landgerichtliche Kostenentscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes

07. September 2023 -

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 03. August 2023 zum Aktenzeichen 2 BvR 49/23 entschieden, dass eine zögerliche Behandlung eines Eilverfahrens verfassungsrechtlich bedenklich ist.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verfahrensführung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.

Der Beschwerdeführer wurde durch das Landgericht Hannover mit Urteil vom 13. März 2021 wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Darüber hinaus ordnete das Landgericht gemäß § 64 StGB seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an und bestimmte den Vorwegvollzug auf 18 Monate. Dieser endete mit Ablauf des 2. September 2022.

Am 26. oder 27. Oktober 2022 – die Angaben im fachgerichtlichen Verfahren und in der Verfassungsbeschwerdeschrift divergieren insoweit – wurde der Beschwerdeführer in den Maßregelvollzug der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Lüneburg (im Folgenden: Fachklinik) aufgenommen und mit einer vierwöchigen Kontaktsperre belegt, die Telefonate und externe Besuche umfasste. Lediglich Telefonate mit seiner Ehefrau wurden einmal wöchentlich für die Dauer von 30 Minuten zugelassen.

Gegen diese Anordnung stellte der Beschwerdeführer durch seine Prozessbevollmächtigte am 4. November 2022 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG beim Landgericht Lüneburg mit dem Ziel, den Vollzug der vorbezeichneten Maßnahme auszusetzen. Der Antrag, der noch am selben Tag beim Landgericht einging, war mit dem fettgedruckten Zusatz „EILT SEHR!!! BITTE SOFORT VORLEGEN!!!“ versehen. Zur Begründung trug der Beschwerdeführer vor, seine Ehefrau stelle die für ihn wichtigste und einzige Kontaktperson dar. Während des vorangegangenen Strafvollzugs habe er täglich unbegrenzt mit seiner Ehefrau telefonieren und auch wöchentlich Besuch empfangen dürfen. Mit der nunmehr erlassenen Anordnung werde dieser Kontakt nahezu verhindert. Es liege insoweit eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG vor. Soweit die Fachklinik – was zu vermuten sei – die Anordnung mit einer Eingewöhnungsphase zu begründen versuchen sollte, hätten derartige Erwägungen keine wissenschaftliche Grundlage und stünden mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht in Einklang. Die Fachklinik habe es versäumt, vor Erlass der Anordnung eine einzelfallbezogene Prüfung durchzuführen. Ohne Eilrechtsschutz durch das Landgericht entstünden für den Beschwerdeführer schwere und unzumutbare Nachteile, die in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.

Mit Verfügung vom 11. November 2022 veranlasste der mit der Sache befasste Richter des Landgerichts Lüneburg die Übersendung des Antrags vom 4. November 2022 an die Fachklinik und gab dieser Gelegenheit zur Stellungnahme „binnen einer Woche“. An die Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers verfügte er zeitgleich ein Schreiben mit dem Inhalt, dass ihm als dem für Maßregelvollzugssachen zuständigen Richter der Antrag vom 4. November 2022 „heute“ vorgelegt worden sei und er die Fachklinik zur Stellungnahme zum Eilantrag binnen einer Woche aufgefordert habe. Die Verfügung wurde am 14. November 2022 umgesetzt.

Mit Schreiben vom 16. November 2022 wies die Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers darauf hin, dass die der Fachklinik gesetzte Stellungnahmefrist von einer Woche durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Der Eilantrag liege dem Gericht bereits seit dem 4. November 2022 vor. Soweit eine Weiterleitung des Antrags an die Fachklinik erst am 14. November 2022 erfolgt und dieser zugleich eine Stellungnahmefrist von einer Woche eingeräumt worden sei, lasse die Strafvollstreckungskammer den Eilantrag im Ergebnis leerlaufen, da mit Ablauf des 26. November 2022 (sic) Erledigung eintrete. Um den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG gerecht zu werden, hätte sich die Kammer gedrängt sehen müssen, eine Stellungnahme fernmündlich oder aber mit einer sehr kurzen Frist einzuholen.

Die Fachklinik trat dem Eilantrag mit Stellungnahme vom 21. November 2022 entgegen. In Therapieeinrichtungen für suchterkrankte Menschen sei es durchaus üblich, dem Patienten zu Beginn der Behandlung eine Kontaktsperre aufzuerlegen. Hintergrund sei der Gedanke, dass sich der Patient besser auf eine Therapie einlassen könne, wenn zunächst ein Abstand zu den bisherigen sozialen Bezugspersonen bestehe. Diese Regelung, die früher „sehr dogmatisch vertreten“ worden sei, sei unter Suchttherapeuten „mittlerweile nicht unumstritten“. Im Rahmen einer konzeptionellen Weiterentwicklung sei im Fall des Beschwerdeführers die Sperre für Telefonate und Skype-Kontakte zum 16. November 2022 aufgehoben worden. Besuche seien indes weiterhin erst ab einem Behandlungszeitraum von vier Wochen möglich.

