Kritische Tweets von Ministerpräsident Weil gegen NPD mit Grundgesetz vereinbar

Der Niedersächsische Staatsgerichtshof in Bückeburg hat am 24.11.2020 zum Aktenzeichen StGH 6/19 entschieden, dass Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil mit mehreren kritischen Tweets über die Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) nicht gegen seine Neutralitätspflicht verstoßen hat.

Aus der Pressemitteilung des Nds. StGH vom 24.11.2020 ergibt sich:

Der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen hatte eine gegen Journalisten gerichtete NPD-Demonstration in Hannover in mehreren Twitter-Nachrichten kritisiert. So hatte Weil auf seinem Twitter-Account am 20. und am 23.11.2019 aus Anlass der Versammlung am 23.11.2019 zu dem Thema „Schluss mit steuerfinanzierter Hetze – Feldmann in die Schranken weisen!“ insgesamt neun Tweets gepostet. „Viel perfider geht es nicht mehr: Die rechtsextreme NPD will am kommenden Wochenende in #Hannover unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit gegen die ebenfalls verfassungsrechtlich garantierte #Pressefreiheit demonstrieren… #Demokratie #gegenrechts“, schrieb Stephan Weil zum Beispiel am 20.11.2019. Der NPD-Landesverband sah sich durch sechs dieser Tweets in seinem Recht auf chancengleiche Teilnahme am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.

Der StGH Bückeburg hat den Antrag zurückgewiesen.

Nach Auffassung des Staatsgerichtshofs waren die Äußerungen des Ministerpräsidenten gerechtfertigt. Der auch in Niedersachsen als unmittelbares Verfassungsrecht geltende und damit zu den Prüfungsmaßstäben des Staatsgerichtshofs zählende Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG schütze das Recht aller auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen wirkenden Regierungs- und Oppositionsparteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb in seiner Gesamtheit. Im Rahmen der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung gelten daher ihnen gegenüber grundsätzlich das Neutralitäts- und das Sachlichkeitsgebot.

Dass das BVerfG als Ergebnis des zweiten NPD-Verbotsverfahrens die NPD zwar nicht verboten, aber festgestellt habe, dass sie mit ihren Zielen die Grundprinzipien missachte, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar seien, hinder sie nicht daran, sich auf den Gewährleistungsbereich des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG berufen zu können. Der verfassungsändernde Gesetzgeber von 2017 habe sich darauf beschränkt, die Finanzierung verfassungsfeindlicher Parteien zu begrenzen. Im Übrigen gelte daher der Grundsatz fort, dass die verfassungsfeindliche Partei zwar politisch bekämpft werden dürfe, aber auch sie in ihrer politischen Aktivität von jeder Behinderung frei sein soll.

Die Äußerungen des Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsens in den streitgegenständlichen Tweets über seine Nutzeradresse @MpStephanWeil erfolgten in Ausübung seines Amtes. Amtsautorität werde auch bei Aktivitäten von Regierungsmitgliedern in sozialen Netzwerken oder beim Einsatz von Mikrobloggingdiensten in Anspruch genommen, wenn diese Aktivitäten unter Nutzeradressen stattfänden, die auf das Amt hinweisen. Außerdem stellen die Tweets einen Eingriff in das Recht auf chancengleiche Teilnahme am politischen Wettbewerb dar. Sie bezweckten nämlich, dass Leserinnen und Leser entweder der Demonstration der NPD fernblieben oder sich der Gegendemonstration anschlossen.

Der Ministerpräsident könne seinen Eingriff aber damit rechtfertigen, dass er von einer ihm als Teil des Verfassungsorgans „Landesregierung“ zustehenden Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch gemacht habe. Er setzte sich im Zusammenhang mit einem konkreten Angriff einer als verfassungsfeindlich festgestellten Partei für einen unverzichtbaren Grundpfeiler der Demokratie, nämlich der Institution „Freie Presse“, der Pressefreiheit und dem Schutz von Journalistinnen und Journalisten, ein.

Es gehöre zu den Amtspflichten des Ministerpräsidenten sich schützend vor die freiheitlich demokratische Grundordnung und ihrer Institutionen zustellen und die Bevölkerung für demokratiegefährdende Entwicklungen zu sensibilisieren sowie das bürgerschaftliche Engagement hiergegen zu stärken. Seine Neutralitätspflicht sei insoweit eingeschränkt.