Krankenhausvorbehalt bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen teilweise verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 26.11.2024 zum Aktenzeichen 1 BvL 1/24 entschieden, dass § 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in der bis 31. Dezember 2022 geltenden Fassung (a.F.) und die wortlautidentische ab 1. Januar 2023 geltende Vorschrift des § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB (n.F.) teilweise mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar sind. Die ausnahmslose Vorgabe, ärztliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchzuführen, ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber ist zur Neuregelung spätestens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 verpflichtet. Bis zu einer Neuregelung gilt das bisherige Recht fort.

Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 100/2024 vom 26.11.2024 ergibt sich:

Widerspricht eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen eines Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), kann ein Betreuer in die ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen. Die Einwilligung, die der Genehmigung des Betreuungsgerichts bedarf, setzt nach der bisherigen Regelung unter anderem die Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus voraus.

Dieser Krankenhausvorbehalt ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG unvereinbar, soweit Betreuten aufgrund der ausnahmslosen Vorgabe, ärztliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchzuführen, erhebliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit drohen. Dies gilt nur, wenn zugleich zu erwarten ist, dass diese Beeinträchtigungen in der Einrichtung, in der die Betreuten untergebracht sind und in welcher der Krankenhausstandard im Hinblick auf die konkret erforderliche medizinische Versorgung einschließlich der Nachversorgung voraussichtlich nahezu erreicht wird, vermieden oder jedenfalls signifikant reduziert werden können, ohne dass andere Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit oder einer anderen grundrechtlich geschützten Position mit vergleichbarem Gewicht drohen.

Die Entscheidung ist mit 5 : 3 Stimmen ergangen. Richter Wolff hat ein Sondervotum abgegeben.

Sachverhalt:

Widerspricht eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), kann ein Betreuer mit entsprechendem Aufgabenkreis in die ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen. Die Voraussetzungen für die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme legt § 1906a Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. beziehungsweise § 1832 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. fest. Eine der Voraussetzungen besteht darin, dass die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt wird.

Die Einwilligung des Betreuers in die ärztliche Zwangsmaßnahme bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts (§ 1906a Abs. 2 BGB a.F., § 1832 Abs. 2 BGB n.F.). Auch in eine etwaig notwendige Verbringung des Betreuten zu einem stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus gegen seinen natürlichen Willen zum Zweck der ärztlichen Zwangsmaßnahme kann der Betreuer einwilligen; diese Einwilligung steht ebenfalls unter betreuungsgerichtlichem Genehmigungsvorbehalt.

Mit der Einführung von § 1906a BGB a.F. wollte der Gesetzgeber eine vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Schutzlücke schließen. Das Bundesverfassungsgericht befand mit Beschluss vom 26. Juli 2016 (BVerfGE 142, 313), dass Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG den Gesetzgeber verpflichte, ein System der Hilfe und des Schutzes für unter Betreuung stehende Menschen vorzusehen, die die Erforderlichkeit einer medizinischen Behandlung zur Abwehr oder Bekämpfung erheblicher Erkrankungen nicht erkennen oder nicht danach handeln könnten. Dabei müssten strenge materielle und verfahrensrechtliche Anforderungen an eine solche Zwangsbehandlung die möglichst weitgehende Berücksichtigung der betroffenen Freiheitsrechte sicherstellen. Mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates sei es unvereinbar, dass für diese unter Betreuung stehenden Menschen eine ärztliche Behandlung gegen ihren natürlichen Willen nicht möglich ist, sofern sie (so die damalige Regelung) zwar stationär behandelt werden, aber nicht geschlossen untergebracht werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu körperlich nicht in der Lage sind. Mit der Einführung von § 1906a BGB a.F. sollte nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung die beanstandete Schutzlücke dadurch geschlossen werden, dass die Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen statt an eine freiheitsentziehende Unterbringung künftig an einen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus anknüpft.

