Das Bundesverwaltungsgericht hat am 05.06.2020 zum Aktenzeichen 5 C 3.19 D entschieden, dass ein wegen der Überlänge des gerichtlichen Verfahrens gesetzlich vermuteter immaterieller Nachteil nicht allein dadurch widerlegt wird, dass sich der Kläger während des gerichtlichen Verfahrens einen tatsächlichen Vorteil rechtswidrig verschafft hat, dessen Legalisierung er im gerichtlichen Verfahren zu erreichen sucht.
Aus der Pressemitteilung des BVerwG Nr. 28/2020 vom 08.06.2020 ergibt sich:
Der Kläger beantragte die Erteilung eines Bauvorbescheides für die Errichtung eines Wochenendhauses in dem Gartengelände seines großflächigen Besitzes. Diesen Antrag lehnte die zuständige Behörde im Jahr 2010 ab, weil der geplante Standort im Außenbereich liege.
Hiergegen klagte der Kläger vor dem Verwaltungsgericht, errichtete aber noch vor Ergehen des Urteils ein solches Haus an einer anderen Stelle seines Grundstücks ohne die erforderliche Baugenehmigung. Nachdem das Verwaltungsgericht die Klage auf Erteilung des Bauvorbescheides abgewiesen hatte, beantragte der Kläger Anfang 2012 die Zulassung der Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht. Ende 2015 rügte er die Verzögerung dieses Verfahrens. Im November 2016 hatte das Oberverwaltungsgericht entschieden und den Zulassungsantrag abgelehnt. Bereits zuvor hatte der Kläger gerichtlich einen Entschädigungsanspruch wegen immaterieller Nachteile, die er infolge einer Überlänge des Berufungszulassungsverfahrens erlitten habe, geltend gemacht. Diesen Anspruch hatte das Oberverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil zurückgewiesen. Die gesetzliche Vermutung eines immateriellen Nachteils (§ 198 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG) sei widerlegt, weil der Kläger bereits vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils rechtswidrig ein Wochenendhaus auf seinem Grundstück errichtet habe.
Das BVerwG hat auf die Revision des Klägers das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.
Nach Auffassung des BVerwG ist der der angefochtenen Entscheidung zu entnehmende Satz, die gesetzliche Vermutung eines immateriellen Nachteils infolge eines überlangen Gerichtsverfahrens sei allein durch das rechtswidrige Vorgehen des Klägers widerlegt, mit dem Gesetz (§ 198 Abs. 2 Satz 1 GVG) nicht vereinbar. Die Widerlegung der Vermutung erfordere immer eine Gesamtbewertung aller in Rede stehenden Umstände, die aus der Überlänge des Verfahrens folgten. Zu prüfen sei, ob die damit verbundenen nachteiligen immateriellen Wirkungen im Einzelfall erheblich vermindert bzw. weggefallen seien oder ob sie durch Vorteile, die durch die Verzögerung des Verfahrens erlangt werden, kompensiert werden. Dies lasse sich auf der Grundlage der vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen nicht bejahen. Der Kläger habe im gerichtlichen Ausgangsverfahren in zulässiger Weise erstrebt, ein bauliches Vorhaben auf seinem Grundstück zu legalisieren. Weil das Oberverwaltungsgericht zu den übrigen Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs keine Feststellungen getroffen habe, sei die Sache an dieses zurückzuverweisen gewesen.