Der Bundesfinanzhof hat am 27.11.2019 zum Aktenzeichen III R 44/17 entschieden, dass ein den Kindergeldanspruch über die Altersgrenze verlängernder Gendefekt eines volljährigen behinderten Kindes nur dann eine solche Behinderung darstellt, wenn das Kind dadurch vor Erreichen der Altersgrenze von 27 Jahren (jetzt 25 Jahren) in seinen körperlichen Funktionen, geistigen Fähigkeiten oder seiner seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate vom alterstypischen Zustand abweicht und dadurch in seiner Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt ist.
Aus der Pressemitteilung des BFH Nr. 27/2020 vom 09.07.2020 ergibt sich:
Der Kläger ist der Vater einer im August 1968 geborenen Tochter, die an einer Muskelerkrankung in Form der Myotonen Dystrophie Curschmann Steinert leidet. Trotz erster Symptome im Alter von ca. 15 Jahren, wurde die Erkrankung zunächst nicht erkannt. Die Diagnose erfolgte erst 1998. In der Folgezeit verstärkte sich die Muskelschwäche und es wurde im Jahr 2005 zunächst ein Grad der Behinderung von 50 und im Jahr 2009 von 100 festgestellt. Die Tochter absolvierte eine Berufsausbildung und befand sich bis 2010 in einem Beschäftigungsverhältnis. Ab Oktober 2011 erhielt sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Kläger beantragte 2014, ihm für seine Tochter ab Januar 2010 Kindergeld zu gewähren. Dies lehnte die Familienkasse unter Hinweis darauf ab, dass die Behinderung nicht vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sei.
Das Finanzgericht gab der dagegen gerichteten Klage für die Monate statt, in denen die der Tochter zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Deckung ihres notwendigen Lebensbedarfes ausreichten.
Dagegen hielt der BFH die Revision der Familienkasse für begründet.
Nach Auffassung des BFH setzt der Kindergeldanspruch des Klägers voraus, dass die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist, da für die Tochter aufgrund einer Übergangsregelung noch nicht die ab 2000 auf das 25. Lebensjahr abgesenkte Altersgrenze gilt. Der Behinderungsbegriff erfordere dabei eine für das Lebensalter untypische gesundheitliche Situation, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtige. Nicht ausreichend sei es nach der Entscheidung des BFH dagegen, wenn vor Erreichen der Altersgrenze eine Behinderung zwar drohe, aber noch nicht eingetreten sei. Der BFH hielt daher die bisherigen Feststellungen des Finanzgerichts für nicht ausreichend. Das Finanzgericht sei zwar auf der Grundlage des festgestellten Grades der Behinderung für die streitigen Monate ab 2011 zu Recht vom Vorliegen einer Behinderung ausgegangen. Für die Frage, ob die Behinderung bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres – also bis August 1995 – eingetreten ist, ließ das Finanzgericht aber zu Unrecht bereits den festgestellten angeborenen Gendefekt ausreichen. Dem Finanzgericht sei daher für den zweiten Rechtsgang aufgegeben worden, nähere Feststellungen dazu zu treffen, ob der Gendefekt bereits vor Erreichen der Altersgrenze zu Funktions- und Teilhabebeeinträchtigungen bei der Tochter des Klägers geführt hatte.