Die psychisch schwer erkrankte Betroffene wendet sich im Ausgangsverfahren gegen die Versagung der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, ihre zwangsweise ärztliche Behandlung mit einem Neuroleptikum statt in einem Krankenhaus in dem von ihr bewohnten Wohnverbund durchzuführen. Für sie ist seit dem Jahr 2000 eine Betreuung, unter anderem für die Gesundheitssorge und die Aufenthaltsbestimmung eingerichtet. Die Beschwerde gegen die zurückweisende Entscheidung des Betreuungsgerichts war erfolglos. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob es mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar ist, dass § 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB a.F. für die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme die Durchführung der Maßnahme in einem Krankenhaus auch bei solchen Betroffenen voraussetzt, die aus medizinischer Sicht gleichermaßen in der Einrichtung, in der sie untergebracht sind und in der ihre gebotene medizinische Versorgung einschließlich ihrer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, zwangsbehandelt werden könnten und die durch die Verbringung in ein Krankenhaus zwecks Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme in ihrer Gesundheit beeinträchtigt werden.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

§ 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB a.F. ist teilweise mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG unvereinbar.

Die Regelung greift in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG ein. Die Bindung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme an einen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus mit näher bestimmtem Versorgungsniveau ist zwar grundsätzlich zulässig. Die ausnahmslose Vorgabe, ärztliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchzuführen, ist aber verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

Die von der beanstandeten Regelung ausgehenden Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit müssen wie ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht nicht einwilligungsfähiger Betreuter in Bezug auf ihre körperliche Integrität behandelt werden. Mit der beanstandeten Regelung zielt der Staat auf die Überwindung eines der Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus entgegenstehenden natürlichen Willens ab und übernimmt durch das zwingende Erfordernis einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung die Mitverantwortung für Beeinträchtigungen des Selbstbestimmungsrechts und der körperlichen Integrität.

Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

Mit der beanstandeten gesetzlichen Regelung verfolgt der Gesetzgeber verfassungsrechtlich legitime Zwecke, zu deren Erreichung die Regelung im verfassungsrechtlichen Sinne auch geeignet und erforderlich ist.

Als legitimen Zweck eines Eingriffs in die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG geschützte körperliche Unversehrtheit nicht einwilligungsfähiger Betreuter hat das Bundesverfassungsgericht im Grundsatz die Erfüllung einer staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gegenüber ebendiesen Betreuten anerkannt. Diese Schutzpflicht gibt dem Staat auf, hilfsbedürftigen Menschen, die bei einem drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden die Notwendigkeit ärztlicher Maßnahmen nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, unter engen Voraussetzungen als ultima ratio auch unter Überwindung ihres entgegenstehenden natürlichen Willens Schutz durch ärztliche Versorgung zu gewähren. Danach muss der Gesetzgeber für Fälle, in denen drohende erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen einschließlich einer Lebensgefahr durch nicht zu eingriffsintensive Behandlungen mit hohen Erfolgsaussichten abgewehrt werden können, die Möglichkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme gegenüber nicht einwilligungsfähigen Betreuten vorsehen. Mit dem Krankenhausvorbehalt verfolgt der Gesetzgeber den verfassungsrechtlich legitimen Zweck, bei der Umsetzung seiner Schutzpflicht materielle und verfahrensrechtliche Sicherungen zu gewährleisten. Diese ihrerseits durch grundrechtliche Schutzpflichten unterlegten Sicherungen bestehen darin, Betroffene in ihrem privaten Wohnumfeld vor Zwangsmaßnahmen zu schützen, die Voraussetzungen ärztlicher Zwangsmaßnahmen im Krankenhaus durch multiprofessionelle Teams prüfen zu lassen, bereits im Vorfeld der Prüfung durch den Betreuer und das Betreuungsgericht auf Fehlanreizen beruhendes Ergreifen nicht erforderlicher ärztlicher Zwangsmaßnahmen zu verhindern und eine angemessene fachliche Versorgung der Betroffenen sicherzustellen.

Die ausnahmslose Vorgabe, ärztliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchzuführen, erweist sich im Hinblick auf die vorbezeichneten Anwendungsfälle indes als verfassungsrechtlich unverhältnismäßig im engeren Sinne. Die verfassungsrechtliche Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen.