Mit Schreiben vom 22. November 2022 übermittelte die Strafvollstreckungskammer der Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers die vorgenannte Stellungnahme und gab dieser Gelegenheit zur kurzfristigen Erwiderung. Mit ebenfalls übermitteltem Vermerk vom selben Tag wies die Kammer darauf hin, dass in Anbetracht der Aufhebung der telefonischen Kontaktsperre nur noch die Frage von Besuchen verfahrensgegenständlich sein dürfte. Ferner gab sie eine Literaturmeinung wieder, wonach es rechtlich vertretbar sei, eine rigorose Kontaktsperre auch zu Angehörigen noch als rechtlich zulässig anzusehen, die Dinge aber mit Blick auf die Umstände des Einzelfalls anders zu betrachten seien, wenn bei einem Angehörigen überhaupt nicht zu befürchten sei, dass er die Bemühungen der Entziehungsanstalt gefährden könnte (unter Verweis auf Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug, 8. Aufl. 2015, III. Teil Rn. 554 ff.). Das Gericht habe nach Kenntnis der Stellungnahme der Fachklinik telefonische Rücksprache gehalten, um die Gründe für die Untersagung von Besuchen abzuklären. Der Vollzugsleiter habe nicht erreicht werden können. Seine Vertreterin habe aber zugesagt, kurzfristig hierzu telefonische Mitteilung zu machen. Nach höchst vorläufiger Auffassung der Kammer erscheine eine Kontaktsperre „von einem Monat“ nicht von vornherein unverhältnismäßig, zumal dem Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 6 GG infolge der nunmehr bestehenden Möglichkeiten des Kontakts per Telefon oder Skype Rechnung getragen sein dürfte.

Mit Vermerk vom 23. November 2022 führte das Landgericht aus, es habe an diesem Tag mit der stellvertretenden Vollzugsleiterin telefonisch Rücksprache gehalten. Diese habe die Erforderlichkeit der Besuchssperre von vier Wochen damit begründet, dass die Klinik diese Zeit für die Durchführung der Anamnese und zur Feststellung möglicher therapiebeeinträchtigender Umstände benötige. Mit der Ehefrau des Beschwerdeführers sei ein Erstgespräch vereinbart gewesen, welches diese jedoch abgesagt habe. Auch sei der familiäre Kontext bisher offensichtlich nicht in der Weise protektiv gewesen, dass die Straftaten des Beschwerdeführers verhindert worden seien. Es finde indes eine kontinuierliche Überprüfung der Erforderlichkeit der Kontaktsperre statt. Der Vermerk wurde der Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers noch am 23. November 2022 zugeleitet, verbunden mit der Frage, ob der Antrag betreffend die Besuchssperre aufrechterhalten bleiben solle. Nach vorläufiger Auffassung der Kammer dürften die von der Fachklinik angeführten Gründe die Besuchssperre – jedenfalls in dem gesetzten zeitlichen Rahmen – auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG nicht als unverhältnismäßig erscheinen lassen.

Am 23. November 2022 erklärte der Beschwerdeführer durch seine Prozessbevollmächtigte den Antrag vom 4. November 2022 hinsichtlich der telefonischen Kontaktsperre für erledigt und beantragte, die Kosten des Verfahrens insoweit der Fachklinik aufzuerlegen. Hinsichtlich der Besuchssperre hielt er jedoch an dem Eilantrag fest. Nach der von der Kammer zitierten Literaturmeinung dürfe eine Kontaktsperre nicht routinemäßig verhängt werden. Dies sei hier jedoch der Fall. Die Gründe, welche die Fachklinik zur Anordnung der Besuchssperre angeführt habe, reichten nicht aus, um den mit ihr einhergehenden Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. Die Klinik mache keinerlei Ausführungen dazu, inwieweit sie befürchte, die Ehefrau des Beschwerdeführers könne deren Bemühungen gefährden. Soweit sie nunmehr darauf abstelle, der familiäre Kontext habe die Straftaten des Beschwerdeführers nicht verhindert, könne dies allein nicht dazu führen, eine Kontaktsperre zu verhängen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe zu keinem Zeitpunkt in der Drogenszene gelebt, was auch jetzt nicht der Fall sei. Sie sei die wichtigste Bezugsperson des Beschwerdeführers. Den Gesprächstermin mit der Fachklinik habe sie abgesagt, weil dieser erst nach drei Wochen habe stattfinden sollen, wodurch ihr Vertrauen in die Fachklinik erheblich erschüttert worden sei.

