Das Sozialgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 21.06.2021 zum Aktenzeichen S 23 KR 4749/19 entschieden, dass die Gesetzliche Krankenversicherung auch dann nicht verpflichtet ist, nach einer geschlechtsangleichenden Behandlung bei Intersexualität die Kosten für eine Elektroepilation der grauen und weißen Barthaare durch eine Kosmetikerin/Elektrologistin zu übernehmen, wenn ein Vertragsarzt die begehrte Leistung nicht erbringt.
Aus der Pressemitteilung des SG Stuttgart vom 02.08.2021 ergibt sich:
Ein Systemversagen, das sich daraus ergibt, dass die Versicherte keine Vertragsärzte findet, die die Nadelepilation der Barthaare erbringen, und die Krankenkasse und die Kassenärztliche Vereinigung auch keine leistungsbereiten Vertragsärzte benennen können, begründet keinen Anspruch der Versicherten gegen die Krankenkasse auf die Verschaffung einer als ärztliche Leistung gebotenen Behandlung durch einen Nichtarzt. Die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für eine Kostenübernahme weiterer Behandlungsmaßnahmen zur optischen Angleichung an das gewünschte Geschlecht obliegt dem Gesetzgeber (vgl. BSG vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 4/20 R).
Die als Mann geborene, intersexuelle Klägerin, die bei der beklagten Krankenkasse versichert ist, beantragte dort am 06.03.2019 die Kostenübernahme für Epilationen mittels Elektrokoagulation (Nadelepilation) zur Entfernung der Barthaare durch eine eigenverantwortlich behandelnde Elektrologistin. Da ihre Identität zu 80% beim weiblichen und nur zu 20 % beim männlichen Geschlecht liege, handele es sich bei der Bartbehaarung um einen krankhaften und zugleich regelhaft entstellenden Haarwuchs. Einen Vertragsarzt, der die begehrte Behandlung durchführe, habe sie nicht gefunden.
Die Beklagte lehnte eine Kostenübernahme ab. Eine Nadelepilation/Elektrokoagulation bei einer Elektrologistin stelle keine Leistung der Gesetzliche Krankenversicherung dar.
Die Kammer hat die Klage abgewiesen.
Intersexuelle Personen könnten die Entfernung der Barthaare nur als ärztliche Behandlung beanspruchen. Der Arztvorbehalt (§ 15 SGB V) stehe mit dem Grundgesetz in Einklang. Arzt sei nur der approbierte Heilbehandler. Dies schließe die begehrte Nadelepilation durch eigenverantwortlich behandelnde nichtärztliche Leistungserbringer aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Dies gelte auch dann, wenn Elektrologisten/Kosmetiker über eine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz verfügten. Die Nadelepilation durch Elektrologisten/Kosmetiker könne auch nicht als Heilmittel beansprucht werden. Sie sei bisher nicht als verordnungsfähig in der Heilmittel-Richtlinie aufgeführt. Insoweit bestehe auch keine Leistungspflicht infolge Systemversagens. Derzeit könnten Kosmetiker/Elektrologisten schon nicht als Heilmittelerbringer zugelassen werden. Auch ein Systemversagen wegen einer sich hier aufdrängenden faktischen Versorgungslücke lasse den Arztvorbehalt als zwingende berufliche Mindestqualifikation nicht entfallen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.