Das Gewicht des mit der beanstandeten Regelung verbundenen Eingriffs in das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Integrität ist hoch, in Einzelfällen sogar sehr hoch. Jede ärztliche Zwangsmaßnahme überwindet einen der Durchführung der Maßnahme entgegenstehenden natürlichen Willen der betroffenen Betreuten. Durch die zwingende Vorgabe eines stationären Krankenhausaufenthalts ist es Betroffenen verwehrt, auf den Durchführungsort Einfluss zu nehmen oder die ärztliche Zwangsmaßnahme durch einen Behandelnden ihres Vertrauens durchführen zu lassen. Das Eingriffsgewicht weiter erhöhen können Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität durch die konkreten ärztlichen Maßnahmen, durch einen Umgebungswechsel zum Beispiel bei an Demenz erkrankten Patientinnen und Patienten, durch ein gesteigertes Ansteckungsrisiko mit spezifischen Infektionskrankheiten bei einem Aufenthalt in einem Krankenhaus, durch eine Entfremdung von der gewohnten Umgebung oder durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs zum Zweck der Verbringung in das Krankenhaus.

Die vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke sind allerdings von hohem Gewicht. Besonders bedeutsam ist das mit der Umsetzung dieser Schutzpflichten verfolgte Ziel sicherzustellen, dass die Möglichkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen gegenüber nicht einwilligungsfähigen Betreuten nur unter engen Voraussetzungen und als letztes Mittel besteht. Auch das Anliegen, vermeidbare erhebliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit auszuschließen, ist von erheblichem Gewicht.

In der Gesamtabwägung ist der Eingriff unangemessen, soweit Betreuten im Einzelfall aufgrund der ausnahmslosen Vorgabe, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchzuführen sind, erhebliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit drohen und zu erwarten ist, dass diese Beeinträchtigungen bei einer Durchführung in der Einrichtung, in der die Betreuten untergebracht sind und in welcher der Krankenhausstandard im Hinblick auf die konkret erforderliche medizinische Versorgung einschließlich der Nachversorgung voraussichtlich nahezu erreicht wird, vermieden oder jedenfalls signifikant reduziert werden können. Dies dürfte nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung insbesondere in solchen Fällen in Betracht kommen, in denen ärztliche Zwangsmaßnahmen gegenüber Betreuten zum wiederholten Male durchgeführt werden und in denen sich aus vorangehenden Genehmigungsverfahren gegebenenfalls besondere Erkenntnisse zu den ihnen voraussichtlich drohenden Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit ergeben. Vermeidbar sind die Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit allerdings nur, soweit in der Einrichtung, in der die Betroffenen untergebracht sind, keine anderen Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit oder einer anderen grundrechtlich geschützten Position der Betroffenen mit vergleichbarem Gewicht drohen. In diesen Fällen ist kein überwiegendes verfassungsrechtlich geschütztes Interesse erkennbar, das es rechtfertigen könnte, Betroffenen in einer Situation äußerster Schutzbedürftigkeit die Hinnahme voraussichtlich vermeidbarer erheblicher Beeinträchtigungen ihrer körperlichen Unversehrtheit zuzumuten. Erst recht ist nicht hinreichend erkennbar, dass und weshalb keine alternativen oder ergänzenden Möglichkeiten gesetzlicher Regelungen bestehen sollten, um konsequent sicherzustellen, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen ausschließlich als letztes Mittel (ultima ratio) ergriffen werden.

Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Unangemessenheit des mit § 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB a.F. verbundenen Eingriffs über Hauptsacheverfahren hinaus auch für Verfahren der einstweiligen Anordnung mit ihrem abgesenkten Prüfungsmaßstab bei der Sicherung des ultima-ratio-Gebots zu bejahen ist, bleibt in dieser Entscheidung offen.

In diesem Umfang ist die Unvereinbarkeit des § 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB a.F. mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG auszusprechen. Die teilweise Unvereinbarkeitserklärung ist auf die inhaltsgleiche Nachfolgenorm des § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB n.F. zu erstrecken. Bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, die spätestens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 zu treffen ist, gilt das bisherige Recht fort.