Ergänzend bat die Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 24. November 2022 um Mitteilung, weshalb das Landgericht nach der Stellungnahme der Fachklinik vom 21. November 2022 telefonischen Kontakt mit dieser aufgenommen habe. Deren rechtliches Gehör sei mit einer Stellungnahmefrist von einer Woche mehr als gewahrt worden. Das Vorgehen des Landgerichts erwecke den Anschein, dass die Stellungnahme vom 21. November 2022 nicht ausreichend gewesen sei. Bei den nunmehr erfolgten telefonischen Angaben handele es sich um ein unzulässiges Nachschieben von Gründen.

Am 25. November 2022 teilte der zuständige Richter des Landgerichts der Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers mit, er habe sich am Vortag aufgrund einer Tätigkeit als Prüfer des niedersächsischen Landesjustizprüfungsamts nicht im Dienst befunden. Beim Formulieren einer Entscheidung hinsichtlich des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei ihm nunmehr „aufgefallen“, dass die in der Anordnung der Fachklinik anberaumte Frist von vier Wochen abgelaufen sein dürfte. Eine telefonische Rücksprache mit der ständigen Vertreterin des Vollzugsleiters habe ergeben, dass der Beschwerdeführer mittlerweile Besuchsanträge stellen könne. Soweit die Prozessbevollmächtigte moniere, dass die Kammer telefonisch Rücksprache mit der Fachklinik gehalten habe, habe sich das Gericht hierzu aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes veranlasst gesehen.

Mit Schreiben vom 25. November 2022 führte die Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers aus, sie habe bereits am 16. November 2022 darauf hingewiesen, dass die gestellten Anträge aufgrund der durch das Landgericht gewährten Fristen ins Leere zu laufen drohten. Diese Situation sei nun tatsächlich eingetreten.

Mit angegriffenem Beschluss vom 13. Dezember 2022 entschied das Landgericht, der Beschwerdeführer habe seine eigenen notwendigen Auslagen zu tragen. Soweit sich der Antrag vom 4. November 2022 gegen die Sperre für Telefonate und Skype gerichtet habe, habe der Beschwerdeführer diesen für erledigt erklärt. Soweit sich der Antrag gegen das Besuchsverbot gerichtet habe, habe er sich durch Zeitablauf erledigt. Über die Verteilung der Kosten sei gemäß § 121 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nach billigem Ermessen zu entscheiden gewesen. Hiernach seien die Kosten des Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen, weil sein Antrag auch ohne Erledigung nicht erfolgreich gewesen wäre. Die Kammer nehme insoweit Bezug auf die Vermerke vom 22. und 23. November 2022.

Die Vorgehensweise des Landgerichts Lüneburg ist nicht frei von verfassungsrechtlichen Bedenken.

Ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers und den von ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen dürfte das Vorgehen des Landgerichts, über den gestellten Eilrechtsschutzantrag gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG nicht bis zum zeitlichen Auslaufen der insoweit angegriffenen Anordnung zu entscheiden, mit der in Art. 19 Abs. 4 GG enthaltenen Rechtsschutzgarantie nicht zu vereinbaren sein.

Es spricht jedenfalls in einer Gesamtschau viel dafür, dass die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts diesen Anforderungen nicht gerecht geworden ist. So erweist es sich bereits als bedenklich, dass der am 4. November 2022 beim Landgericht eingegangene und auch optisch als solcher erkennbare Eilrechtsschutzantrag des Beschwerdeführers, der eine grundrechtssensible Anordnung im Maßregelvollzug zum Gegenstand hatte, offenbar erstmals am 11. November 2022 durch den zuständigen Richter gesichtet wurde. Auch die weitere gerichtliche Behandlung des Antrags lässt eine insoweit gebotene zügige Vorgehensweise nicht erkennen. Schon bei der Gewährung einer einwöchigen Stellungnahmefrist für die Fachklinik musste es sich der Strafvollstreckungskammer aufdrängen, dass eine gerichtliche Entscheidung über den Antrag gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG allenfalls noch kurz vor dem Auslaufen der auf vier Wochen befristeten Anordnung möglich sein würde. Soweit die Abfassung einer Entscheidung nach Eingang der angefragten Stellungnahme wegen der Abwesenheit des zur Entscheidung berufenen Richters nicht möglich gewesen sein sollte, vermag dies das Nichtergehen einer Sachentscheidung ebenso wenig zu rechtfertigen wie die offenbar irrige Annahme eines Geltungszeitraums der angegriffenen Anordnung von einem Monat (statt vier Wochen). Durch die späte Eingangsbearbeitung, die Stellungnahmefrist von einer Woche für die Fachklinik und die Gestaltung des weiteren Verfahrens nach Eingang der Stellungnahme hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts den Antrag des Beschwerdeführers faktisch leerlaufen lassen, ohne dass die geschilderte Vorgehensweise unausweichlich gewesen wäre.