Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 05.03.2021 zum Aktenzeichen 10 Sa 803/20 entschieden, dass das Angebot einer Prozessbeschäftigung kein Indiz für die Treuwidrigkeit einer Kündigung außerhalb
der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes ist, die der Arbeitgeber mit dem Wunsch begründet hat, zukünftig wegen der schwierigen wirtschaftlichen Situation seine Versicherungsagentur allein betreiben zu wollen.
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung außerhalb der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes.
Die Klägerin kann sich nicht auf den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz berufen, da sie die einzige Mitarbeiterin in der Versicherungsagentur des Beklagten gewesen und damit die erforderliche Betriebsgröße gemäß § 23 KSchG nicht erreicht ist.
Ein Verstoß gegen § 242 BGB wegen Treuwidrigkeit der Kündigung ist nicht gegeben.
Der Grundsatz von Treu und Glauben in § 242 BGB bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Eine gegen diesen Grundsatz verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist wegen der darin liegenden Rechtsüberschreitung als unzulässig anzusehen. Die Vorschrift des § 242 BGB ist aber auf Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Eine Kündigung verstößt deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind.
Im Rahmen der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB ist der objektive Gehalt der Grundrechte zu berücksichtigen. Der durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vermittelte verfassungsrechtliche Schutz ist allerdings umso schwächer, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel des § 23 Absatz 1 KSchG geschützten Grundrechtspositionen des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen sind. Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder aus sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen (vgl. BAG, Urteil vom 05.12.2019 – 2 AZR 107/19 -, Randziffer 12 f. m. w. N.). Eine willkürliche Kündigung liegt nicht vor, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Kündigung besteht. Für das Vorliegen von solchen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergeben soll, trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast. Dabei wird dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Arbeitnehmers durch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast Rechnung getragen. In einem ersten Schritt muss der Arbeitnehmer, soweit er die Überlegungen des Arbeitgebers, die zu seiner Kündigung geführt haben, nicht kennt, lediglich einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB indiziert. Der Arbeitgeber muss sich sodann nach § 138 Absatz 2 ZPO im Einzelnen auf diesen Vortrag einlassen, um ihn zu entkräften. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, gilt der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers gemäß § 138 Absatz 3 ZPO als zugestanden (vgl. BAG, Urteil vom 28.08.2008 – 2 AZR 101/07 -, Randziffer 35 m. w. N.).
Vorliegend hat die Klägerin keinen Sachverhalt schlüssig vorgetragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung vom 29.04.2020 nach § 242 BGB indizieren würde. Ansätze für ein willkürliches oder auf sachfremden Motiven beruhendes Handeln des Beklagten bei Ausspruch der Kündigung sind nicht zu erkennen.
Zu berücksichtigen ist hierbei, dass auch – im Anwendungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem Kündigungsschutzgesetz – grundsätzlich die unternehmerische Entscheidungsfreiheit zu berücksichtigen ist, die den Arbeitgeber in die Lage versetzt, den Aufgabenbereich, der bislang von Mitarbeitern erledigt worden ist, selber zu übernehmen und dadurch der Arbeitsplatz des betreffenden Mitarbeiters – hier der Klägerin – entfällt. Hierauf beruft sich der Beklagte, indem er darlegt, dass insbesondere mit Rücksicht auf die besondere wirtschaftliche Situation aufgrund der Pandemielage er selber alleine den Betrieb der Versicherungsagentur betreibt. Anhaltspunkte dafür, dass dies vom Beklagten nur vorgeschoben wird, sind nicht von der Klägerin konkret vorgetragen und damit nicht erkennbar. Die Klägerin trägt hierzu keine weitergehenden Einzelheiten als Indizien für ein Vorschieben des Beklagten vor.
Ein solches Indiz ist auch nicht durch das Angebot der Prozessbeschäftigung des Beklagten gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 30.10.2020 gegeben. Hiermit kommt nicht zum Ausdruck, dass der Beklagte einen entsprechenden Arbeitsplatz für eine Mitarbeiterin – der Klägerin – weiter vorhalten will. Der Beklagte weist in seiner Berufungsbeantwortung zutreffend darauf hin, dass die angebotene Prozessbeschäftigung zur Minimierung seines wirtschaftlichen Prozessrisikos für den Fall eines etwaigen Unterliegens im Kündigungsschutzprozess geeignet ist und dienen soll. Daher ist es plausibel, für den begrenzten Zeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens einen – auflösend bedingten – Arbeitsvertrag gemäß dem Angebot vom 30.10.2020 zu schließen. Hierdurch kann der Beklagte bei Einverständnis der Klägerin sicherstellen, dass er jedenfalls für von ihm zu leistendes Entgelt als Äquivalent die Arbeitsleistung der Klägerin erhält.
Offenbleiben kann, ob im Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich bereits eine ernsthafte wirtschaftliche Situation durch die Pandemielage, die die Kündigung der Klägerin erforderlich machen würde, gegeben war. Außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes ist dies nicht zu prüfen. Zudem erscheint auch durchaus zulässig, auf prognostische Erwägungen im Zeitpunkt der Kündigung hinsichtlich der negativen Entwicklung der wirtschaftlichen Situation abzustellen. Hierdurch ist jedenfalls nicht von einem willkürlichen Handeln des Beklagten, das von sachfremden Motiven geprägt ist, auszugehen. Bei der Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes und der Prüfung von betriebsbedingten Gründen gemäß § 1 Absatz 2 KSchG ist wiederum die unternehmerische Entscheidungsfreiheit zu berücksichtigen, die nicht durch die Wirksamkeit und Effektivität von arbeitgeberseitigen Organisationsentscheidungen begrenzt ist. Dies unterfällt nicht der Prüfungskompetenz der Arbeitsgerichte.