Die Entscheidung ist mit 5 : 3 Stimmen ergangen.

Abweichende Meinung des Richters Wolff:

Der Auffassung des Senats, aus dem Abwehrrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG ergebe sich die Notwendigkeit der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für eine ambulante Zwangsbehandlung, vermag ich mich nicht anzuschließen.

Ich stimme der Senatsmehrheit insoweit zu, als Fallgestaltungen denkbar sind, in denen die vom Gesetzgeber als zwingende gesetzliche Voraussetzung für eine medizinische Zwangsbehandlung vorgesehene Behandlung in einem Krankenhaus (mit entsprechender vorausgehender Verbringung dorthin) eine Belastung beim Betroffenen auslöst, die den Eingriff im Einzelfall unverhältnismäßig werden lassen kann.

Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG fordert als Abwehrrecht aber zunächst nur, dass der unverhältnismäßige Eingriff – hier die Behandlung in einem Krankenhaus – unterbleiben muss. Als Abwehrrecht fordert Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG nicht, dass der Gesetzgeber die Rechtsgrundlage für einen Eingriff schaffen muss, der diese Unverhältnismäßigkeit vermeidet. Unterbleibt der Eingriff insgesamt, entfällt auch die mit ihm verbundene Unverhältnismäßigkeit. Die vorgelegte gesetzliche Regelung gewährleistet daher ausreichenden Schutz vor unverhältnismäßigen Eingriffen und ist insoweit verfassungsgemäß.

Ein Anspruch auf Schaffung einer Eingriffsgrundlage für eine ambulante Zwangsbehandlung für diese Fälle unverhältnismäßiger Belastung kann sich daher nur aus der Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG ergeben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vermittelt die sich aus der objektiven Bedeutung der Freiheitsrechte gerade auch bei Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG ergebende Schutzpflicht einen Anspruch des Grundrechtsträgers oder der -trägerin gegen den Gesetzgeber auf Tätigwerden nur, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben.

Mit § 1906a BGB a.F. hat der Gesetzgeber ein System der Hilfe und des Schutzes für unter Betreuung stehende Menschen, die die Erforderlichkeit einer medizinischen Behandlung zur Abwehr oder Bekämpfung erheblicher Erkrankungen nicht erkennen oder nicht danach handeln können, geschaffen. Dies genügt wegen des Spielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Regeln grundsätzlich.

Angesichts der unsicheren Tatsachengrundlage hinsichtlich der Belastungswirkungen des Eingriffs, der möglichen Erfolge der in Rede stehenden Behandlungen, der Belastungswirkung der Verbringung ins Krankenhaus, der Belastungswirkung der in Rede stehenden Alternativbehandlungen und der sich hieraus ergebenden Risiken sowie der Uneinigkeit der sachverständigen Gruppen sehe ich mich nicht in der Lage, eine die Schutzpflicht verletzende, offensichtlich ungeeignete oder völlig unzulängliche Rechtslage anzunehmen. Durch die Einführung weiterer (auch noch so eng gefasster) Formen der Zwangsbehandlung wird nach meiner Einschätzung vielmehr eine Gefahr der Absenkung der materiellen Eingriffsschwelle begründet. Ob diese Gefahr der Absenkung des Schutzstandards hinzunehmen ist, hat bei einer so unsicheren Erkenntnisgrundlage, wie sie hier vorliegt, ausschließlich der Gesetzgeber zu entscheiden.

Die fehlende Durchführbarkeit der medizinischen Zwangsbehandlung beruht in diesen Fällen letztlich auf einem Respekt vor dem natürlichen Willen, der verfassungsrechtlich auch hier Ausdruck des durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit geschützten Selbstbestimmungsrechts Betroffener ist, in das auch unter diesen Voraussetzungen im Falle einer Zwangsbehandlung eingegriffen wird.

Dies zugrunde gelegt, wäre auf die Vorlage des Bundesgerichtshofs zu antworten, dass die vorgelegte Norm (§ 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB a.F.) verfassungsgemäß war.