Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 07. Juli 2020 zum Aktenzeichen 1 BvR 596/17 entschieden, dass die Kostentragung für ein zivilgerichtliches einstweiliges Verfügungsverfahren wegen eines Presseberichts verfassungswidrig ist.
Der Beschwerdeführer ist ein Verein mit Sitz in Hannover, der eine Moschee betreibt.
Im Juli 2016 berichtete die Hannoveraner Ausgabe der B. Zeitung auf ihrem Internetportal unter der Überschrift „Terror-Experte warnt vor dem Verwaltungs-Gericht – So gefährlich sind die Islamisten der Region“ über islamistische Bestrebungen, insbesondere Rekrutierungsbemühungen für die Terrorgruppe „IS“ in Niedersachsen. Zitiert wurden dabei hauptsächlich Aussagen, die ein Mitarbeiter des niedersächsischen Landeskriminalamts in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren getätigt hatte. Dabei heißt es in dem unter anderem mit einem Foto des Gebetshauses des Beschwerdeführers bebilderten Artikel:
„Im Visier von LKA und Verfassungsschutz: der D., der ‚D. Islamkreis‘ mit Sitz in Hildesheim und Hannover – für die Behörden eine Hochburg der Salafisten.
Ermittler Rainer L. (Name geändert) vom Staatsschutz: ‚Mindestens 19 Personen, die den Verein und die Moschee besucht haben, sind nach unseren Erkenntnissen in Syrien oder den Irak gereist, darunter der ehemalige Vorsitzende und der Schriftführer.‘“
Der Beschwerdeführer mit Sitz in Hannover und ein jenseits des Ortszusatzes namensgleicher Verein in Hildesheim sind zwei selbständige, organisatorisch nicht verbundene Vereine. Die zitierten Äußerungen in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren bezogen sich nach der im Verfahren vorgelegten schriftlichen Auskunft des Landeskriminalamts Niedersachsen allein auf den Hildesheimer Verein und nicht auf den Beschwerdeführer.
Wegen dieses Artikels erwirkte der Beschwerdeführer vor dem Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung, die es der B. Zeitung untersagte, über ihn wie geschehen zu berichten. Die Entscheidung über die gleichfalls beantragte Unterlassungsverfügung gegen den Chefredakteur der Hannoveraner Ausgabe verwies das Gericht wegen örtlicher Unzuständigkeit an das Landgericht Hannover. Dieses erteilte Hinweis, wonach der Beschwerdeführer bisher nicht hinreichend glaubhaft gemacht haben dürfte, dass er nicht im Visier des Landeskriminalamts und des Verfassungsschutzes stehe und dass nicht mindestens 19 Besucher der Moschee nach Syrien oder Irak gereist seien. Die vorgelegte eidesstattliche Versicherung könne allein glaubhaft machen, dass der Vorsitzende selbst dorthin nicht gereist sei. Der Beschwerdeführer erwiderte schriftsätzlich, dass dieser Hinweis nicht nachvollziehbar sei. Die von ihm zu fordernde Glaubhaftmachung könne allein die Widerlegung der konkreten Behauptungen des Artikels betreffen. Dem Artikel sei zu entnehmen, dass nach behördlichen Angaben in einem gerichtlichen Verfahren auch der Beschwerdeführer mit Sitz in Hannover als eine „Hochburg von Salafisten“ gelte und dass mehrere Besucher der von ihm betriebenen Moschee nach Irak oder Syrien gereist seien. Dass solche behördlichen Aussagen nur mit Blick auf den namensgleichen Verein mit Sitz in Hildesheim – nicht aber bezüglich des Beschwerdeführers – gemacht worden seien, habe er bereits durch Vorlage des Schreibens des Landeskriminalamts glaubhaft gemacht.
Nachdem der Antragsgegner ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte und beide Parteien unter Widerspruch gegen die Kostenlast das Verfahren für erledigt erklärt hatten, erlegte das Landgericht dem Beschwerdeführer die Kosten auf, wobei es die Begründung seines Hinweises wiederholte. Die sofortige Beschwerde, mit der sich der Beschwerdeführer gegen die Kostentragung wegen eines weiteren zurückgewiesenen Anspruchs nur noch zu zwei Dritteln verwahrte, wies das Oberlandesgericht zurück. Die Unwahrheit der beanstandeten Äußerungen habe der Beschwerdeführer – wie zutreffend im Hinweis ausgeführt – nicht glaubhaft gemacht. Die Anhörungsrüge, die erneut maßgeblich mit dem Vortrag zum vorgelegten Schreiben des Landeskriminalamts und der Verschiedenheit der beiden fälschlich miteinander identifizierten Vereine begründet war, wies das Oberlandesgericht zurück. Der Senat habe den Vortrag des Beschwerdeführers zur Kenntnis genommen, sei aber zu einer anderen rechtlichen Bewertung gelangt.
