch des Kindes auf Förderung in einer Tageseinrichtung zu erfüllen.
Zur Begründung führte das Gericht aus: Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, habe bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Der Anspruch sei auf einen bedarfsgerechten Ganztagsplatz gerichtet (§ 24 SGB VIII). Diesen Anspruch erfüllten die angebotenen Plätze nicht. Beide seien unzumutbar weit vom Wohnsitz der Familie entfernt, da die Wegstrecke mit dem privaten Pkw mindestens 35 Minuten pro Weg betrage. Welche Entfernung zwischen Wohnort und Kindertagesstätte zumutbar sei, hänge von den Besonderheiten des Einzelfalls ab. Eine längere Wegestrecke als 30 Minuten sei aber grundsätzlich – und auch hier – unzumutbar.
Zum Betreuungsumfang hat das Gericht – soweit ersichtlich bundesweit erstmalig – festgestellt, dass dieser nicht nur bei werktäglich mindestens vier Stunden (Halbtagsplatz), sondern bei mindestens sechs Stunden (Dreivierteltagsplatz) liege. Eine halbtägige Betreuung im Umfang von mindestens vier Stunden, wie sie landesrechtlich im KiTaG geregelt sei, sei nicht ausreichend, um den bundesrechtlich begründeten Anspruch zu erfüllen. Denn Tageseinrichtungen sollten den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können. Dieser Funktion werde ein Halbtagsplatz nicht gerecht. Andererseits bestehe kein Anspruch auf einen Ganztagsplatz (acht oder neun Stunden), weil der Bundesgesetzgeber für die Ganztagsbetreuung eine bloß objektiv-rechtliche Hinwirkungspflicht formuliert habe.
Der Anspruch auf Nachweis des Kindergartenplatzes richte sich gegen den Landkreis Göttingen als örtlich zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Die von ihm mit seinen Gemeinden geschlossene öffentlich-rechtliche Vereinbarung, wonach die Gemeinden den Rechtsanspruch auf Förderung sicherstellten, ändere an der Leistungsverpflichtung des Landkreises im Außenverhältnis zu den Kindern nichts. Ob die vorhandenen Kapazitäten erschöpft seien, spiele keine Rolle. Denn der Jugendhilfeträger sei dazu verpflichtet, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte bereitzustellen. Um eine Klärung in einem Hauptsacheverfahren zu ermöglichen, hat das Gericht die Antragstellerin verpflichtet, eine entsprechende Klage zu erheben.
Gegen den Beschluss (2 B 122/21) kann der Landkreis Göttingen binnen zwei Wochen nach Zustellung Beschwerde bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einlegen.