Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. September 2020 zum Aktenzeichen 2 BvR 1810/19 entschieden, dass eine körperliche Durchsuchung mit vollständiger Entkleidung des Beschwerdeführers nach einem Kontakt mit Besuchern einen Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG verletzt.
Der Beschwerdeführer verbüßt seit 2009 in der Justizvollzugsanstalt Straubing eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Am 25. Februar 2019 genehmigte die Justizvollzugsanstalt für den Monat März 2019 die körperliche Durchsuchung mit vollständiger Entkleidung gemäß Art. 91 BayStVollzG an jedem sechsten Gefangenen und an jedem achten Sicherungsverwahrten nach einer Besuchsvorführung.
Am 27. März 2019 erhielt der Beschwerdeführer Familienbesuch in der Cafeteria der Justizvollzugsanstalt. Nach dem Besuch wurde er unter vollständiger Entkleidung körperlich durchsucht. Dies wurde schriftlich auf einem Formblatt dokumentiert, welches zwei männliche Bedienstete der Justizvollzugsanstalt unterzeichneten. Ein weiterer männlicher Bediensteter war zu Ausbildungszwecken während der Durchsuchung anwesend.
Mit Schreiben vom 5. April 2019 beantragte der Beschwerdeführer eine gerichtliche Entscheidung. Die Durchsuchung sei rechtswidrig gewesen, da sie ohne konkreten Anlass erfolgt sei. Sie sei unverhältnismäßig und verletze sein allgemeines Persönlichkeitsrecht
Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in dem aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
Mit Rücksicht darauf hat der Landesgesetzgeber in Art. 91 BayStVollzG die Voraussetzungen für diesen Eingriff in differenzierter Weise geregelt und Durchsuchungen dieser Art in Art. 91 Absatz 2 und Absatz 3 BayStVollzG strengeren Voraussetzungen unterworfen als sonstige Durchsuchungen (vgl. Art. 91 Abs. 1 BayStVollzG). Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG ermächtigt den Anstaltsleiter, für drei vom Gesetz als typischerweise besonders gefahrenträchtig eingeschätzte Konstellationen (bei Aufnahme des Gefangenen, nach Kontakten mit Besuchern und nach jeder Abwesenheit von der Anstalt) aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt Durchsuchungen mit Entkleidung allgemein anzuordnen; dies soll insbesondere der Verhinderung des Drogenschmuggels.
Zunächst hat das Landgericht mit der Annahme, die gegenständliche Durchsuchungsanordnung sei sowohl auf Art. 91 Absatz 3 als auch auf Absatz 2 BayStVollzG zu stützen, die vom Gesetzgeber in Art. 91 Absatz 2 und Absatz 3 BayStVollzG getroffenen differenzierten, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichteten Regelungen und seine daraus folgenden Prüfpflichten verkannt.
Das Landgericht hat in Verkennung von Bedeutung und Tragweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in nicht nachvollziehbarer Weise angenommen, dass sich aus dem von zwei Bediensteten unterzeichneten Formblatt bereits ohne weitere Prüfung ergebe, dass diese das der Justizvollzugsanstalt zustehende Ermessen sorgfältig ausgeübt und im Einzelfall geprüft hätten, ob die Gefahr des Missbrauchs durch den Beschwerdeführer fernliege sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sei. Auf dem Formblatt ließ sich lediglich ankreuzen, ob die Gefahr des Missbrauchs des Besuchs nach den genannten Kriterien besonders fernlag oder nicht. Ein Feld zur Dokumentation konkreter Erwägungen oder eine sonstige Möglichkeit zur Begründung der Gefahr eines Missbrauchs des Besuchs durch den Gefangenen ist in dem verwandten Formblatt nicht vorgesehen. Daher genügt das bloße Ankreuzen des vorgesehenen Feldes in dem konkret eingesetzten Formblatt nicht, um bereits daraus auf eine sorgfältige Ermessensabwägung im Einzelfall zu schließen.
Das Landgericht hat sich auch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob andere Maßnahmen, die den Austausch von gefährlichen Gegenständen während des Gefangenenbesuchs oder deren Einschmuggeln mit gleicher Effektivität wie körperliche Durchsuchungen mit vollständiger Entkleidung unterbinden können, ausgeschöpft wurden. Insbesondere hat es nicht geprüft, ob die Verwendung besonderer Anstaltskleidung mit verschlossenen Nähten als mildere und gleichgeeignete Alternativmaßnahme möglich gewesen wäre, um die Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt hinreichend zu wahren. Das Landgericht hat auch insoweit Bedeutung und Tragweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verkannt.
Ferner ist auf dem Formblatt nicht vermerkt, dass eine weitere Person zu Ausbildungszwecken die körperliche Durchsuchung durchgeführt hat oder jedenfalls anwesend war. Inwieweit die Bediensteten der Justizvollzugsanstalt erwogen haben, ob die – grundsätzlich durchaus in Betracht kommende – Anwesenheit der dritten Person zu Ausbildungszwecken unter Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers notwendig war und die körperliche Durchsuchung nicht auch durch einen Bediensteten und den Auszubildenden zu zweit hätte durchgeführt werden können, kann weder dem Formblatt noch den von der Justizvollzugsanstalt im gerichtlichen Verfahren nachgeschobenen Ermessenserwägungen entnommen werden.