Hiergegen richtet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde, in der er insbesondere eine Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt. Die Entscheidungen hätten die ihnen vorliegende Stellungnahme des Landeskriminalamts unberücksichtigt gelassen und damit wesentlichen Vortrag des Beschwerdeführers übergangen. Der Beschwerdeführer beantragt eine Rückverweisung in die Beschwerdeinstanz.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen ihn in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.
Obwohl ein reines Kosteninteresse grundsätzlich nicht ausreicht, um ein Rechtsschutzbedürfnis fortbestehen zu lassen (vgl. BVerfGE 50, 244 <248>; 75, 318 <325>), scheitert die Zulässigkeit nicht am mangelnden Rechtsschutzbedürfnis. Denn der Beschwerdeführer macht eine Grundrechtsverletzung gerade bei der Entscheidung über die Kostentragung geltend. Eine etwaige Grundrechtsverletzung hierbei fällt durch den Umstand, dass der Beschwerdeführer in der Sache sein Begehren erreicht hat, nicht fort.
Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das gerichtliche Verfahren. Der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 84, 188 <190>; 107, 395 <409> m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet auch, dass das entscheidende Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss (vgl. BVerfGE 21, 191 <194>; 96, 205 <216>; stRspr). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Nur dann, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass ein Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, nicht nachgekommen ist, ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. BVerfGE 25, 137 <140 f.>; 85, 386 <404>; 96, 205 <216 f.>; stRspr). Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern ihres Vorbringens ausmacht und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen (vgl. BVerfGE 47, 182 <188 f.>; 86, 133 <146>). Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht beachtet worden ist. Dagegen aber schützt Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 25. Juni 1992 – 1 BvR 600/92 -, NJW-RR 1993, S. 383).
Nach diesen Maßstäben ist das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers vorliegend verletzt. Der Beschwerdeführer hat bereits auf den Hinweis des Landgerichts zur angeblich unzureichenden eidesstattlichen Versicherung erwidert, dass es darauf nicht ankomme, weil die Unwahrheit der in dem Artikel aufgestellten Behauptung, nämlich dass sich die Aussagen des Landeskriminalamts über salafistische Bestrebungen und Rekrutierungsaktivitäten in der Region auch auf den Beschwerdeführer bezogen hätten, bereits durch die Vorlage des Schreibens des Landeskriminalamts und die Versicherung des Vorsitzenden zur organisatorischen Verschiedenheit der beiden Vereine glaubhaft gemacht worden sei. Hierzu verhalten sich die angegriffenen Entscheidungen in keiner Weise, sondern weisen nur anderweitigen Vortrag des Beschwerdeführers zur Erforderlichkeit eines weiteren Hinweises und zur Unzumutbarkeit einer weitergehenden Glaubhaftmachung zurück. Bei dem übergangenen Vortrag handelt es sich jedoch offensichtlich um wesentlichen Vortrag des Beschwerdeführers, da auf Grundlage dieses Vortrags weitere Überlegungen zur Frage der Glaubhaftmachung und deren zumutbarer Reichweite ersichtlich entbehrlich waren. Denn dieser Vortrag betraf nicht Anforderungen und Reichweite der Glaubhaftmachung, sondern deren Gegenstand. Nach Vortrag des Beschwerdeführers war die von ihm zu widerlegende Behauptung der Umstand, dass das Landeskriminalamt in dem Verfahren bestimmte Aussagen auch über ihn getroffen habe, nicht die Richtigkeit einer etwa getroffenen Aussage als solche. Zu diesem Vortrag, der allen weiteren Fragen des Verfahrens ersichtlich vorausliegt, enthalten die Entscheidungen keinerlei Ausführungen. Der Gehörsverstoß wurde damit auch für die Entscheidung kausal.
Eine Heilung eines Gehörsverstoßes im Anhörungsrügeverfahren ist nicht gegeben, da das Oberlandesgericht auf den auch in der Anhörungsrüge verständlich artikulierten Gesichtspunkt erneut mit keinem Wort eingeht.